Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Barbaren-Check. Eine Frage zum Gedenkjahr: Worauf müssen wir achten, damit der Rechtsstaat nicht stirbt? Eine nur scheinbar altmodische Antwort darauf lautet: auf unsere Tugenden.
Wenn uns in den kommenden Tagen das Gedenken an den „Anschluss“1938 beschäftigt, lohnt es sich, einem Gedanken besonders nachzuhängen: Woran stirbt ein Rechtsstaat? Wären wir fähig, eine tödliche Bedrohung unseres heutigen Rechtsstaates zu erkennen? Und haben wir da den richtigen Fokus? Wir konzentrieren uns etwa darauf, den Hass auszumerzen – und natürlich auch die Vorstufe des Hasses, die Verachtung. Und deren Vorstufe, das Bewerten von Unterschieden. Und wir konzentrieren uns darauf, äußere Analogien zu den Barbaren von damals zu entdecken, als wären künftige Diktatoren untrüglich an angesteckten Kornblumen zu erkennen.
Die Überwindung des Hasses ist tatsächlich eine Menschheitsaufgabe, widerliche Kommersbücher gehören zu Recht an den Pranger. Aber ein Rechtsstaat stirbt dann, wenn er Menschen an die Macht lässt, die nicht durch Normen des Anstands gebremst werden, sondern den Anspruch erheben, alles tun zu dürfen, was geht. Menschen, die keine Zurückhaltung kennen und ihr Ding „mit äußerster Entschlossenheit“durchziehen und mit „kompromissloser Härte“vorgehen wollen. Stirbt die Zurückhaltung der Politiker, stirbt der Rechtsstaat.
Es gibt wohl zu allen Zeiten eine gewisse bürgerliche Hinneigung zu Politikern, die endlich durchgreifen und sich davon auch durch legale Kinkerlitzchen nicht abhalten lassen, zu den Erdogans,˘ Putins, Dutertes dieser Welt. Das könnte daran liegen, dass Verlustangst zur Grundmelodie der bürgerlichen Existenz gehört und das Vertrauen nicht sehr groß ist, dass Untersuchungsausschüsse und Instanzenzüge und das ganze demokratische Zeugs die sich da draußen zusammenrottenden Horden in Schach halten können. Weil aber zur Grundmelodie des Bürgerlichen auch die Behaglichkeit gehört, kommen die Ausmerzer und Durchgreifer und die, die keine Gefangenen machen, nur dann zum Zug, wenn die Angst groß ist – weil die Zeiten schlecht sind und eine Bedrohung im eigenen Land ausgemacht wird, die so groß ist, dass bürgerliche Hemmungen als unangebrachter Luxus erscheinen.
Und die Prophylaxe gegen die Barbarei? Verhindern, dass die Zeiten schlecht und Menschen im eigenen Land fremd werden. Auf die Checks und Balances achten – auf die im politischen System genauso wie auf die in der Psyche der einzelnen Politiker. Und alles unterstützen, was den Menschen hilft, Tugenden zu entwickeln und zu verinnerlichen. Denn was sonst kann sie in Zeiten der Angst dazu bringen, mehrheitlich auf Rücksichtnahme und Mäßigung zu setzen. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.