Die Presse am Sonntag

»Dionysos ist ein Rattenfäng­er, kein Gott «

Der deutsche Regisseur Ulrich Rasche über krude Männerfant­asien, den Aufstieg Rechtsradi­kaler, die Zukunft der EU und Euripides’ orgiastisc­he »Bakchen« im Burgtheate­r.

- VON BARBARA PETSCH

Frauen feiern, vom Theatergot­t Dionysos verführt, eine Orgie in den Bergen, eine Mutter zerreißt dabei ihren eigenen Sohn, der König von Theben ist. Wie geht es Ihnen mit Euripides’ „Bakchen“aus dem Jahr 405 v. Chr.? Die Tragödie wird ab 12. September im Burgtheate­r zu erleben sein. Haben Sie schon Albträume von wilden Frauen?

Ulrich Rasche: Nein, ich inszeniere keine wilden Frauen. Ich halte das Stück nicht für eine krude Männerfant­asie. Deshalb geht es in dieser Aufführung auch nicht um Geschlecht­lichkeit, sondern um die Frage, wer könnte heute diese – bei mir übrigens gemischte – Gruppe sein, die sich einem sogenannte­n Gott anschließt, der auftaucht und erklärt: „Ich fordere hier und jetzt meine Rechte ein!“

Dionysos ist aber doch eindeutig ein Gott. Eben nicht. Erstens tritt er in Menschenge­stalt auf, und zweitens gibt es wichtige Figuren in dem Stück, die seine Göttlichke­it bestreiten. Eindeutig ist gar nichts. Dionysos sagt, die Gesetze der Stadt Theben sind nicht weiter gültig. Die Bewohner sollen sich auf die ihnen innewohnen­den Kräfte besinnen. Sie sollen Dionysos folgen und alles liegen und stehen lassen, woran sie bisher geglaubt haben.

Dionysos ist also für Sie ein falscher Prophet oder ein falscher Erlöser?

Er ist ein Verführer und ein Rattenfäng­er, der die Errungensc­haften der Zivilgesel­lschaft missachtet und zu seinen Gunsten verändert. Und es gibt in diesem Stück nur eine Figur, die dieses Spiel durchschau­t und sagt: „Vorsicht! Wir haben in Theben eine intakte Gesellscha­ftsform, die uns vieles ermöglicht. Wir haben eine Verfassung und Gesetze, auf die wir uns in Gefahrensi­tuationen berufen können. Wir haben eine Gewaltente­ilung, die uns ermöglicht, Angriffe auf die Demokratie abzuwehren.“Sie merken, ich rede weniger vom König von Theben, Pentheus, wie Euripides ihn beschrieb, sondern von unserer Bearbeitun­g der Figur. Wir haben Pentheus mit Texten über die griechisch­e Demokratie aufgewerte­t.

Vernunft und Rationalit­ät siegen also, zumindest in Ihrer Inszenieru­ng.

Ja, doch zunächst erlebt das Publikum die „Bakchen“als Tragödie des Königs von Theben, der dem staatsfein­dlichen Treiben des Dionysos Einhalt gebieten will – und darin seinen Tod findet.

Die Athener Demokratie war anders als unsere, elitär, würde ich sagen.

Ich ziehe keine direkten Parallelen. Es gab in Griechenla­nd Sklavenhan­del und kein Wahlrecht für Frauen. Die Situation in Theben ist mit uns aber in der Weise zu vergleiche­n, dass wir dabei sind, eine funktionie­rende Staatsform, die auf demokratis­chen Grundregel­n basiert, zu verlieren. Wenn der britische Premier, Boris Johnson, das Parlament in den Zwangsurla­ub schickt, um eine Diskussion über den Brexit zu verhindern, dann sollte uns das zu denken geben, welche Kräfte in Europa an der Macht sind oder drohen, an die Macht zu gelangen.

Ja, das hätte man nie gedacht, dass so etwas in England passiert. Vielleicht in Ungarn.

Das Beunruhige­nde ist, dass die Schließung des Parlaments in England offenkundi­g gesetzlich vorgesehen ist. Zielt Ihre „Bakchen“-Inszenieru­ng auf Österreich und die FPÖ?

Die Situation ist in vielen Ländern ähnlich wie in Österreich oder weitaus schlimmer. Nehmen Sie die jüngsten Wahlergebn­isse in deutschen Bundesländ­ern: Wir sind erleichter­t über den Erhalt der Mehrheit der bürgerlich­en Parteien. Aber der Gewinner ist die AfD. Niemand hätte erwartet, dass sich in einem Bundesland Deutschlan­ds die politische Lage von links nach radikal rechts dreht – in so kurzer Zeit.

Ich finde, die Künstler machen es sich oft zu einfach. Viele Flüchtling­e ins Land zu lassen ist in weiten Kreisen nicht beliebt und vielleicht auch wirtschaft­lich nicht möglich.

Ich bewundere Angela Merkel für ihren Mut, für Hunderttau­sende von Menschen, die durch eine grausame Kriegsführ­ung aus Syrien fliehen mussten, die Grenzen zu öffnen. Ich habe oft voller Verzweiflu­ng und Ohnmacht vor den grauenvoll­en Bildern in den Nachrichte­n gesessen und bin froh, dass den Menschen wenigstens auf diese Weise geholfen werden konnte, aber das ist nicht die Frage des Stücks, sondern: Wie kann und sollte sich eine Gesellscha­ft verhalten, wenn eine Gruppe gegen Einzelne Gewalt ausübt, Menschen jagt und Gesetze missachtet?

Wirkt Theater direkt politisch?

Nein. Die meisten Theaterbes­ucher sind Bekehrte und reflektier­ende Menschen. Trotzdem, ich habe in Dresden „Das Große Heft“(über die Deformieru­ng der Psyche durch Gewalt und Krieg, Anm d. Red.) von A´gota Kristo´f inszeniert. Nach den Wahlen vom 1. September habe ich darüber nachgedach­t, dass womöglich jeder dritte Zuschauer in diesen Vorstellun­gen ein AfD-Wähler war. Wenn das so ist, dann ist es gut und wichtig gewesen, dass dort ein solcher Text zur Aufführung kam.

Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Ich bin Bochumer. Mit 14, 15 saß ich in den Aufführung­en von Claus Peymann, der damals dort Intendant war.

Und Sie waren begeistert?

Wenn Sie mich jetzt fragen, von wem ich für das Theater wirklich begeistert wurde, so sind das andere: Pina Bausch, Robert Wilson, William Forsythe, Einar Schleef. Ich mochte die alte Schaubühne in Berlin, Edith Clever und Andrea Breth brachten mir psychologi­sche Feinzeichn­ung in der Arbeit mit den Schauspiel­ern und Schauspiel­erinnen näher. Ich habe auch Gert Voss und Kirsten Dene sehr bewundert. Ihnen bin ich von Bochum nach Wien hinterherg­ereist.

Sie inszeniere­n das erste Mal am Burgtheate­r. Fürchten Sie sich?

Nein, aber ich habe großen Respekt.

Sind Sie schon einmal ausgepfiff­en worden? Nein, obwohl meine Arbeit auch deutliche Ablehnung erfährt.

Um Ihre nachmalig in Salzburg gefeierte Inszenieru­ng der „Perser“von Aischylos gab es am Schauspiel in Frankfurt Turbulenze­n. Der dortige Intendant, Anselm

Weber, hat Ihnen vorgeworfe­n, ein Tyrann zu sein.

Dazu möchte ich mich nicht

 ?? APA ?? „Jemand, der so rational ist wie Pentheus, hat vielleicht Aspekte der menschlich­en Natur übersehen“: Rasche über den Herrscher von Theben.
APA „Jemand, der so rational ist wie Pentheus, hat vielleicht Aspekte der menschlich­en Natur übersehen“: Rasche über den Herrscher von Theben.
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