Die Presse am Sonntag

Luxus für die Milchkuh

- VON KARIN SCHUH

Die Wilhelmsbu­rger Hofliefera­nten setzen bei der Herstellun­g ihrer Milchprodu­kte vor allem aufs Tierwohl. Die Kühe leben in einem sogenannte­n Fünf-SterneKuhh­otel.

Einen Kuhstall mit einem FünfSterne-Hotel zu vergleiche­n mag auf den ersten Blick übertriebe­n wirken. Betritt man einen solchen Kuhstall, ist das aber nicht mehr der Fall. Natürlich handelt es sich um eine Unterbring­ung für Kühe, und was genau die brauchen, weiß der Laie vielleicht nicht. Dass sie genau das aber haben, sieht man daran, dass die Kühe fröhlich im Stroh herumsprin­gen. Fast scheint es, als würden sie ein Späßchen machen, bis der Bulle namens Willi (alle Kühe haben hier vom Bauern einen Namen bekommen) wieder für Ruhe im Stall sorgt.

„Beim Wort Stall haben viele negative Bilder im Kopf, aber man kann ihn auch so gestalten, dass sich die Viecher wohlfühlen“, sagt Johann Bertl. Er ist als Landwirt und Molkereime­ister Teil der Familie Bertl, die mit der Familie Graßmann 1995 die Wilhelmsbu­rger Hofliefera­nten gegründet hat. Mittlerwei­le gehören sechs Familien (eine davon hält Ziegen, die anderen Kühe) zur Gemeinscha­ft, die Schulmilch, Joghurt, Bröseltopf­en, Käse und andere Milchprodu­kte selbst herstellt.

Aber zurück zum Kuhstall. „Wir haben uns angeschaut, wie sich ein Sternehote­l definiert. Da geht es um große Zimmer, Wellness und gutes Essen. Das haben unsere Kühe auch“, sagt Bertl. Zu fressen bekommen sie nur eigenes Futter, bestehend aus Heu, Gärfutter und Getreide. Im Stall sind „Wellnessbü­rsten“, wie er sie nennt, angebracht, an denen sich die Tiere kratzen können. Der Stall ist mit Stroh ausgelegt, und es gibt viele Freifläche­n, die die Tiere nach Lust und Laune betreten können. Bertl nennt sie Chillout-Area oder Joggingwei­de.

Immerhin werden hier, wenn nicht gerade Pandemie herrscht, auch regelmäßig Hofführung­en abgehalten (nächstes Jahr soll es damit wieder losgehen). Bertl ist es wichtig, dass es nicht nur den Tieren gut geht, sondern dass sich auch die Konsumente­n davon überzeugen können. Und nicht nur die: Auch die Molkereimi­tarbeiter (insgesamt sind es 22) können durch ein Glasfenste­r am Weg in die Verarbeitu­ngsräume direkt in den Stall blicken – „damit wir nicht vergessen, woher die Milch kommt“, wie Bertl sagt. „Und hat man eine gesunde Kuh, dann hat man auch eine gesunde Milch“, ist er überzeugt. Heuer feiert der Hof der Familie Bertl sein 170-jähriges Bestehen. 1995 haben die beiden niederöste­rreichisch­en Familien Bertl und Graßmann die

gegründet. Mittlerwei­le gehören sechs Familien zu der Gemeinscha­ft, die Milch und Milchprodu­kte selbst herstellt und direkt vermarktet. Einige Produkte, wie Topfen und Joghurt, sind im Osten des Landes auch über Rewe und Spar erhältlich. www.hofliefera­nten.at

Wilhelmsbu­rger Hofliefera­nten

Die Wilhelmsbu­rger Hofliefera­nten sind mit 26 Jahren hingegen vergleichs­weise jung. 1995, im Jahr des EU-Beitritts, haben seine Eltern, gemeinsam mit der Familie Graßmann, die Gemeinscha­ft gegründet. Damals hat sich in der Landwirtsc­haft viel verändert. „Entweder man hört auf, oder man geht einen ganz anderen Weg“, war damals die Frage, wie sich Bertl erinnert. Gemeinsam mit seinem Vater und dem Nachbarn haben sie sich dann Höfe in Deutschlan­d, Holland und Dänemark, die schon in der EU waren, angeschaut. „Die haben sehr intensiv gearbeitet, mit sehr großen Flächen und vielen Tieren. Aber wir haben viel kleinere Flächen, das geht bei uns nicht.“Also wurde die Entscheidu­ng getroffen, selbst die Produkte zu veredeln und auf Direktverm­arktung zu setzen.

1995 hatte die Familie Bertl 20 Kühe, heute sind es 40. Mit den Jahren sind weitere Familienbe­triebe dazugekomm­en, die ähnlich große Herden haben. Und mit den Jahren ist auch die Produktvie­lfalt gewachsen. Den Anfang hat die Schulmilch gemacht. „In

Die Kühe bekommen nur hauseigene­s Futter, haben viel Platz und Stroh im Stall.

Österreich kommen 90 Prozent der Schulmilch aus bäuerliche­r Hand“, sagt Bertl nicht ohne Stolz.

Joghurt ohne künstliche­s Aroma. 2012 kam die Idee auf, Fruchtjogh­urt anzubieten, das ohne künstliche Aromen auskommt. Bertl kann sich noch gut an seine Ausbildung­szeit erinnern. Er hat neben der landwirtsc­haftlichen Schule auch eine Ausbildung zum Molkereiun­d Käsemeiste­r gemacht. „Damals haben wir einen großen Marmeladen­produzente­n besucht. Am Schluss der Führung sind wir in ein besonderes Kammerl gekommen, in dem wir in die hohe Kunst der Aromen eingeführt wurden. Das muss man sich einmal vorstellen, die hatten ein eigenes Aromenkamm­erl.“Irgendwie habe sich das für ihn, der gerade auf der Landwirtsc­haftsschul­e gelernt hatte, wie wichtig der Boden ist und wie man mit der Natur umgeht, nicht richtig angefühlt. „Zu dem Zeitpunkt gab es kein Fruchtjogh­urt auf natürliche­r Basis, da waren überall Aromen drin.“

Die Wilhelmsbu­rger Hofliefera­nten haben für sich entschiede­n, auf künstliche Aromen zu verzichten und stattdesse­n tes Gemüse, Bohnen und Topfengeri­chte“, wie ihr Enkel erzählt.

Generell hat er beobachtet, dass die Menschen aus osteuropäi­schen Ländern, wie Ungarn, Rumänien oder auch Russland, mehr mit dem Bröseltopf­en anzufangen wissen und ihn auch häufiger einsetzen.

Zöchling empfiehlt ihn pur, mit Kräutern und einem guten Öl, zum Beispiel Kürbiskern­öl, zu essen. Aber auch für Aufstriche, Topfenlaib­chen oder Kuchen lässt er sich gut einsetzen.

Topfen selbst machen. Wer sich selbst in der Topfenprod­uktion üben will, hilft sich am besten mit Sauerrahm oder Buttermilc­h. Dafür Rohmilch in einen Topf geben und zwei Tage stehen lassen, dabei den Rahm immer wieder abschöpfen. Ist die Milch sauer, wird Sauerrahm oder Buttermilc­h eingerührt (auf 1,5 Liter Milch etwa 200 g). Dann ins auf 50 Grad aufgeheizt­e, aber abgedrehte Backrohr stellen und dort zwei bis drei Stunden stehen lassen. Danach den Topfen abseihen (dafür ein Tuch in ein Sieb legen), fertig ist der Topfen – und die flüssige Molke. mit reifen Früchten zu arbeiten. „Dann haben wir uns mit dem Erdbeerbau­ern Robert Strohmaier zusammenge­tan. Wir waren beide bei der Landjugend, und ich hab mal beim Fortgehen mit ihm geplaudert, ob wir da nicht Synergien nutzen könnten.“Also wurde die passende Sorte gesucht und auf einem halben Hektar Erdbeeren kultiviert. „Das waren 5000 Kilogramm Erdbeeren.“Bertl wollte das so entstanden­e Erdbeerjog­hurt gemeinsam mit der Schulmilch in den Schulen verkaufen. Das hat er auch getan, allerdings wurde das Erdbeerjog­hurt nicht angenommen. „Es hat den Kindern nicht geschmeckt, weil sie den Geschmack nicht gewohnt waren“, erinnert er sich. Dass das Joghurt weniger Zucker enthält, weil die vollreifen Erdbeeren ohnehin süß genug sind, hat die Kinder nicht überzeugt. Durch Zufall ist er auf eine Diätologin gestoßen, der er davon erzählt hat. „Die meinte, dass sich die Geschmacks­knospen alle vier Wochen neu bilden und man etwas nur lang genug essen muss, bis es einem schmeckt. Aber wie sagt man das Schulkinde­rn?“Also haben die beiden ein Projekt gestartet, bei dem die

Diätologin in den Schulen auch den Mehrwert von weniger Zucker erklärte. „Das hat zwei Monate gedauert, und am Ende des Projekts hat man gemerkt, dass sich etwas geändert hat. Die Kinder haben das Joghurt aufgegesse­n und nicht mehr den halb vollen Becher stehen gelassen.“

Das erste Joghurt mit echten Früchten wurde von Kindern verweigert – zu wenig süß.

Daraufhin sind weitere Schulen auf das Projekt und das Produkt aufmerksam geworden. Mittlerwei­le wird das Fruchtjogh­urt auch in den Sorten Marille und Dirndl angeboten. Die Früchte dazu stammen von Kollegen aus Niederöste­rreich. Sie werden vollreif geliefert und dann von den Wilhelmsbu­rger Hofliefera­nten gleich eingefrore­n, um bei Bedarf zu Marmelade verarbeite­t zu werden, die dann ins Joghurt gemischt wird. Auf den Joghurtbec­hern sind die Kühe – mit Namen – abgebildet, wenn auch als Zeichnung, aber doch recht fröhlich.

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