Der schnelle Weg zur Ampel
Die ÖVP hat ein neues Schreckensszenario: eine linke Ampelkoalition von SPÖ, Neos und Grünen. Doch wollen sie überhaupt das Gleiche? Ein Blick in die Parteiprogramme zeigt erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.
Ganz präzise ist es ja nicht, in Österreich von einer Ampel zu sprechen, immerhin ist die Parteifarbe der Neos, anders als jene der (deutlich wirtschaftsliberaleren) FDP, Pink und nicht Gelb. Doch der Einfachheit halber spricht man nun eben auch hierzulande von einer Ampel – und das umso öfter, seit die ÖVP in eine tiefe Krise geschlittert und die Wahrscheinlichkeit größer geworden ist, dass nach der nächsten Nationalratswahl SPÖ, Grüne und Neos miteinander regieren.
Die ÖVP scheint alarmiert, mittlerweile macht man sich die Ampelspekulationen gar als Schreckensszenario zunutze: Generalsekretärin Laura Sachslehner warnte diese Woche vor Berliner Verhältnissen. Die Politik im Nachbarland sei in einigen Punkten „besorgniserregend“– etwa, wenn man einmal pro Jahr am Standesamt sein Geschlecht ändern könne oder das Staatsbürgerschaftsrecht aufgeweicht werde. Doch was wäre tatsächlich von einer Ampel in Österreich zu erwarten? In vielen Fragen sind sich die drei Parteien jedenfalls erstaunlich einig.
STEUERN
Da wäre zum Beispiel die Frage der Vermögensbesteuerung: Die laut SPÖProgramm „erste und wichtigste Maßnahme ist dabei die Besteuerung von großen Erbschaften, die – als leistungslose Einkommen – nichts zum Gemeinwesen beitragen“. Die Grünen sehen das genauso, wie man aus ihrem Wahlprogramm 2019 erfährt: Darin wird die „Einführung einer Steuer, die kleine und mittlere Erbschaften und Schenkungen unberührt lässt“, gefordert. Und auch die Neos sind nicht per se dagegen: Zwar kritisiert der pinke Abgeordnete Gerald Loacker immer wieder, dass sich die Befürworter einer Erbschaftssteuer zu viel davon erwarten – in einer TV-Debatte sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger unlängst jedoch, dass man „eine Erbschaftssteuer-Diskussion immer führen kann (. . .), wenn gleichzeitig der Faktor Arbeit deutlich entlastet wird“.
KLIMASCHUTZ
Wie kompatibel wäre Rot-Grün-Pink beim Klimaschutz? „In der Opposition scheint die Rhetorik von Neos und SPÖ natürlich pro Klimaschutz, aber überall, wo die SPÖ tatsächlich regiert, hat Klimaschutz keine Priorität – im besten Fall ist er ihr egal“, sagt Lukas Hammer, Klimaund Energiesprecher der Grünen. Symptomatisch ist für ihn die Haltung der Wiener SPÖ zum Lobautunnel und deren Umgang mit Aktivisten – Stichwort: Klagsdrohungen. „Der Glaube, dass Straßenbau mit Fortschritt und Arbeitsplätzen gleichzusetzen ist, sitzt tief in der SPÖ“, so Hammer und verweist auf das rote Nein zur radfahrerfreundlichen StVO-Novelle. „Mobilität wäre in einer Koalition sicher ein Konfliktpunkt, gleichzeitig ist sie für den Klimaschutz sehr wichtig.“Insofern: „Auch wenn wir beim Menschenbild mit der SPÖ näher beieinander sind als mit der ÖVP, wäre es beim Klimaschutz nicht wesentlich einfacher.“
Was die Neos betrifft, sieht Hammer weniger Probleme – schließlich hätten sie als Einzige neben den Grünen im Wahlkampf eine CO2-Bepreisung gefordert. „Der Hauptunterschied ist, dass die Neos glauben, dass man Klimaschutz allein über den Preis und den Markt regeln kann.“Tatsächlich schätzen auch die Neos das nicht unähnlich ein. Bei den Zielen sei man mit den Grünen auf Linie, nicht aber bei den Methoden: Liberale Umweltpolitik, erklärt Michael Bernhard, Umweltsprecher der Neos, setze auf klare Lenkungseffekte und nicht auf die Kopplung von Klima- und Sozialpolitik, die die Grünen, aber auch die SPÖ betonen. Armut und soziale Fragen müssten getrennt vom Klimaschutz angegangen werden. Der SPÖ traut Bernhard jedoch mehr zu als der ÖVP: „Ich bin seit 2013 Bereichssprecher und habe noch nie einen ÖVP-Politiker getroffen, dem Klimaschutz tatsächlich ein ernsthaftes Anliegen war.“
Und was sagt die SPÖ? Sie kritisiert: vor allem, dass beim Klimaschutz zu wenig weitergehe – wobei man implizit das Bremsen eher der ÖVP unterstellt. Beweis für den guten grünen Willen der Roten ist für Energiesprecher Alois Schroll, dass „wir bei vielen Gesetzen der Regierung wie dem ErneuerbareAusbau-Gesetz mitgestimmt haben, eben weil wir voll hinter dem Anliegen stehen“. Klimaschutz habe einen „sehr hohen Stellenwert“in der Partei – „auch wenn derzeit die Priorität die Teuerung bei Benzin und Gas ist“.
BILDUNG
In Schule und Kindergarten überschneiden sich die rot-grün-pinken Ideen erstaunlich stark, zumindest in den großen Fragen. Da wäre etwa die ideologisch zwischen ÖVP und SPÖ so heikle Debatte der gemeinsamen Schule: Im SPÖ-Programm wird eine „gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen“gefordert, „um ein frühes Aussortieren von Kindern zu verhindern“. Dasselbe in Grün: Die Ökopartei will eine „gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen (. . .), um die soziale Selektion im Alter von nur zehn Jahren zu beenden“. Im pinken Programm findet sich unterdes eine „gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen“– was sich angesichts der ohnehin bereits gemeinsamen Volksschule in der Intention kaum von roten und grünen Ideen unterscheiden dürfte.
Ebenfalls gleichgeschaltet wäre die Ampel beim Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag, den SPÖ, Grüne und Neos wollen.
SICHERHEIT
Im Wahlprogramm der Grünen aus 2019 hieß es noch: Das Bundesheer solle „auf das absolut notwendige Maß verkleinert werden“. Landesverteidigung im klassischen, territorialen Sinn sei heute nämlich „unnötiger Luxus“.
Drei Jahre und einen russischen Angriff auf die Ukraine später klingen die Grünen anders: Die Bedrohungslage sei neu zu bewerten, die umfassende Landesverteidigung müsse wieder aktiviert werden. Doch einen Nato-Beitritt wollen sie nach wie vor nicht, hier gilt das Grundsatzprogramm von 2001 („Mit der Neutralität unvereinbar“). Allerdings müsse sich Österreich auf anderen Gebieten mehr engagieren, um nicht länger als „sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer“angesehen zu werden.
Einen Nato-Beitritt lehnt auch die SPÖ ab. „Wir stehen für ein souveränes, neutrales Österreich, das keine Mitgliedschaft in einem Militärbündnis eingeht“, heißt es in einem beim Parteitag 2021 angenommenen Leitantrag. Trotzdem soll sich Österreich „aktiv (. . .) an der Weiterentwicklung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beteiligen“. Die Neos gehen da einen Schritt weiter, sie fordern eine EU-(Berufs-)Armee: Es sei „enorm ineffizient“, dass sich Europa bis heute durch 27 Armeen schütze und sich in Sicherheitsfragen auf die USA verlasse.
Auch für einen Nato-Beitritt sei man offen, sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger unlängst: Viele hätten noch nicht verstanden, dass Europa diesen Krieg gewinnen müsse, um weitere blutige Kriege zu vermeiden. „Die Neutralität schützt Österreich nicht.
Schutz bietet nur der Verbund mit anderen Staaten.“
ASYL UND MIGRATION
In der Asylpolitik wären sich SPÖ, Grüne und Neos wohl schnell einig. Alle drei Parteien wollen ein europäisches Asylsystem mit einheitlichen Standards. Man stimmt auch darin überein, dass an der EU-Außengrenze Zentren geschaffen werden sollten, in denen Asylanträge gestellt werden können und erste Entscheidungen getroffen werden (Grundabklärung). Wobei es hier semantische Unterschiede gibt: Die SPÖ spricht (im Positionspapier „Flucht – Asyl – Migration – Integration“) von Verfahrenszentren. Bei den Grünen war im Wahlprogramm 2019 von „kleinen, offenen Erstaufnahmezentren auf EU-Gebiet“die Rede. Und die Neos nennen sie in ihrem Parteiprogramm Aufnahmezentren. Personen mit negativem Asylbescheid sollen umgehend in die Herkunftsländer zurückgeschickt werden – auch das ist rotgrün-pinke Position. Unter Berücksichtigung freilich des Refoulment-Verbots (niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo ihm Tod oder Folter droht). Und unter Anwendung des humanitären Bleiberechts, wie vor allem die Grünen betonen. In den Herkunftsregionen brauche es „Schutzzentren“– allerdings unter menschenwürdigeren Bedingungen als etwa in libyschen Lagern, wie Neos und Grüne meinen. Die SPÖ spricht hier von „UNHCR-konformen Verfahrenszentren in den Herkunftsregionen“.
Alle drei sind für einen verbesserten Schutz der EU-Außengrenze. Und für eine gerechte Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU. Grüne und Neos wollen Asylwerbern auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erlauben (die Neos allerdings erst nach sechs Monaten). Hier würde aber wohl die SPÖ Einspruch erheben: Man kann sich höchstens Ausnahmen für Mangelberufe vorstellen.
In der Staatsbürgerschaftsdebatte sind alle drei Parteien für leichtere Zugänge, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln: Die SPÖ will, dass hier geborene Kinder automatisch den Pass erhalten, die Grünen formulieren das zwar nicht gleich, wollen aber ebenfalls Erleichterungen – wie auch die Neos, die vor allem leichteren Zugang zu Doppelstaatsbürgerschaften verlangen.
Und der deutsche Geschlechtertausch, vor dem Sachslehner so eindringlich warnt? Die SPÖ hält sich bei dem Thema zurück, die Grünen wollen es im Detail bei einer Klausur im Herbst besprechen, wie sie erklären – und für die Neos ist die Sache nicht mehr als ein „Schreckensgespenst der ÖVP-Generalsekretärin“.