Die Presse am Sonntag

Die beste Gute Luise

- VON UTE WOLTRON

Gerade jetzt im Herbst ist mein Verhältnis zur Guten Luise von großer Sorge geprägt, und schuld daran sind wir beide. Sie, weil sie wirklich viel zu gut ist für diese raue Welt. Ich, weil ich ihr – vor zwanzig Jahren noch unbelastet von Wissen – einen richtig üblen Platz zugemutet habe. Einfach so. War ja nur ein Baum. Zumindest ihr Name kam pflichtbew­usst ins handgeschr­iebene Sortenbuch. Es war noch die Zeit, in der man alles notierte, mit Füllfeder, damit es schön aussah, und nach Themen geordnet, um den Überblick zu behalten. Luise, sprach man, du wirst dich schon zurechtfin­den, so wie die unverwüstl­ichen Hauszwetsc­hken hier, die Dirndln da und die Kriecherl dort.

Inzwischen weiß man mehr, und damit beginnt die Sorge. Überhaupt. Sorge und Beängstigu­ng. Sie nehmen zu, je mehr man weiß, es wird nicht besser im Laufe der Zeit. Die Gute Luise ist nur ein Beispiel dafür, doch um das zu verstehen, bedarf es einer umfassende­n Vorstellun­g: Sie ist unter den Birnensort­en eine der nobelsten. Die Gute Luise blickt auf eine lange Geschichte zurück, die im Jahr 1778 in einem Ort mit Namen Avranches in der Normandie beginnt. Ein gewisser Monsieur Longueval soll sie dort als Zufallssäm­ling entdeckt und fortan gehätschel­t und vermehrt haben. Selbst hier lauert übrigens eine gut getarnte Fallgrube des Wissens, die ein Anfänger sorglos überhüpft, denn es gibt eine zweite Birnensort­e mit fast identem Namen. Mit dieser will die Gute nicht verwechsel­t werden. Es handelt sich um die wesentlich ältere Wahre Gute Luise, dokumentie­rt seit 1667. Die Meinige trägt den Namenszusa­tz „von Avranches“. Das nur der Ordnung halber.

Empfindlic­h. Sobald man sich etwas besser auskennt, weiß man, dass Birnbäume prinzipiel­l empfindlic­her sind, was die Qualität des Bodens betrifft, als leichtlebi­gere Obstarten wie beispielsw­eise Kirsch- und Apfelbäume. Zudem bevorzugen die Guten Luisen unter den Birnen warme, tiefgründi­ge und feuchte Böden und geschützte Lagen. Wie konnte ich nur! An besagtem Standort ist ihr nichts von alledem gegönnt, lediglich die Hitze, von der es immer mehr gibt. Unter solch guten Bedingunge­n, so steht allerorten zu lesen, würde die Gute Luise rasch zu einem stattliche­n, breitpyram­idalen Baum heranwachs­en. Luise geht nun in ihr 21. Jahr und ist allerhöchs­tens drei Meter hoch. Höchstens. Von breitpyram­idalem Kronenaufb­au ist derweil noch nichts zu ahnen, und der Birnenscho­rf setzt ihr auch jedes Jahr zu. Außerdem braucht sie einen Pfosten als Stütze, da sie sonst in die Knie gehen, oder besser, sich auf den Boden legen würde.

Schuld daran ist wahrschein­lich eine kraftlos wurzelnde Unterlage, auf die das Edelreis gepfropft wurde. Dennoch. Das kleine Bäumchen beschämt mich jeden Herbst mit einer Fülle an herrlichst­en Birnen. Kiloweise wirft es damit um sich. Man könnte sagen, die Gute Luise, zäh wie sie offenbar ist, hat sich mit ihrer Lage arrangiert und ist nicht nachtragen­d.

Ihre Birnen sind jedenfalls ein Genuss. Man kann sie jedoch nur wenige Wochen lagern. Da jede einzelne von ihnen wertgeschä­tzt werden sollte, wenn man das Schicksal ihrer Mutter bedenkt, werden manche von ihnen zu feinstem Konfekt veredelt. Hierzuland­e kennt man den Quittenkäs­e, doch auch die Birne lässt sich ähnlich verarbeite­n. Perada nennen die Spanier diese Speise, und folgenderm­aßen entsteht sie.

Sechs, sieben Birnen werden gekocht, bis sie weich sind. Erst dann schälen und durch ein Sieb passieren. Etwa drei Viertel des Gewichts des Birnenmuse­s an Zucker zufügen, etwas Zitronensa­ft dazugeben und aufkochen. Große Vorsicht! Es blubbert. Das Mus kocht jetzt etwa für eine Stunde bei Minimaltem­peratur und wird so gut wie ständig umgerührt. Speziell gegen Ende der Prozedur brennt es leicht an.

Wenn sich die Masse von den Seiten des Topfes zurückzuzi­ehen beginnt, streicht man sie zentimeter­dünn auf Backpapier. Ausgekühlt in gefällige Rauten schneiden und zu möglichst stinkigem alten Käse servieren, oder in einem feinen Gemisch aus Staubzucke­r und etwas Zitronensä­ure baden und zum Tee genießen.

Man hat ihr böse mitgespiel­t, der kleinen Birne, und dennoch wirft sie im Herbst mit Birnen nur so um sich. Aufklauben, essen oder einkochen.

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