Die Presse am Sonntag

»Die Panik ist erst viel später gekommen«

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Als sie die Schüsse hörten, war für Lydia Lechner sofort klar: Das ist ein Maschineng­ewehr. Nur 150 Meter entfernt, als der Attentäter das erste Mal das Feuer eröffnete, sei sie gestanden. „Es war schräg, ich habe mir gedacht, das betrifft mich nicht. Die Panik ist erst viel später gekommen.“

Lechner war eine von unzähligen Wienern, die den lauen Abend vor dem Lockdown noch für ein Getränk in der Innenstadt nützten. Sie und ihre zwei Freunde seien einfach weiter spaziert, erzählt sie. Weg von den Schüssen zwar, aber von einem Besuch in der Bar unweit des Schwedenpl­atzes ließ man sich nicht abhalten.

„Rein! Rein! Amoksituat­ion!“Erst mit den Schreien eines vorbeifahr­enden Polizisten war klar, dass es ernst sei. „Wir sind in das Lokal geflüchtet, irgendwann wurde die Tür zugesperrt und das Licht abgedreht. Man sah nur noch große Augen. Und ja, dann ist die Panik gekommen.“

Schlimm sei es gewesen, als die Kellnerin plötzlich zu schreien begonnen habe. Ein Anruf aus dem Partnerlok­al: Eine Kollegin liege angeschoss­en vor der Tür.

„Einige sind in den Keller geflüchtet, wir sind über den Notausgang in den Innenhof.“Was Lechner erstaunte habe, war die rasche, klare Rollenvert­eilung der Anwesenden. „Manche waren panisch, andere haben getröstet, aber die Solidaritä­t hat man gespürt.“Eine Bewohnerin des Hauses habe sie mit Solettis versorgt und ihre Toilette zur Verfügung gestellt. „Die meisten Türen blieben aber zu.“

Bis vier Uhr habe man so ausgeharrt, Lechner schaut immer wieder die Nachrichte­n, schreibt an ihre Freunde: „Ich bin im schönsten Innenhof von Wien.“

Bis heute am traumatisi­erendsten sei jener Moment gewesen, als die Polizei die Bar geräumt habe. „Wir sind zehn Minuten an die Wand gestellt worden, vor Maschineng­ewehren. Egal, was wir gesagt haben, die haben ihr Ding durchgezog­en.“Die Angst, die man versucht hatte, sich gegenseiti­g zu nehmen, war wieder voll da.

Heute denkt Lechner nicht mehr oft an die Nacht. „Man muss sich den Ängsten stellen. Ich war gleich am nächsten Tag wieder im ersten Bezirk.“Die Kundgebung­en, das Gefühl, nicht allein zu sein, hätten enorm geholfen. Nicht allen sei es so leicht gefallen: Ihr Freund sei noch nach Wochen völlig paralysier­t gewesen.

Mit ihm, mit den Menschen in der Bar, mit der Kellnerin und den Besitzern habe sie verabredet, sich in genau einem Jahr wieder zu treffen und gemeinsam anzustoßen. „Ich hoffe, ich sehe sie dort.“twi

durch den Bataillons­kommandant­en alarmiert – aus einem normalen Journaldie­nst zu Allerseele­n wird das Herstellen der Einsatzber­eitschaft einer Militärpol­izeikompan­ie. Zunächst besteht ihre Aufgabe darin, Militärpol­izisten aus Wien und Niederöste­rreich – ihrem Zuständigk­eitsbereic­h – zu mobilisier­en und für ein mögliches Einschreit­en vorzuberei­ten. Zu diesem Zeitpunkt ist noch unklar, ob die vor Ort befindlich­en Einheiten der Polizei akute Unterstütz­ung brauchen werden.

„Innerhalb von nur 45 Minuten trafen mehr als 30 Militärpol­izisten in der Maria Theresien-Kaserne ein und standen schwer bewaffnet bereit“, sagt Hofer. In weiterer Folge bekommt sie den Auftrag, eine Einheit, bestehend aus Militärpol­izisten aus ganz Österreich, zu formieren. Bei einem Ausrücken dieser Truppe hätte sie den Einsatz vor Ort geleitet. Dazu kommt es aber nicht, erst ab dem nächsten Morgen übernehmen sie erste Aufgaben und beschützen Gebäude der Israelitis­chen Kultusgeme­inde.

„Ich denke noch oft an diese Nacht zurück“, sagt Hofer. „Daran, wie schnell und bereitwill­ig sich alle zum Dienst meldeten, obwohl sie frei hatten und keine Details über den bevorstehe­nden Einsatz kannten. Auch für mich selbst sind die Erfahrunge­n eine Bestätigun­g dafür, dass wir trotz der Umstände durch die Covid-Schutzmaßn­ahmen jederzeit imstande sind, unseren Auftrag zu erfüllen.“Die Ereignisse schockiert­en sie zwar noch immer, schließlic­h seien ihr solche Anschläge bis dahin nur aus dem Ausland bekannt gewesen. „Aber darüber hinaus habe ich keine negativen Emotionen. Nichts, was mich immer noch belasten würde. Auf Einsätze wie diese sind wir vorbereite­t worden, und als der Ernstfall eintraf, waren wir bereit. Wir haben als Team funktionie­rt.“kb

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