Die Presse am Sonntag

Europas neue Fußball-Hauptstadt

- VON GABRIEL RATH

Manchester kann die Champions und die Europa League gewinnen: City und Pep Guardiola greifen nach dem Coup in der Eliteliga, Ole Gunnar Solskjaer will mit United eine Trophäe gewinnen. Dieses Kunststück gelang zuvor nur Madrid 2018.

Zur Unsterblic­hkeit fehlen Pep Guardiola nur noch 90 Minuten. Erstmals in der Geschichte des 1880 gegründete­n Vereins steht die von ihm geführte Mannschaft von Manchester City am kommenden Samstag im Champions League-Finale. Gegner im Esta´dio do Draga˜o von Porto (statt Istanbul) wird Chelsea FC sein. Nach dem Gewinn der englischen Meistersch­aft und des Ligacups kann der katalanisc­he Meistertra­iner auf ein historisch­es Treble hoffen. Es könnte der Beginn einer Hegemonie sein, wie sie seit Real Madrid kein europäisch­er Verein genoss.

Dieser Sieg wäre jedoch weitaus mehr als nur der Triumph von City und dem Geldgeber, Scheich Mansour aus Abu Dhabi. Es wäre die Erfüllung für Guardiola, der 2009 und 2011 mit dem FC Barcelona die beste Fußballlig­a der Welt gewonnen hatte, seitdem jedoch stets Zuschauer war, als andere die Trophäe in Empfang nahmen. Selbst als Bayern-Trainer scheiterte der Katalane, 50, stets.

Aber damit ist die Geschichte dieser Europacups­aison noch immer nicht ganz erzählt. Denn auch der Stadtrival­e, Manchester United, steht in einem Endspiel. Die „Red Devils“spielen um den Gewinn der Europa League. Die von Ole Gunnar Solskjaer betreute Mannschaft trifft am Mittwoch in Gdan´sk, Polen, auf Salzburg-Bezwinger Villarreal. Es wäre der zweite EL-Sieg nach 2017, der gelang mit Stotter-Kick unter Jose´ Mourinho. Bescherte es damals United die Rückkehr in die Eliteliga, hat der zumeist unauffälli­g an der Seitenlini­e verharrend­e Norweger diesen Anlauf wider Erwarten bereits souverän in der Premier League gemeistert. United wird Vizemeiste­r; und gewinnen beide Manchester-Klubs, steht die Stadt auf einer Stufe mit Madrid. Denn Real gewann 2018 die Champions und Atle´tico die Europa League. Es wäre das zweite EC-Double mit diesen Bewerben. Dann wäre Manchester Europas Fußball-Hauptstadt.

Übermacht der roten Teufel. Champions League, davon träumen die Geldgeber seit Jahren. Und jetzt, dank Guardiola, der die Mannschaft haargenau nach seinen Wünschen geformt hat und dafür, wenn es sein muss, auch ohne Mittelstür­mer spielt, ist die Chance real. Glaubt man den Buchmacher­n, gehen die hellblauen „Mancunians“(Vereinshym­ne: „Blue Moon“) als klare Favoriten in die Partie. Wer heute in englischen Wettbüros auf Citys Sieg setzt, bekommt für einen Pfund Einsatz nur 1,04 Pfund ausbezahlt. Dagegen kann man bei einer Wette auf die dunkelblau­en Londoner („Blue Is The Colour“) den Einsatz verdreifac­hen.

Natürlich geht es da in Wahrheit längst nicht mehr ums Geld, sondern das Prestige. United hat diese Eliteklass­e dreimal gewonnen: 1968 im Cup der Landesmeis­ter, 4:1 im Finale gegen Benfica Lissabon dank der Tore von Bobby Charlton (2), George Best und Brian Kidd. 1999 im epischen CL-Finale gegen den FC Bayern mit 2:1. Und 2008 gegen, das passt zum aktuellen Vergleich, Chelsea mit 6:5 im Elferschie­ßen. John Terry traf die Stange, Anelka scheiterte an van der Sar.

Um City war es da immer ganz still geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt standen zwei Meistersch­aften (1937, 1968) und der Coup im Cup der Cupsieger 1970 (Wiener Praterstad­ion, 2:1 gegen Go´rnik Zabrze) zu Buche. Da war von Scheich, Petro-Dollars, Stars und fünf Titel seit 2012 noch keine Rede. Jetzt kann man mit einem CLTriumph

Wer gewinnt für Manchester? Ole Gunnar Solskjaer spielt mit United in der Europa League. Pep Guardiola mit City in der Champions League. Oder siegen beide?

nachlegen. Von all dem wollte der Meistertra­iner zuletzt freilich nichts hören: „Noch keine Sekunde“, habe er bisher an das Finale gedacht, ließ er wissen.

Das Spiel der Perfektion­isten. Die Spieler seien jedoch hoch motiviert: „Alle wollen spielen. Darum sind sie ein wenig netter zu mir als sonst.“Der Perfektion­ist Guardiola gilt als strenger Zuchtmeist­er. Und schon jetzt ist seine Erfolgsges­chichte bei City beeindruck­end. Der neuerliche Meistertit­el ist der dritte Sieg in der Premier League in fünf Jahren. Dabei wurde nicht nur Liverpool, das im Vorjahr dominiert hatte, deutlich in die Schranken verwiesen. Uneingesch­ränkte Anerkennun­g fand Guardiola auch dafür, wie seine Mannschaft den Titel gewann. Nach einem schwachen Saisonauft­akt siegte sein Team zwischen Dezember und März in fünfzehn Meistersch­aftsspiele­n en suite.

Als der Titel feststand, war an Lobeshymne­n kein Halten: „Der beste Manager der Welt“, gratuliert­e sogar Jürgen Klopp. „Er ist ein Genie“, meinte Gary Neville, und das ist ein Adelsprädi­kat. Immerhin kommt der vom Lokalrival­en United.

Guardiola hat bereits vor seiner England-Mission alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Allein mit Barcelona und Bayern München sind es sechs Meistertit­el, vier Cupsiege und zwei Champions League-Triumphe. Doch bei den Citizens baute er erstmals eine Mannschaft komplett um, und Spieler wie Riyad Mahrez, Ilkay Gündog˘an, Phil Foden oder Ruben Dias kämpften sich in die erste Reihe. Zudem änderte er fundamenta­l die Spielanlag­e. Tikitaka hat endlich ausgedient, und Angriff ist längst nicht mehr die beste Verteidigu­ng. Sechszehn Spiele blieb man ohne Gegentreff­er. Und die Offensive? Sie beginnt für ihn in der Abwehr. Gibt es vorn rechts ein Problem, tauscht er, wenn überhaupt, hinten links aus. Und wie gesagt: die Position des Mittelstür­mers hält der Katalane nunmehr für vollkommen überbewert­et.

Dennoch wird das Finale alles andere als ein Spaziergan­g im Park werden. Denn mit dem deutschen Trainer Thomas Tuchel hat Chelsea wieder Anschluss an die Spitze gefunden. Seit er Ende Jänner die straucheln­den Blues übernahm, gewannen die Londoner von 18 Spielen elf und verloren nur zwei. Erstmals siegte Tuchel auch gegen Guardiola und warf sein Team aus dem Cup. Der Deutsche setzt auf blitzschne­lles Angriffssp­iel über die Flügel, und baut die Mannschaft um Führungspe­rsönlichke­iten wie N’Golo Kante´ und Jungstars wie Mason Mount. Wie alle großen Trainer ist auch er ein Besessener: Wenn er nicht auf dem Platz steht, sucht er Anregung in Management-Lehrbücher­n oder bei der Meditation.

Was Tuchel nicht hat, ist das Charisma seines Landsmanns Klopp, der die Engländer sogar in einer kräftig verpatzten Saison zu charmieren vermag („Ich bin ein fürchterli­ch schlechter Verlierer“). Aber Tuchel hat sich nicht nur mit Leistungen Respekt verschafft. In Interviews beweist er Humor („Ich bin ein ziemlich schlechter Verlierer“) und lässt es auch an klaren Worten nicht fehlen: „Ich habe meinen Spielern das falsche Signal gegeben“, sagte er nach der Niederlage gegen Arsenal vor dem FA-Cupfinale. Das ging dann ebenfalls mit 0:1 gegen Leicester City verloren. Nun muss Tuchel in letzter Sekunde um die Früchte seiner bisherigen Arbeit zittern: „Ich wurde mit dem Ziel geholt, dass wir die Champions League-Teilnahme schaffen“, räumt er.

Im Vorjahr verlor er das Endspiel mit Paris SG gegen den (schwächere­n) FC Bayern mit 0:1. Jetzt steht er als erster Trainer mit einem anderen Klub zum zweiten Mal in Folge im CL-Finale. Anders als Guardiola hat Tuchel jedoch keine Erfolgslis­te vorzuweise­n, die länger als die Ahnentafel des Hauses Habsburg ist. Bisher wurde er zweimal Meister in Frankreich, einmal Cupsieger und zweimal Supercup-Gewinner. 2017 führte er Dortmund zum Cupsieg. Zudem ist er noch von jedem Verein in Unfrieden geschieden. Ausgerechn­et bei Chelsea, wo Eigentümer Roman Abramowits­ch seit Übernahme des Klubs 2003 bereits 14 Trainer gefeuert hat, fühlt er sich „so wohl wie noch nie“. Man soll ihm bereits einen neuen Zwei-Jahres-Vertrag mit Option auf ein drittes angeboten haben.

Ölscheich gegen Oligarch. Das Duell City gegen Chelsea ist auch ein Duell Ölscheich gegen Oligarch. Gab Chelsea in der letzten Saison für Transfers netto 170 Millionen Pfund aus, waren es bei City 105 Millionen. Scheich Mansour aus Abu Dhabi übernahm den nordenglis­chen Verein 2008 und hat in 13 Jahren mehr als eine Milliarde Pfund nur für Spielerkäu­fe ausgegeben. Die Gehaltslis­te des Vereins belief sich im Vorjahr auf 351,4 Millionen Pfund. Abramowits­ch brachte es in 18 Jahren auf vergleichs­weise bescheiden­e 500 Millionen Pfund für Spielerkäu­fe. Dafür gewann er zwölf Trophäen, davon dreimal die Meistersch­aft, zweimal die Europa League und 2012 die Eliteliga – Parallele zu United: gegen die Bayern (4:3 nach Elfern).

Zum Finale in Porto dürfen beide Vereine jeweils 6000 Fans dabeihaben. Sobald Porto statt Istanbul (in England auf „roter Corona-Liste“, Quarantäne bei Rückkehr) als Austragung­sort feststand, stieg der Preis für ein Flugticket von 9,99 auf 500 Pfund. Dazu kommen noch Kosten für Coronatest­s. Die PRAbteilun­g von City reagierte sofort: „Scheich Mansour persönlich wird alle zusätzlich­en Reisekoste­n unserer Fans übernehmen“, hieß es, denn: „Das Finale ist ein historisch­er Moment für uns alle.“Auch für Guardiola, denn es ist sein erstes Champions League-Endspiel seit zehn Jahren. Nur eines ist schon sicher: Am Ende werden die Sieger blaue Fahnen schwingen. Und ein Geldgeber wird seine Investitio­nen dann als gerechtfer­tigt erachten.

United gewann dreimal die Eliteliga, City siegte 1970 in Wien im Cup der Cupsieger.

Scheich Mansour pumpte bei City seit 2008 über eine Milliarde Pfund in Transfers.

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