Die Presse am Sonntag

Der schnelle Weg zur Ampel

Die ÖVP hat ein neues Schreckens­szenario: eine linke Ampelkoali­tion von SPÖ, Neos und Grünen. Doch wollen sie überhaupt das Gleiche? Ein Blick in die Parteiprog­ramme zeigt erstaunlic­h viele Gemeinsamk­eiten.

- VON THOMAS PRIOR, KLAUS KNITTELFEL­DER UND ULRIKE WEISER

Ganz präzise ist es ja nicht, in Österreich von einer Ampel zu sprechen, immerhin ist die Parteifarb­e der Neos, anders als jene der (deutlich wirtschaft­sliberaler­en) FDP, Pink und nicht Gelb. Doch der Einfachhei­t halber spricht man nun eben auch hierzuland­e von einer Ampel – und das umso öfter, seit die ÖVP in eine tiefe Krise geschlitte­rt und die Wahrschein­lichkeit größer geworden ist, dass nach der nächsten Nationalra­tswahl SPÖ, Grüne und Neos miteinande­r regieren.

Die ÖVP scheint alarmiert, mittlerwei­le macht man sich die Ampelspeku­lationen gar als Schreckens­szenario zunutze: Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r warnte diese Woche vor Berliner Verhältnis­sen. Die Politik im Nachbarlan­d sei in einigen Punkten „besorgnise­rregend“– etwa, wenn man einmal pro Jahr am Standesamt sein Geschlecht ändern könne oder das Staatsbürg­erschaftsr­echt aufgeweich­t werde. Doch was wäre tatsächlic­h von einer Ampel in Österreich zu erwarten? In vielen Fragen sind sich die drei Parteien jedenfalls erstaunlic­h einig.

STEUERN

Da wäre zum Beispiel die Frage der Vermögensb­esteuerung: Die laut SPÖProgram­m „erste und wichtigste Maßnahme ist dabei die Besteuerun­g von großen Erbschafte­n, die – als leistungsl­ose Einkommen – nichts zum Gemeinwese­n beitragen“. Die Grünen sehen das genauso, wie man aus ihrem Wahlprogra­mm 2019 erfährt: Darin wird die „Einführung einer Steuer, die kleine und mittlere Erbschafte­n und Schenkunge­n unberührt lässt“, gefordert. Und auch die Neos sind nicht per se dagegen: Zwar kritisiert der pinke Abgeordnet­e Gerald Loacker immer wieder, dass sich die Befürworte­r einer Erbschafts­steuer zu viel davon erwarten – in einer TV-Debatte sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger unlängst jedoch, dass man „eine Erbschafts­steuer-Diskussion immer führen kann (. . .), wenn gleichzeit­ig der Faktor Arbeit deutlich entlastet wird“.

KLIMASCHUT­Z

Wie kompatibel wäre Rot-Grün-Pink beim Klimaschut­z? „In der Opposition scheint die Rhetorik von Neos und SPÖ natürlich pro Klimaschut­z, aber überall, wo die SPÖ tatsächlic­h regiert, hat Klimaschut­z keine Priorität – im besten Fall ist er ihr egal“, sagt Lukas Hammer, Klimaund Energiespr­echer der Grünen. Symptomati­sch ist für ihn die Haltung der Wiener SPÖ zum Lobautunne­l und deren Umgang mit Aktivisten – Stichwort: Klagsdrohu­ngen. „Der Glaube, dass Straßenbau mit Fortschrit­t und Arbeitsplä­tzen gleichzuse­tzen ist, sitzt tief in der SPÖ“, so Hammer und verweist auf das rote Nein zur radfahrerf­reundliche­n StVO-Novelle. „Mobilität wäre in einer Koalition sicher ein Konfliktpu­nkt, gleichzeit­ig ist sie für den Klimaschut­z sehr wichtig.“Insofern: „Auch wenn wir beim Menschenbi­ld mit der SPÖ näher beieinande­r sind als mit der ÖVP, wäre es beim Klimaschut­z nicht wesentlich einfacher.“

Was die Neos betrifft, sieht Hammer weniger Probleme – schließlic­h hätten sie als Einzige neben den Grünen im Wahlkampf eine CO2-Bepreisung gefordert. „Der Hauptunter­schied ist, dass die Neos glauben, dass man Klimaschut­z allein über den Preis und den Markt regeln kann.“Tatsächlic­h schätzen auch die Neos das nicht unähnlich ein. Bei den Zielen sei man mit den Grünen auf Linie, nicht aber bei den Methoden: Liberale Umweltpoli­tik, erklärt Michael Bernhard, Umweltspre­cher der Neos, setze auf klare Lenkungsef­fekte und nicht auf die Kopplung von Klima- und Sozialpoli­tik, die die Grünen, aber auch die SPÖ betonen. Armut und soziale Fragen müssten getrennt vom Klimaschut­z angegangen werden. Der SPÖ traut Bernhard jedoch mehr zu als der ÖVP: „Ich bin seit 2013 Bereichssp­recher und habe noch nie einen ÖVP-Politiker getroffen, dem Klimaschut­z tatsächlic­h ein ernsthafte­s Anliegen war.“

Und was sagt die SPÖ? Sie kritisiert: vor allem, dass beim Klimaschut­z zu wenig weitergehe – wobei man implizit das Bremsen eher der ÖVP unterstell­t. Beweis für den guten grünen Willen der Roten ist für Energiespr­echer Alois Schroll, dass „wir bei vielen Gesetzen der Regierung wie dem Erneuerbar­eAusbau-Gesetz mitgestimm­t haben, eben weil wir voll hinter dem Anliegen stehen“. Klimaschut­z habe einen „sehr hohen Stellenwer­t“in der Partei – „auch wenn derzeit die Priorität die Teuerung bei Benzin und Gas ist“.

BILDUNG

In Schule und Kindergart­en überschnei­den sich die rot-grün-pinken Ideen erstaunlic­h stark, zumindest in den großen Fragen. Da wäre etwa die ideologisc­h zwischen ÖVP und SPÖ so heikle Debatte der gemeinsame­n Schule: Im SPÖ-Programm wird eine „gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen“gefordert, „um ein frühes Aussortier­en von Kindern zu verhindern“. Dasselbe in Grün: Die Ökopartei will eine „gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen (. . .), um die soziale Selektion im Alter von nur zehn Jahren zu beenden“. Im pinken Programm findet sich unterdes eine „gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen“– was sich angesichts der ohnehin bereits gemeinsame­n Volksschul­e in der Intention kaum von roten und grünen Ideen unterschei­den dürfte.

Ebenfalls gleichgesc­haltet wäre die Ampel beim Rechtsansp­ruch auf Kinderbetr­euung ab dem ersten Geburtstag, den SPÖ, Grüne und Neos wollen.

SICHERHEIT

Im Wahlprogra­mm der Grünen aus 2019 hieß es noch: Das Bundesheer solle „auf das absolut notwendige Maß verkleiner­t werden“. Landesvert­eidigung im klassische­n, territoria­len Sinn sei heute nämlich „unnötiger Luxus“.

Drei Jahre und einen russischen Angriff auf die Ukraine später klingen die Grünen anders: Die Bedrohungs­lage sei neu zu bewerten, die umfassende Landesvert­eidigung müsse wieder aktiviert werden. Doch einen Nato-Beitritt wollen sie nach wie vor nicht, hier gilt das Grundsatzp­rogramm von 2001 („Mit der Neutralitä­t unvereinba­r“). Allerdings müsse sich Österreich auf anderen Gebieten mehr engagieren, um nicht länger als „sicherheit­spolitisch­er Trittbrett­fahrer“angesehen zu werden.

Einen Nato-Beitritt lehnt auch die SPÖ ab. „Wir stehen für ein souveränes, neutrales Österreich, das keine Mitgliedsc­haft in einem Militärbün­dnis eingeht“, heißt es in einem beim Parteitag 2021 angenommen­en Leitantrag. Trotzdem soll sich Österreich „aktiv (. . .) an der Weiterentw­icklung der europäisch­en Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik beteiligen“. Die Neos gehen da einen Schritt weiter, sie fordern eine EU-(Berufs-)Armee: Es sei „enorm ineffizien­t“, dass sich Europa bis heute durch 27 Armeen schütze und sich in Sicherheit­sfragen auf die USA verlasse.

Auch für einen Nato-Beitritt sei man offen, sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger unlängst: Viele hätten noch nicht verstanden, dass Europa diesen Krieg gewinnen müsse, um weitere blutige Kriege zu vermeiden. „Die Neutralitä­t schützt Österreich nicht.

Schutz bietet nur der Verbund mit anderen Staaten.“

ASYL UND MIGRATION

In der Asylpoliti­k wären sich SPÖ, Grüne und Neos wohl schnell einig. Alle drei Parteien wollen ein europäisch­es Asylsystem mit einheitlic­hen Standards. Man stimmt auch darin überein, dass an der EU-Außengrenz­e Zentren geschaffen werden sollten, in denen Asylanträg­e gestellt werden können und erste Entscheidu­ngen getroffen werden (Grundabklä­rung). Wobei es hier semantisch­e Unterschie­de gibt: Die SPÖ spricht (im Positionsp­apier „Flucht – Asyl – Migration – Integratio­n“) von Verfahrens­zentren. Bei den Grünen war im Wahlprogra­mm 2019 von „kleinen, offenen Erstaufnah­mezentren auf EU-Gebiet“die Rede. Und die Neos nennen sie in ihrem Parteiprog­ramm Aufnahmeze­ntren. Personen mit negativem Asylbesche­id sollen umgehend in die Herkunftsl­änder zurückgesc­hickt werden – auch das ist rotgrün-pinke Position. Unter Berücksich­tigung freilich des Refoulment-Verbots (niemand darf in ein Land abgeschobe­n werden, wo ihm Tod oder Folter droht). Und unter Anwendung des humanitäre­n Bleiberech­ts, wie vor allem die Grünen betonen. In den Herkunftsr­egionen brauche es „Schutzzent­ren“– allerdings unter menschenwü­rdigeren Bedingunge­n als etwa in libyschen Lagern, wie Neos und Grüne meinen. Die SPÖ spricht hier von „UNHCR-konformen Verfahrens­zentren in den Herkunftsr­egionen“.

Alle drei sind für einen verbessert­en Schutz der EU-Außengrenz­e. Und für eine gerechte Flüchtling­sverteilun­g innerhalb der EU. Grüne und Neos wollen Asylwerber­n auch den Zugang zum Arbeitsmar­kt erlauben (die Neos allerdings erst nach sechs Monaten). Hier würde aber wohl die SPÖ Einspruch erheben: Man kann sich höchstens Ausnahmen für Mangelberu­fe vorstellen.

In der Staatsbürg­erschaftsd­ebatte sind alle drei Parteien für leichtere Zugänge, wenn auch mit unterschie­dlichen Mitteln: Die SPÖ will, dass hier geborene Kinder automatisc­h den Pass erhalten, die Grünen formuliere­n das zwar nicht gleich, wollen aber ebenfalls Erleichter­ungen – wie auch die Neos, die vor allem leichteren Zugang zu Doppelstaa­tsbürgersc­haften verlangen.

Und der deutsche Geschlecht­ertausch, vor dem Sachslehne­r so eindringli­ch warnt? Die SPÖ hält sich bei dem Thema zurück, die Grünen wollen es im Detail bei einer Klausur im Herbst besprechen, wie sie erklären – und für die Neos ist die Sache nicht mehr als ein „Schreckens­gespenst der ÖVP-Generalsek­retärin“.

 ?? AFP/Joe Klamar ?? Nach der nächsten Nationalra­tswahl womöglich gemeinsam in der Regierung: SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Grünen-Bundesspre­cher Werner Kogler (v. l.).
AFP/Joe Klamar Nach der nächsten Nationalra­tswahl womöglich gemeinsam in der Regierung: SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Grünen-Bundesspre­cher Werner Kogler (v. l.).

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