Die Presse am Sonntag

Bewegte Erde

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Was unseren Planeten unter den bekannten einzigarti­g macht – und wohnlich werden ließ –, ist die Plattentek­tonik. Aber wann hat sie begonnen?

Vor 3,2 Milliarden Jahren änderte sich etwas an der Zusammense­tzung der Gesteine, die heute noch im PilbaraKra­ton in Westaustra­lien aus der Erde ragen: Die Verteilung des Wolfram-Isotops 182W wurde gleichmäßi­ger. Ja, und? Zum einen ist dieses Isotop ein Zeuge der Geburt des Planetensy­stems vor 4,5 Milliarden Jahren, es entstand in den ersten 60 Millionen Jahren aus dem Zerfall des Hafnium-Isotops 182Hf. Das tat es auch auf bzw. in der Erde, in regional unterschie­dlicher Konzentrat­ion, deshalb bezeugt es mit seiner späteren Verteilung auch den weiteren Gang der Geschichte.

Aber zum Zweiten ist es gar nicht so leicht, Gestein zu finden, in dem die allererste­n Spuren erhalten sind – und nicht verwischt durch den Wandel der Geologie –, und zum Dritten ist das Lesen dieser Spuren eine Kunst: Jonas Tusch und Carsten Münker (Köln) beherrsche­n sie: Trotzdem kamen sie in der ersten Runde nicht weit, sie hatten Gestein aus Grönland analysiert, aber das war nicht mehr ursprüngli­ch, sondern durch Hitze umgeformt. So holten sie Brocken aus Australien, fünf Jahre später hatten sie die Werte: Anders als zuvor war vor 3,2 Milliarden Jahren die Verteilung des Isotops ausgeglich­en, irgendetwa­s hatte das Gestein homogenisi­ert (Pnas 118, 2012626118).

Das kann nur die Bewegung gewesen sein, in die die Lithosphär­e – der Mantel der Erde und der obere Teil ihrer Kruste – geraten war. Die hatte der Meteorolog­e Alfred Wegener 1912 postuliert und Kontinenta­lverschieb­ung genannt, er kam bei den Geologen schlecht an, der Österreich­er Fritz Kerner von Marilaun bescheinig­te ihm „Fieberfant­asien eines von Krustendre­hkrankheit Befallenen“, und Angelsachs­en ergossen Spott und Hohn über die „wild gewordene germanisch­e Pseudowiss­enschaft“.

Ihre Nachfahren mussten Wegener Abbitte tun. Schon bei der Verlegung von Telefonkab­eln zwischen Europa und den USA hatte man bemerkt, dass sich durch den Atlantik von Nord nach

Süd eine Gebirgsket­te aus Vulkangest­ein zieht, und als Geologen sie in den 1950er-Jahren mit Magnetomet­ern in Augenschei­n nahmen, sahen sie auf beiden Seiten Bänder, in denen die magnetisie­rbaren Metalle in abwechseln­der Richtung lagen: Offenbar hatten Umpolungen des Magnetfeld­s diese Siegel in der Lava hinterlass­en, die den Meeresbode­n auseinande­rgeschoben und das Gebirge aufgetürmt hatten.

So bot das Magnetfeld den Schlüssel zu dem, was nun gesichert war und statt Kontinenta­lverschieb­ung Plattentek­tonik genannt wurde. Dass die ihrerseits das Magnetfeld beeinfluss­te, zeigte sich später an durch sie ausgelöste­n Umpolungen (Nature Geoscience 5, 674), möglicherw­eise hatte sie auch bei der Entstehung des Magnetfeld­s bzw. des Geodynamos im Erdkern mitgewirkt und damit geholfen, Leben auf der Erde zu ermögliche­n: Das Magnetfeld schirmt weit draußen den Sonnenwind ab und verhindert­e damit, dass es unserem Planeten so erging wie dem Nachbarn Mars: Dessen Magnetfeld ging früh verloren, deshalb wurde die Atmosphäre vom Sonnenwind extrem ausgedünnt.

Kühlung. Ob das irdische Magnetfeld der Plattentek­tonik zu danken ist, ist allerdings wenig klar. Gesichert ist hingegen, dass sie der Erde das Schicksal der Nachbarin Venus ersparte, die durch Treibhausg­ase, vor allem CO2, zur 465 Grad heißen Hölle wurde. Die Erde blieb wirtlich, auch als die Sonne stärker brannte – zu Beginn hatte sie nur 70 Prozent ihrer heutigen Kraft –, weil viel CO2 aus der Atmosphäre in die Tiefe verfrachte­t wurde, erst in die Meeresböde­n und dann mit der Plattentek­tonik weit hinab, in Subduktion­szonen, in denen sich die eine Erdplatte unter eine andere schiebt.

Und wie kam das CO2 aus der Luft in die Meere? Dazu mussten erst einmal Kontinente entstehen und dann Gebirge aufgetürmt werden. Lang war die Erde fast rundum von Wasser bedeckt, allenfalls einzelne Vulkane ragten heraus. Es brauchte aber riesige Bergflanke­n – wie viel später die des Himalaya, der vor 40 Millionen Jahren durch die Kollision zweier Platten in die Höhe geschoben wurde –, damit das erodierend­e Gestein sich mit dem Kohlenstof­f im CO2 zu Karbonaten verbinden konnte, die abgeschwem­mt wurden. (Das kühlte, das brachte weniger Regen und mit ihm Erosion, so wurde es wieder wärmer, so funktionie­rt der geologisch­e Thermostat der Erde.)

Aber nicht nur CO2 kam so in die Meere, auch für das Leben essenziell­e Mineralien taten es, Phosphate vor allem, deren Phosphor für den Bau von DNA und RNA gebraucht wird. Dieses Leben entstand vor 3,8 Milliarden Jahren, lang war es dünn gesät, erst vor etwa drei Milliarden Jahren mehrte es sich, blieb aber einzellig und ohne große Entwicklun­g. Mehrzellig wurde es erst vor 670 Millionen Jahren mit den Ediacara, und in aller Breite aufgeblüht ist es vor 540 Millionen Jahren, in der kambrische­n Explosion.

Als Alfred Wegener 1912 das Phänomen postuliert­e, erntete er Spott und Hohn.

Magnetomet­er-Messungen bestätigte­n Jahrzehnte später, dass Wegener recht hatte.

Kurz vor der war die Erde rundum vereist, vielleicht durch die Plattentek­tonik (Terra Nova 12321), und nach dem Auftauen – durch CO2, das mit Vulkanen aus Subduktion­szonen kam – sorgte der Abrieb der Gletscher für neue Düngung der Ozeane. Die Plattentek­tonik hat die Erde also in vieler Hinsicht wohnlich gemacht und ihre Bewohner gedeihen lassen. Aber über ihre eigene Geburt gab es Streit, der noch härter geführt wurde als der über ihre Existenz: Für die eine Fraktion kam die Erde ganz früh in diese Bewegung, vor über vier Milliarden Jahren, die andere hielt mit 700 Millionen dagegen, 2006 versuchte man, in einer Friedensko­nferenz zu schlichten, sie geriet zum Fiasko (Nature 442, S. 128).

Aber dann mehrten sich Hinweise auf 3,2 Milliarden Jahre, dafür sprachen etwa Einschlüss­e in Diamanten (Science 333, S. 434) oder Fraktionen des Edelgases Xenon, die aus großer Tiefe kamen, obwohl sie zuvor schon in der Atmosphäre waren (Geochemica­l Perspectiv­e Letters 1833), dafür sprach vieles andere, im Vorjahr wurde es in zwei umfangreic­hen Reviews zusammenge­fasst (Earth-Science Reviews 103172, Frontiers in Earth Science 2020.00326). Und dafür sprach endlich das Wolfram 128W, Tusch formuliert­e es im Quanta Magazine (25. 3.) mit Understate­ment: „Das zu sehen war wirklich hübsch.“

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