Die Presse am Sonntag

»Herzschlag der besten Musik«

Zeitloser Zeitgeist: Am Dienstag führt die deutsche Band Fehlfarben im Museum des 21. Jahrhunder­ts ihr epochales Album »Monarchie und Alltag« aus dem Jahr 1980 originalge­treu auf.

- VON THOMAS KRAMAR

Sie sind also die Punkrocker, herzlich willkommen bei uns!“So charmant begrüßte der Rezeptioni­st eines kleinen Hotels in der Nähe von Schönbrunn die deutsche Band Fehlfarben, Sänger Peter Hein kann sich noch gut erinnern. Es ist immerhin 37 Jahre her. Im Mai 1980 gaben die Fehlfarben im Museum des 20. Jahrhunder­ts ein Konzert, bei dem sie schon Songs einer Schallplat­te präsentier­ten, die wenig später erscheinen sollte: „Monarchie und Alltag“.

Nun führt die Band am selben Ort – der heute freilich Museum des 21. Jahrhunder­ts heißt – dieses Album wieder auf – „originalge­treu, in der exakten Reihenfolg­e, auch textlich nicht aktualisie­rt“, wie Gitarrist Thomas Schwebel erklärt: „Und das ist richtig so.“ „Es geht voran.“Der Stolz ist berechtigt. „Monarchie und Alltag“hat den Test der Zeit bestanden, es wirkt noch immer umwerfend – und zeitlos, gerade weil man spürt, wie es Zeitgeist atmet. Den Geist einer der aufregends­ten Epochen des Pop: Nach der Punk-Explosion lagen die Gewissheit­en der Hippie-Ära, die ästhetisch­en Werte der WoodstockG­eneration in Trümmern. „Verschweig­e die Wahrheit, ich will sie nicht sehen“, sang Hein: „Schneid dir die Haare, bevor du verpennst, wechsle die Freunde wie andre das Hemd.“Und, in „Ein Jahr (Es geht voran)“, dem Hit der Platte: „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran.“

Gewiss, das war so ironisch wie sentenziös, das wurde aus anderen Zeilen klar („Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt, es geht voran“), aber war auch ernst, affirmativ: Hier ist die moderne Welt, sagte es einem, es gibt kein Entkommen, keine esoterisch­en Paradiese, und das ist gut so. Gerade hatten noch Kerzen geschummer­t, jetzt strahlten Neonröhren. Gerade war es noch hip gewesen, mit dem VW-Bus nach Indien zu fahren, jetzt brach man mit dem Schnellzug nach Westberlin auf. Oder zu anderen grauen Mauern. „Es liegt ein Grauschlei­er über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewasch­en hat“, sang Hein. Ein paar Monate später verließ er die Band. „Zurück ins Büro“, erklärte er diesen Schritt damals, heute sagt er nicht minder prosaisch: „Ich hatte nicht mehr genug Urlaub.“

Die Fehlfarben machten ohne ihn weiter, veröffentl­ichten zwei Alben, darunter „Glut und Asche“(1983). Hein kam 2001 zurück zur Band, 2003 verlor er seinen Job bei Xerox. 2008 ging dann Schwebel, der Gitarrist und zweite Texter der Fehlfarben: „Ich konnte mit der Musik meine Familie nicht mehr ernähren“, erklärt er, er lebt in Hamburg als Drehbuchau­tor. In Wien wird er aber dabei sein – und auch die monoton klickende Gitarre in „Paul ist tot“spielen, in diesem großen Song, dem Hein heute „die ganze Bedeutungs­schwere eines nicht studieren wollen habenden Abiturient­en“attestiert.

Wer war Paul? Gar kein Mensch, erklärt Schwebel: „So nannten wir den Flipper, darum heißt es: ,Paul ist tot, kein Freispiel drin.‘ Wir waren alle ,pinball wizards‘ damals: Flippern ist ja auch schicker als am Bildschirm zu klicken.“Und so wurde geflippert im Ratingerho­f (in der Nähe von Düsseldorf ), dieser legendären Keimzelle des deutschen Punk, aus dem die Deutsche Neue Welle wachsen sollte, die ja erst später – mit Nena und „Gib Gas, ich will Spaß“– peinlich werden sollte.

Seltsam, dass vor allem ein Stück auf „Monarchie und Alltag“schon wie ein Rückblick klingt: „Wir tanzten bis zum Ende, zum Herzschlag der besten Musik“, heißt es in „Das war vor Jahren“. Die Wehmut von Frühzwanzi­gern, die jäh entdecken, dass das Teenage hinter ihnen liegt? „Ich hatte damals gar nicht das Gefühl, dass das nostalgisc­h ist“, sagt Schwebel: „Aber eines steht wohl dahinter: Um 1980 änderte sich die Szene, die böse Krake des Geldes

Stückliste:

Hier und Jetzt, Grauschlei­er, Das sind Geschichte­n, All That Heaven Allows, Gottseidan­k nicht in England, Militürk, Apokalypse, Ein Jahr (Es geht voran), Angst, Das war vor Jahren, Paul ist tot.

Besetzung 1980:

Peter Hein (Stimme), Thomas Schwebel (Gitarre), Michael Kemner (Bass), Uwe Bauer (Schlagzeug), Frank Fenstermac­her (Saxofon), Pyrolator (Keyboards auf „Paul ist tot“).

Besetzung 2017:

Peter Hein (Stimme), Thomas Schneider (Gitarre), Michael Kemner (Bass), Saskia von Klitzing (Schlagzeug), Frank Fenstermac­her (Saxofon und Keyboards), Pyrolator (Synthesize­r, Keyboards); Gast: Thomas Schwebel (Gitarre).

Konzert:

9. Mai, 20 Uhr, 21erHaus, Museum für zeitgenöss­ische Kunst. begann, ihre Saugnäpfe zu zeigen. Die unschuldig­en Jahre waren vorbei.“

In den unschuldig­en Punk-Jahren hatte die Band um Hein und Schwebel noch Mittagspau­se geheißen, das Stück „Apokalypse“, mit den bedrohlich­en Zeilen „Ernstfall – es ist schon längst soweit“ist von damals. Die Idee zu den Fehlfarben entstand in London, wo Hein und Schwebel ein Konzert der Ska-Band The Specials sahen. „Abenteuer und Freiheit“. Deren Stil habe sie „total beeindruck­t“, erzählt Schwebel: „Wir wollten dann unbedingt die erste deutsche Ska-Single machen. Bei den ersten Fehlfarben-Konzerten sahen wir auch aus wie Specials auf arm, mit Anzügen und Hüten.“Die SkaSingle erschien dann wirklich, sie hieß „Abenteuer und Freiheit“und enthielt – apropos Ernst und Ironie – die Zeilen: „Es ist zu spät für die alten Bewegungen, was heute zählt ist Sauberkeit. Ihr kommt nicht mit bei unsren Änderungen, für uns seid ihr noch nicht reif.“

Auch Songs von „Monarchie und Alltag“entstanden zuerst im ruckeligen Ska-Stil, doch bald kam der Punk zurück, ja: der Rock. Was damals kein wirklich cooles Wort war, so wirkte es fast als Provokatio­n, wenn auf dem Cover ein Satz von John Lennon stand: „I always liked simple rock . . .“

Ja, es war Simplizitä­t, die dieses Album groß machte, bewusste Reduktion, gepaart mit dem Bewusstsei­n, dass alles da draußen, in der Welt der Altbierrek­lamen, sehr komplizier­t ist. Und schon tausend Mal erlebt. „Das sind Geschichte­n, und sie sind geklaut“, hieß es in einem Text Schwebels – die Vorwegnahm­e von Zeilen, die er drei Jahre später schrieb und die bis heute, ja, zitiert werden: „Millionen glauben an den Zusammenha­ng von Schweiß und Gefühl und Ehrlichkei­t; in Wahrheit zählt nur die Kunst des Zitats, in Wahrheit zählt nur der richtige Moment.“

Das erschien dann auf „Glut und Asche“, dem fast noch erstaunlic­heren, opulent instrument­ierten Fehlfarben­Album nach der Neuen Welle. Es wartet noch auf seine Wiederauff­ührung.

»Schneid die Haare, bevor du verpennst; wechsle die Freunde wie andre das Hemd.«

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