Opfer, Täter, Profiteure Historische Wahrheit und Polens Geschichte
Am 1. März 2018 trat das umstrittene polnische »Holocaust-Gesetz« in Kraft. Die nationalkonservative Regierung will die »Lüge« bestrafen, Polen habe auch Mitverantwortung für die NS-Verbrechen auf seinem Territorium. Geht jetzt historische Wahrheit verlor
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg nimmt im kollektiven Gedächtnis Polens einen zentralen Platz ein. Als einer von wenigen Staaten war das Land von zwei totalitären Mächten besetzt und terrorisiert. Seine demografischen und materiellen Verluste waren ungeheuer groß. Von 35 Millionen polnischen Staatsbürgern wurden zwischen 1939 und 1945 fünf bis sechs Millionen ermordet, davon 2,7 Millionen polnische Juden. Wirtschaft und kulturelles Erbe wurden zerstört. Das Land gehörte, obwohl auf der Seite der Siegerkoalition, zu den Verlierern des Weltkriegs, nicht zuletzt, als ihm das sowjetische Herrschaftssystem aufgezwungen wurde. Damit verband sich das Gefühl, vom Westen im Stich gelassen worden zu sein, wie schon während des Krieges.
Polen wurde am 1. September 1939 vom Deutschen Reich überfallen und am 17. September durch die Sowjetunion besetzt. Beide, damals noch nicht offen verfeindet, begannen, den Widerstand der Polen zu brechen. Beide schikanierten, deportierten, mordeten, das Land wurde dreigeteilt, die Bevölkerung ausgebeutet und pauperisiert. Das Deutsche Reich annektierte und „germanisierte“den westlichen Teil, aus dem Rest wurde das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete, eine Art „Abladeplatz“für Menschen, die aus dem westlichen Teil deportiert wurden, der gesamte östliche Teil wurde den Sowjetrepubliken Weißrussland und Ukraine angeschlossen. 1941 geriet mit dem Angriff auf die Sowjetunion das ganze Land unter deutsche Herrschaft. Im Schatten der Kämpfe begann die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, Konzentrationslager wurden auf polnischem Gebiet errichtet. Provokateure und Randalierer. Gleich zu Beginn der Besatzung fanden sich polnische Antisemiten, die die alltägliche Verfolgung der jüdischen Bevölkerung nicht für verwerflich hielten. Sie Der polnische Journalist Juliusz Mieroszewski. Er ging ins Exil. handelten wie auch im Wien von 1938 oft spontan, beschimpften und beraubten Juden, verhielten sich selbst gewalttätig oder schauten weg. Allmählich wurde Judenfeindschaft organisatorisch kanalisiert, es kam zu pogromartigen Zwischenfällen. Deutsche Provokateure hetzten junge antisemitische Randalierer auf. Ab nun stellten offen zur Schau gestellter Judenhass und Antikommunismus die einfachste Art eines Verständigungscodes mit den Besatzern dar. Die Heranziehung der polnischen Polizei (wegen der Farbe ihrer Uniformen „blaue Polizei“genannt) zur Durchführung von Exekutionen führte allerdings zu Widerstand.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass das Judentum immer ein zerstörerisches Element in unserem Staatsorganismus war und es bleiben wird. Die Liquidierung der Juden in den polnischen Gebieten hat eine große Bedeutung für unsere zukünftige Entwicklung, weil es uns von einem millionenköpfigen Schmarotzer befreit.“Eine Fraktion des polnischen Untergrunds bekannte auf diese Weise im März 1943, dass es in der Frage der Ermordung der jüdischen Bevölkerung Übereinstimmung mit den deutschen Besatzern gab. Deren Taten wurden gutgeheißen und als positiv empfunden. Das heißt nicht, dass man sich direkt am Morden beteiligte, obwohl das auch vorkam, aber es gab in Polen wie auch in anderen besetzten Ländern Osteuropas diesen Glauben, von der Verdrängung der Juden zu profitieren. Man begrüßte sie daher. Jüdisches Eigentum wurde zur Manövriermasse für Umverteilung, das war zusätzlich eine Erleichterung in der Kriegslage.
Den NS-Besatzern war Kooperation in allen besetzten Ländern will-
Weder Widerstand noch Kooperation war ein Anliegen, sondern nur das Überleben.
kommen, sie waren sogar darauf angewiesen, wegen des Personalmangels bei der Kontrolle. Die jüdischen Opfer hatten dann die geringsten Überlebenschancen, wenn das arbeitsteilige Vorgehen von Deutschen und Einheimischen der besetzten Länder gut funktionierte.
Weder Kollaboration noch Widerstand lagen der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete am Herzen, sondern Strategien des Arrangements zum schlichten Überleben im Alltag: Eine Grauzone – vom Wegsehen bis zur individuellen Bereicherung. Es stand auch nicht im Ermessen der polnischen Bevölkerung zu kooperieren. Das hing völlig von der Entscheidung der deutschen Machthaber ab, die ethnische Schwerpunkte setzten und „Volksdeutsche“begünstigten.