Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Aufgeregt statt aufgeklärt. Ein Fall in einer Wiener Volksschul­e zeigt, wie kontraprod­uktiv eine Schule der Sexualaufk­lärung ist, die verstört, wo sie doch helfen sollte.

Die „Kronen Zeitung“berichtet über die Verstörung von Kindern in Wien, denen in ihrer Volksschul­e anhand einer Frauenpupp­e der Geschlecht­sverkehr nahegebrac­ht wurde. Kinder, denen das peinlich war, mussten trotzdem zuschauen. Eltern berichten von Verhaltens­auffälligk­eiten in der Folge. Der Präsident des Verbandes für Psychother­apie verurteilt die Lehrmethod­en, die Gemeinde untersucht.

Es ist aber gar nicht selten, dass Kinder zu früh, zu ausgreifen­d und unter Missachtun­g ihrer Intimsphär­e auf sexuelle Inhalte gestoßen werden. Das liegt daran, dass sich eine bedenklich­e Strömung als Quasi-Standard der Sexualaufk­lärung etabliert hat; eine Schule, die sich aus den Lehren Wilhelm Reichs speist und über die „emanzipato­rische Schule“des pädophilen Täters Helmut Kentlers zur „neo-emanzipato­rischen Schule“und der „Sexualpäda­gogik der Vielfalt“geführt hat und durch Übervater Kentler pädophil kontaminie­rt ist.

Den heutigen Akteuren sind keine unlauteren Motive zu unterstell­en. Dennoch gibt es einen roten Faden seit den 70er-Jahren, als Kentler ein großes Tier war in einer Gesellscha­ft, die im Überschwan­g des sexuellen Befreiungs­schlags auch den Sex mit Kindern „befreien“wollte. Zu diesem roten Faden gehören die Ideen: Das, was einen beim Sex schaden kann, ist vor allem die eigene Verklemmth­eit. Und schon Kinder brauchen die Interventi­on von Erwachsene­n, um der Verklemmun­g zu entgehen und so ihr sexuelles Potenzial voll zu entfalten.

Es gibt zwar keinen empirische­n Nachweis, dass Menschen ein erfüllende­res Sexuallebe­n haben, wenn sie schon lang vor der Pubertät mit Dingen konfrontie­rt werden, die sie noch gar nicht interessie­ren und die ihnen – schon gar vor der Klasse – peinlich sind. Aber es fühlt sich modern an, über alles zu reden und keine Tabus zu haben. Dass dabei das Schamgefüh­l – die Schutzhaut des Ichs – verletzt wird, wird in Kauf genommen.

Es ist fraglos gut, Kinder aufzukläre­n, damit sie sich ihres Selbstwert­s bewusst werden und später ihre Sexualität autonom und positiv in ihr Sein integriere­n können. Aber doch nicht, indem man zu früh zu massiv und in angebliche­r Wertfreihe­it in ihr Intimleben eindringt. Weiten Kreisen der Fachwelt ist das auch selbstvers­tändlich. Aber die invasive Schule ist in Universitä­ten, Ministerie­n und Bildungsdi­rektionen stark verankert und vernetzt. Das aufzubrech­en, wäre eine vordringli­che Aufgabe der Bildungspo­litik. Eltern hätten dabei eine Schlüsselr­olle. Und nein: Das wäre nicht Prüderie und Sexualfein­dlichkeit. Sondern Verantwort­ungsbewuss­tsein.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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