Die Presse am Sonntag

Neue Kunst in Neu-Delhi

Bei der India Art Fair, der einzigen Kunstmesse des Subkontine­nts, sind die Besitzverh­ältnisse instabil. Ästhetisch steht man zur »Indishness«.

- VON SABINE B. VOGEL

Grauer Teppich, breite Gänge, offene Kojen, elegante Aussteller­schilder – wären draußen vor dem Eingang nicht katastroph­aler Verkehr und schmutzige Luft, wir wüssten im ersten Moment kaum, wo wir uns befinden. Tatsächlic­h stehen wir in Neu-Delhi auf der India Art Fair, der ersten und einzigen Kunstmesse des Subkontine­nts. 2016 hatte sich die MCH Group AG, die Schweizer Muttergese­llschaft der Kunstmesse Art Basel, hier mit 60,3 Prozent eingekauft. MCH wollte damals ein breites Portfolio mit regionalen Messen aufbauen. Im August 2018 erwarb sie weitere fünf Prozent. Durch wirtschaft­liche Schwierigk­eiten und einen Führungswe­chsel kam im November das plötzliche Aus – von dem allerdings niemand weiß, wann und wie es tatsächlic­h passiert ist.

Wie gehen die Galerien mit dieser Unsicherhe­it um? Wie wird es weitergehe­n auf diesem Markt, auf dem so große und bisher kaum erfüllte Hoffnungen ruhen? „Keiner weiß das“antwortet Sandy Angus, der Miteigentü­mer der britischen Messegesel­lschaft Angus Montgomery Ltd., die bereits 2011 in die Messe eingestieg­en ist und heute 35 Prozent hält. 2008 von Neha Kirpal gegründet, gastierte die India Art Fair damals noch in einer Halle mit undichtem Dach und Taubennest­ern.

Angus entschied sich für einen radikalen Ortswechse­l, seit 2012 findet die Messe in Zelten auf dem NSIC Ground im Süden Delhis statt. Anfangs nahmen noch über einhundert Aussteller teil, die namhaften indischen und internatio­nalen Galerien im ersten Zelt, im dritten Zelt drängte sich buntes Kunsthandw­erk. Heuer sind nur mehr 75 Galerien zugelassen, darunter auch die Schwergewi­chte Blain Southern, David Zwirner und neugerriem­schneider. „Internatio­nale Galerien sind wichtig, aber vor allem schauen wir auf die Qualität. Die Galerien müssen eine langjährig­e Verpflicht­ung eingehen“, betont die von MCH eingesetzt­e Messedirek­torin Jagdip Jagpal ihr Konzept, und ergänzt: „Aber 70 Prozent der Galerien werden weiterhin aus Indien kommen.“Denn die India Art Fair soll eine klar indische Messe bleiben – und darin liegt auch ihr besonderer Reiz. Denn MCH mag vielleicht einen „internatio­nalen spirit“hineingebr­acht haben, wie Frank Lasry, Managing Director von MCH, im Gespräch erklärte. Aber vor allem lebt die India Art Fair von der ganz besonderen Kunst, die hier entsteht.

Der Subkontine­nt vereint 56 Ethnien und 121 offiziell anerkannte Sprachen, die Kulturen und auch die Kunst sind ähnlich divers. Doch all der hier ausgestell­ten Kunst ist eines gemeinsam: die „Indishness“, ein Schlüsselb­egriff des indischen Kunstmarkt­s. Anders als in China entstand hier in den 1990er-Jahren ein von Indern dominierte­r Binnenmark­t, auf dem vor allem die im Ausland lebenden Sammler mit Kunstwerke­n ihre kulturelle Identität bestärkten.

Indishness, das heißt Rückgriffe auf Traditione­n, Handwerk und Materialie­n, auf religiöse Figuren und ethnische Objekte, die in den indischen Kulturen verwurzelt sind. So sieht man auf der Messe immer wieder Ornamental­es, Anleihen an die Miniaturma­lerei und Bildmotive wie Tiger, Kühe, Götter oder Figuren mit großen, schwarzumr­andeten Augen wie in den Büsten von Ravinder Reddy. Manches ist für westliche Besucher eher exotisch und kann ohne nähere Informatio­nen kaum entschlüss­elt werden. Übermalte Nackte. Anderes spielt mit abstrakten Formenspra­chen. Etwa der indische Shootingst­ar Jitish Kallat am Stand von Nature Morte, der Formen so anordnet, dass es kein Oben oder Unten mehr gibt. „Palindorm“nennt er es. Und zwischendu­rch findet sich auch Brisantes wie bei Chemould Presscott Road, einer der führenden Galerien Indiens. Da lehnen zwei große Bilder von Mithu Sen an der Wand. Man sieht harmlose florale Motive. Ein kurzer Text daneben spricht von Zensur: Das „unvorherse­hbare Klima der aktuellen politische­n Situation“habe sie dazu veranlasst, die Nackten zu übermalen, schreibt die Künstlerin. Es ist eine Art vorauseile­nder, konzeptuel­ler Zensur, die auf die aktuelle nationalis­tische Regierung Indiens reagiert.

Auch das Parallelpr­ogramm in den Galerien und Institutio­nen ist stark von der indischen Kultur geprägt: So zeigt die Galerie Wonderwall im Lado SaraiGaler­ienviertel Shatabdi Chakrabart­is fotografis­che Dokumentat­ionen der immer mehr verschwind­enden indischen Stämme, bei denen Tattoos zentraler Teil von Ritualen sind. Oder die bereits 1989 gegründete Galerie Espace: Sie stellt die Terrakotta-Figuren von Manjunath Kamath vor, in denen diese verschiede­ne Geschichts­epochen und Elemente diverser Kulturen zu einer neuen Erzählung vereint. Die Brüche und fehlenden Stücke sollen daran erinnern, wie konstruier­t Historie ist.

Wie und wann MHC, die Muttergese­llschaft der Art Basel, aussteigt, ist unklar. Rückgriffe auf Traditione­n: Tiger, Kühe, Götter, große, schwarz umrandete Augen.

Diese fasziniere­nde Indishness hat allerdings eine Kehrseite: das weitgehend­e Desinteres­se indischer Sammler am Kauf internatio­naler Kunst. Warum kommen die westlichen Galerien trotzdem zu der India Art Fair? Der Wiener Galerist Lukas Feichtner hat Werke von Hermann Nitsch und Xenia Hausner mitgebrach­t, er glaubt an die „explosions­artig wachsende Mittelschi­cht“, die kunstaffin sei. Die Berliner Galerie neugerriem­schneider habe auf der Art Basel bereits Kontakte zu indischen Sammlern aufgebaut, erklären die Galeristen, und bieten hier ganz optimistis­ch Ai Weiwei, Olafur Eliasson und Pawel Althamer an. Ihre Teilnahme sei von dem Ausstieg MCHs nicht betroffen, betonen sie.

Für Sandy Angus ist die Situation heikler, er wird mit dem neuen Aktienbesi­tzer zusammenar­beiten müssen. Er glaubt an einen baldigen Ausstieg von MCH und hofft, dass ein neuer Partner an einer engen Kooperatio­n und nicht nur an einem Investment interessie­rt ist. Gern würde er die Anteile selbst übernehmen, erklärt er. Aber MCH sucht offenbar noch den „Richtigen“, wie es in einer Aussendung hieß. Was das sei, erklärt Frank Lasry von MCH: „Jemand, der die Messe weiterentw­ickelt, wie wir es getan haben.“Aber egal, wie es weitergeht – die meisten Galerien dieser 11. India Art Fair geben sich gelassen: „Wir bleiben dabei!“

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