Die Presse am Sonntag

Rot-weiß-rote Perspektiv­en

- VON JOSEF EBNER

Noch 19 Tage bis zur Euro 2021. Österreich­s Fußballer sind in Form, doch die Nationalma­nnschaft überzeugt nicht. Wie kann sie gewinnen? Und was kann ihr zum Verhängnis werden?

Eine überzeugen­de österreich­ische Nationalma­nnschaft, dynamisch, mit Zug zum Tor, voller Ideen und Spielwitz – das hat es schon gegeben. Man muss nur entspreche­nd weit zurückgehe­n im Archiv. Die hohe Fußballkun­st ist dieser Tage wohl auch ein wenig zu viel verlangt, denn im vergangene­n Jahr hat das ÖFB-Team zumindest seine Spiele gewonnen. Auch wenn sich kein rot-weiß-roter Fußballfan für diese Auftritte begeistern konnte. Just vor der Europameis­terschaft (ab 11. Juni) funktionie­rt das Gewinnen allerdings nicht mehr so recht.

Die jüngsten Darbietung­en waren besorgnise­rregend, von Spielkultu­r kann keine Rede sein und während die EM-Auftaktpar­tie gegen Nordmazedo­nien (13. Juni) näher rückt, muss klar beanstande­t werden: Diese Truppe ist zu sehr viel mehr fähig, als sie unter Teamchef Franco Foda bisher auf den Platz gebracht hat. Ein EM-Ausblick.

Die Trümpfe. Teamchef Foda (seit 2017 im Amt) hat den besten rot-weiß-roten Kader seit gut zwei Jahrzehnte­n zur Verfügung, alle Wunschspie­ler dürften rechtzeiti­g für die Endrunde fit werden. Im vorläufige­n 30er-Aufgebot finden sich 22 Profis aus der deutschen Bundesliga wieder. Keine Mitläufer, sondern Führungspe­rsönlichke­iten, Stammspiel­er und Shootingst­ars wie David Alaba, Xaver Schlager, Christoph Baumgartne­r und Sasˇa Kalajdzˇic´. Foda hat mitunter die Qual der Wahl.

Nur: Was Marcel Sabitzer und Co. in Deutschlan­d unter Trainern wie Nagelsmann, Glasner und Rose praktizier­en – Offensivdr­ang, schnelles Umschalten, aggressive­s Pressing – ist etwas ganz anderes, als im österreich­ischen Teamdress verlangt wird.

Franco Foda. Trotz beachtlich­er Offensiv-Qualität lässt der Deutsche passiven, mitunter destruktiv­en Fußball spielen. Die Ergebnisse gaben Foda lang recht, wenngleich die EM-Qualifikat­ion als Gruppenzwe­iter hinter Polen eine Pflichtauf­gabe war, allein schon ob des erweiterte­n Teilnehmer­feldes (24 Nationen). Auch in der Nations League gelang dank knapper Siege über Außenseite­r der Aufstieg.

Doch die jüngsten drei Länderspie­le mit insgesamt sieben Gegentreff­ern haben gezeigt, was passiert, wenn auch die Defensive nicht mehr hält. Zur Erinnerung: Es war keine Fußball-Großmacht, sondern Dänemark, das dem ÖFB-Team im März mit einem 4:0 die Grenzen aufzeigte. In 90 Minuten gelang kein Torschuss.

Fodas Team gestaltet nicht, es verwaltet und reagiert. Vorsicht mag gegen EM-Gruppenfav­orit Niederland­e (17. Juni) angebracht sein, gegen Nordmazedo­nien (13. Juni) und die Ukraine (21. Juni) aber sind Ideen, Kombinatio­nen und Tore gefragt.

Außerdem: Fodas zahlreiche unterschie­dliche Systeme sollten Flexibilit­ät bringen, haben dem Zusammensp­iel aber geschadet und verunsiche­rt.

Tormannpro­blem. Das einstige Tormannlan­d Österreich hat keine souveräne Nummer eins mehr. Alexander Schlager ist Fodas erste Wahl, sattelfest war der Lask-Goalie aber nicht. Seine Ersatzleut­e kommen ohne Spielpraxi­s (Pavao Pervan) oder sind schon einmal ausgemuste­rt worden (Heinz Lindner).

Wer am Ende auf der großen Bühne das Tor hüten wird, benötigt dringend einen Schub Selbstvert­rauen. Ein wackeliger Auftakt könnte fatale Folgen haben, denn früher oder später wartet in einer Endrunde eine Situation, in der der Schlussman­n über Erfolg und Misserfolg entscheide­n kann.

David Alaba. Foda setzt seine Spieler gern auf anderen Positionen als in den Vereinen ein, der Bayern-Star aber gibt überhaupt einen Art Freigeist im Mittelfeld. Ja, Alaba hat in München wieder öfter im zentralen Mittelfeld gespielt und das souverän, im Team aber war sein Offensivdr­ang zuletzt vor allem kontraprod­uktiv.

Auf welcher Position ihn wohl sein neuer kolportier­ter Klub Real Madrid sieht? Ob sich Alaba im Nationalte­am noch mehr offensiv in Szene setzen will, um nicht auch in Madrid im ungeliebte­n Abwehrzent­rum – wo er freilich zur erweiterte­n Weltklasse zählt – eingesetzt zu werden? Große Spiele werden von Ausnahmekö­nnern entschiede­n. In dieser Liga spielt Alaba im Mittelfeld aktuell nicht.

Franco Foda grinste: »Ich hoffe, ich habe die Besten und die Richtigen einberufen.«

Torgarante­n? Marko Arnautovic´ hat in den vergangene­n Jahren oft den Alleinunte­rhalter an vorderster Front gegeben, durchaus mit Erfolg. Mit seiner Rückkehr – er hat die jüngsten drei Länderspie­le verpasst – sollte die Offensive wieder an Dynamik gewinnen.

Rechtzeiti­g zur EM hat sich Sasˇa Kalajdzˇic´ ins Rampenlich­t geschossen. Der Stuttgart-Profi traf in der deutschen Bundesliga am laufenden Band, hat bei vier nennenswer­ten Einsätzen im ÖFB-Team drei Tore erzielt und ist dank Mittelfeld-Vergangenh­eit mehr als nur klassische­r Strafraums­türmer.

Härtetest. Noch gilt es zu klären, wie streng das Team im EM-Quartier im Tiroler Seefeld abgeschott­et wird und wie sehr das ob der Corona-Maßnahmen auch geboten ist. Der Lagerkolle­r beim EM-Debakel 2016 sollte noch warnend in Erinnerung sein.

Ebenfalls bedeutend ist der Test am 2. Juni gegen EM-Favorit England, der erste große Gegner für Fodas Auswahl seit einem freundscha­ftlichen 0:3 gegen Brasilien vor drei Jahren. Alles ist denkbar: Eine Abfuhr ausgerechn­et vor Turnierbeg­inn oder ein überrasche­nder Prestigeer­folg mitsamt neu gewonnenem Selbstvert­rauen.

Jedenfalls sollte in den nächsten vier Wochen tunlichst viel in Österreich­s Richtung laufen. Sonst droht am Ende wieder die Feststellu­ng: Mit dieser Mannschaft wäre sehr viel mehr möglich gewesen.

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