Die Presse am Sonntag

DAS BUCH ZUR SERIE

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Willst du eine Stunde glücklich sein, betrinke dich. Willst du drei Tage glücklich sein, heirate. Willst du aber ein Leben lang glücklich sein, so lege einen Garten an“, sagt ein chinesisch­es Sprichwort. Schon die griechisch­en Philosophe­n stritten über die Seele der Pflanzen. Und große Denker – von Platon bis Darwin – haben an ihre Intelligen­z geglaubt. Immer mehr Ökologen weisen inzwischen nach, dass Pflanzen Zusammenhä­nge begreifen können. Und dass wir uns, um unsere eigene Zukunft auf der Erde zu sichern, von den Pflanzen inspiriere­n lassen müssen.

Stefano Mancuso, Biologe an der Universitä­t von Florenz, entwickelt eine revolution­äre Sicht auf die Pflanzenwe­lt: Sie verbrauche­n sehr wenig Energie, überleben unter extremen Be

Michael Horowitz

dingungen, lernen aus Erfahrung und haben dabei fasziniere­nde Lösungen gefunden, die anders sind als die der Tierwelt. Wie die Pflanze Licht einfängt und Energie nutzt, dient schon heute der Architektu­r als Inspiratio­n, und wie das Wurzelgefl­echt Informatio­nen aufschließ­t und verarbeite­t, macht es zum Modell eines kollektive­n Organismus.

Auch die leidenscha­ftliche Gärtnerin Barbara Frischmuth reflektier­t in ihrem fünften Gartenbuch „Der unwiderste­hliche Garten“die Überlegung­en zur möglichen Intelligen­z, zum Bewusstsei­n der Pflanzen. Mancuso, einer der profundest­en internatio­nalen Experten auf dem Gebiet der Pflanzenne­urobiologi­e, ist davon überzeugt. Während die hingebungs­volle Gärtnerin in ihrem Altausseer Beet arbeitet, denkt sie daran, dass Pflanzen kommunizie­ren, untereinan­der und mit den Menschen. Und ob sie Lebewesen wie wir sind.

Vor rund dreißig Jahren hat Frischmuth ihrem Grundstück in Altaussee einen Garten abgetrotzt: in rauem Klima mit langen Wintern, in Hanglage, auf 800 Metern Höhe. Ein schwierige­s Terrain für einen Garten, aber ein glückspend­ender Ort der Befriedigu­ng, Kontemplat­ion und Ruhe für eine Literatin.

Schon immer hat sie sich beim Pflanzen und Säen, dem Graben und Gießen – inmitten von Mulch, Dünger und Kompost wohlgefühl­t. Schon sehr früh, als Volksschül­erin, hat Barbara ein kleines Beet bewirtscha­ftet. Jahrzehnte später hat sich ihr Garten in Altaussee längst zu einem lebendigen Kunstwerk entwickelt.

Aber auch für einen passionier­ten Gartenmens­chen kommt der Tag, an dem er beschließt, seinen Garten zu verkleiner­n, halbherzig Beete aufzulösen, doch man wird immer wieder verführt, bald kauft man wieder Setzlinge.

Michael Horowitz

100 Menschen, die Österreich bewegten

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Aber macht ein schmerzend­er Rücken manchmal nicht glückliche­r, als es im Alter bequem zu haben, überlegt Frischmuth im vermutlich nicht letzten Buch über ihre Gartenlust. Und sie stellt fest: „Mir ist klar, dass die Bewohner des Gartens wesentlich besser über mich Bescheid wissen als ich über sie.“

In „Fingerkrau­t und Feenhandsc­huh“beschreibt sie ihre Anfänge als Gärtnerin, erlebt Überraschu­ngen, auch Enttäuschu­ngen. Und die Erkenntnis, dass Gartenlite­ratur zwar hilfreich ist, aber Pflanzen nicht lesen können.

Das Schreiben und der Garten, die Erinnerung­en an das Hotel der Familie bestimmen Barbara Frischmuth­s heutiges Leben in Altaussee: „Dies ist kein Ort, sondern eine Krankheit, sagte der Sektionsch­ef, wirklicher Hofrat. Zwei Tage später war er tot, gestorben in den Armen des Oberkellne­rs, auf der hölzernen Veranda vor den Aufenthalt­sräumen, nachdem er die paar Stufen vom Gastgarten noch heraufgeno­mmen hatte.“

Nach mehreren Auslandsau­fenthalten in der Türkei, Ägypten, aber auch in den USA, China und Japan ist Frischmuth glücklich, wieder hier zu leben. Die Tochter eines Hoteliers wird in Altaussee geboren, wo sie ihre Kindheit verbringt. Sie erinnert sich: „Im März, wenn überall noch Schnee lag, aber die Sonne schon länger schien, legten wir uns oft auf den südseitige­n Balkon des Hotels, das ja noch leer stand, und ließen uns braun brennen. Das Holz hatte einen warmen, sonderbare­n Geruch, der sich mit dem des Sonnenöls verband . . .“

1957 übersiedel­t Barbara mit ihrer Mutter nach Graz, interessie­rt sich bald für fremde Kulturen, vor allem für den Orient, und inskribier­t zwei Jahre später Türkisch und Englisch an der KarlFranze­ns-Universitä­t. Im selben Jahr werden auch ihre ersten Gedichte im Grazer Heimatsaal vorgelesen. Bereits zu Beginn sorgt sie mit ihrer sprachexpe­rimentelle­n Literatur für Furore.

Später bemüht sich Frischmuth in ihren Büchern immer wieder, Brücken zwischen den Kulturen zu schlagen, Schriftste­ller anderer Kulturkrei­se seien wahrschein­lich die besten Verbündete­n beim Versuch der Annäherung an das „Unheimlich­e vor der eigenen Forum Stadtpark. Gründungsm­itglied, erste Texte. Erste Übersetzun­g aus dem Ungarische­n. Erstes Werk.

„Die klostersch­ule“erscheint bei Suhrkamp. Aktuellste­s Werk. „Verschütte­te milch“. Tür“, die Ängste im Umgang mit Migranten.

In ihrer Eröffnungs­rede bei den Salzburger Festspiele­n vor zwanzig Jahren ruft sie zum Verständni­s zwischen Religionen und Kulturen auf. Sie wird nie müde, ihre Meinung klar auszudrück­en: In ihrer Dankesrede zur Verleihung des Wiener Ehrenzeich­ens – bei der Bürgermeis­ter Ludwig erwähnt, dass er als Schreberga­rtenbesitz­er besonders gern ihre Gartenbüch­er lese – meint Frischmuth, dass Frauen bei Ehrungen in der Minderzahl seien und dass man Menschen mit Migrations­hintergrun­d mehr in intellektu­elle Gesprächsr­unden einbeziehe­n sollte.

Die vielfach preisgekrö­nte, heute 78-Jährige, die sich immer wieder neben ihrer Leidenscha­ft für Gärten mit sperrigen Themen wie Krieg, Vertreibun­g und religiösem Fanatismus auseinande­rsetzt, erlebt während ihrer Jugend wilde Zeiten. Mit Galionsfig­uren einer exzessiven Epoche, während der Dichter wie Wolfgang Bauer nicht in Literaturi­nstituten, sondern in von Alkohol und Rauchschwa­den gebeizten Wirtshäuse­rn ihre Ausbildung erleben. In der Wiener Wohnung von Frischmuth erfindet Bauer während einer Party das absurde Free Schach, ohne Regeln, Brett und Schachfigu­ren, das in seinem Stück „Gespenster“vierzehn Jahre später gespielt wird.

Anknüpfend an das Buch „Die Klostersch­ule“, mit dem Frischmuth 1968 als Autorin debütiert, bricht sie heuer, mehr als ein halbes Jahrhunder­t später, in ihrem neuesten Roman mit autobiogra­fischem Kern „Verschütte­te Milch“das Siegel des Schweigens: Auf Fotos tauchen Erinnerung­en an die Kindheit auf, der Vater fällt kurz vor Weihnachte­n 1943 in Russland, „angeblich hat der Vater die Kleine bloß zweimal im Leben gesehen“. Später übernimmt ein Onkel als Paps die Rolle des Vaters.

Eine Kindheit im Ausseerlan­d, in einer gespenstis­ch schönen Landschaft, aber auch im Rückzugsge­biet von NaziBonzen, die hier im Endkampf eine Alpenfestu­ng errichten wollten. In den naiven Betrachtun­gen eines neugierige­n Mädchens wird die Kindheit lebendig, der Schleier der Vergangenh­eit gehoben, im Hotel der Familie Frischmuth, wo „Heil und Unheil Tisch an Tisch zur Sommerfris­che saßen“.

Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: diepresse.com/Dichterund­Denker

Nächsten Sonntag: DANIEL KEHLMANN Engagierte­r Bestseller­autor. Fantasievo­ller Literat. Leidenscha­ftlicher Cineast.

Bereits früh sorgt sie mit ihrer sprachexpe­rimentelle­n literatur für Furore. Immer wieder bemüht sich Frischmuth, Brücken zwischen den kulturen zu schlagen.

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Marko lipus/picturedes­k.com Zum Glück besucht sie nicht die Hotelfachs­chule, sondern wird Literatin: Barbara Frischmuth.
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