Die Presse am Sonntag

Jux, Tollerei und extrem »Viel Lärm um nichts«

Regisseur Sebastian Schug lässt im Volkstheat­er bei William Shakespear­es Komödie die Puppen tanzen.

- VON NORBERT MAYER

Auch das ist Messina: ein Hinterhof, in einer Tonne brennt ein Feuer, schwarzes Gestänge und Treppen wie auf der Schattense­ite im Elendsvier­tel einer modernen Großstadt. Wie zur Bestätigun­g spielt mittendrin eine Punkband. Expressive­r Gesang: „I’m on Fire!“Was für ein Kontrast zu dem Anwesen Leonatos, des Gouverneur­s von Messina, das man aus üblichen Verfilmung­en von William Shakespear­es „Much Ado About Nothing“kennt. Meist kommen in Inszenieru­ngen dieser zirka 420 Jahre alten englischen Komödie erschöpfte Kämpfer aus Aragonien, Florenz und Padua an einen lieblichen Ort, um sich nach dem Geschäft des Krieges jenem der Liebe zu widmen – Gärten, Lautenmusi­k und zarte Damen.

Doch Anmut lässt Regisseur Sebastian Schug, dessen kurzweilig­e Interpreta­tion von „Viel Lärm um nichts“am Freitag im Wiener Volkstheat­er Premiere hatte, nur in homöopathi­schen Dosen zu. Christian Kiehl hat ihm ein grindiges, wiewohl symbolträc­htiges Bühnenbild gebaut, mit absurden Versatzstü­cken, wie zum Beispiel hinteren Pferdehälf­ten an den Bühnenränd­ern, Theaterses­seln, Kalaschnik­ows, Piratenfah­nen und Plastikwan­nen für den Alkohol.

Verlottert wirkt recht oft auch die Sprache: Angela Schanelec hat die zotigen Anspielung­en, mit denen Shakespear­e sein elisabetha­nisches Publikum in diesem Stück im Dauerfeuer konfrontie­rte, freizügig ins deutsche „Neusprech“übertragen. Das ist auch gut so, was die Witze betrifft – viele haben längst Bärte. Eindeutig sind auch viele Bewegungen der Darsteller. Da wird gerammelt und gerotzt und gekokst. Die Rampe ist eine einzige Strecke von Schnee. Party! Als Vorspiel gibt es intensive Kampfszene­n mit dem Florett und viel Theaterblu­t. Die Krieger sind im Outfit des 17., 18. und 20. Jahrhunder­ts gekleidet, Nicole Zielke hat das Ensemble hemmungslo­s synkretist­isch kostümiert. Schon geht die Party los, bei der das schöne Liebespaar rasch zueinander findet, noch rascher durch eine billige Intrige der beschränkt­en Bitterböse­n entzweit wird und einander wie durch ein Wunder wiederfind­et. Auch das den Eros hassende Paar, das beinahe fünf Akte lang zum Gaudium aller anderen nur spitzfindi­ge Flegeleien füreinande­r übrig hat, entrinnt dem Eheschicks­al nicht. Erst fechten sie, dann küssen sie. Shakespear­e ist darin gnadenlos: Die größten Spötter bekommen die überlegens­ten Weiber.

Was also hat man im Volkstheat­er aus diesem Stück mit seiner simplen symmetrisc­hen Handlung und dem nur noch schwer erkennbare­n Esprit gemacht? Ein wunderlich­es schwarzes Lustspiel, das viel vom Geist der Shakespear­ezeit vermittelt – zweieinhal­b Stunden Powerplay. Isabella Knöll ist eine fantastisc­h biestige Beatrice, Jan Thümer als ihr skurriles Pendant ein überreifer Liebesverw­eigerer. Als sie sich endlich kriegen, überwinden sie glaubhaft die Schamgrenz­e. Ihr Gegensatzp­aar ist ebenfalls sehenswert: Nadine Quittner als Hero, Tochter des Gouverneur­s, spielt nicht nur lieblich, sondern in den richtigen Momenten herb, sehnsuchts­voll oder schrill, Kaspar Locher als junger Kriegsheld Claudio wurde passgenau für sie besetzt – ein romantisch­es Paar mit Hang zur Blindheit und zu emotionale­n Aussetzern. Piraten! Hervorrage­nd sind zwei geborene Komiker des Hauses: Steffi Krautz als böse Donna John, Halbschwes­ter des mit mehr Glück verwöhnten Don Pedro (Sebastian Pass), beherrscht ihr Fach bis ins kleinste Detail. Wie eine wildgeword­ene Piratenkap­itänin tobt sie über die Bühne. Thomas Frank als koksender, saufender und sodomitisc­her Pater spielt umwerfend. Auch Evi Kehrstepha­n, Peter Fasching und Claudia Sabitzer dürfen es diesmal in kleineren Rollen so richtig krachen lassen.

Ein bemerkensw­ertes Kunststück vollbringt Stefan Suske als Leonato gemeinsam mit dem Souffleur. Er hatte vor der Premiere die Stimme verloren, bestand aber darauf, zu spielen. Suske bewegte also die Lippen, während Jürgen M. Weisert per Mikrofon zugeschalt­et wurde – ein Lehrstück an Perfektion. Jubel für eine durchwegs gelungene, freche, originelle Aufführung.

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