Die Presse am Sonntag

Der heiß geliebte Mittelstan­d

Nicht nur die gesellscha­ftliche Mitte ist wieder einmal die Zielgruppe der Politik. Auch bei Unternehme­n ist es vor allem der Mittelstan­d, um den sich alle reißen. Doch wer ist das überhaupt?

- VON JAKOB ZIRM

Es war das inzwischen bereits legendäre „Pizza-Video“von Bundeskanz­ler Christian Kern, das Mitte April veröffentl­icht wurde, in dem der Begriff im beginnende­n Vorwahlkam­pf erstmals wieder aufschien. Sie sei die einzige Partei, die für die Mittelschi­cht kämpfe, so die SPÖ am Ende des Filmchens. Eine Aussage, die man beim Koalitions­partner ÖVP nicht auf sich sitzen lassen konnte. Die wahren Werte des Mittelstan­des seien von Kern in Wirklichke­it bedroht, so der Sukkus eines für die eigenen Funktionär­e erstellten Pamphlets, das jüngst für mediale Wellen sorgte.

Auch wenn die beiden Regierungs­parteien sich in ihrer Eigenwahrn­ehmung also deutlich unterschei­den, ist eines somit klar: Die Mitte der Gesellscha­ft ist die Hauptzielg­ruppe für ihre Bemühungen. Kein Wunder, ist diese Mitte ja auch ziemlich nebulös definiert, sodass sich ihr jeder zugehörig fühlen kann. So ist nicht einmal der Begriff einheitlic­h: Während die SPÖ von der Mittelschi­cht spricht, nennt die ÖVP die gleiche Personengr­uppe (etwas veraltet) Mittelstan­d. Letzteres gilt inzwischen jedoch vor allem als Fachtermin­us für mittelgroß­e Unternehme­n. Die „Guten“. Aber nicht nur in der Gesellscha­ft, sondern auch in der Wirtschaft ist es vor allem die Mitte, die die Politik ansprechen will. Und zu der ebenfalls die meisten gehören wollen. Denn während große Konzerne als „böse“gelten, weil sie nur auf ihr eigenes Wohl aus seien, sind die Mittelstän­dler in der öffentlich­en Wahrnehmun­g meist die „Guten“. Also jene, die Jobs schaffen und brav die Steuern zahlen. Doch wer ist das eigentlich, der Mittelstan­d?

Laut der von der EU vorgegeben­en Definition handelt es sich dabei um Firmen, die mehr als zehn aber weniger als 250 Mitarbeite­r haben. So lautet das Hauptkrite­rium, um als kleines oder mittleres Unternehme­n zu gelten. Wer weniger Mitarbeite­r hat, ist ein Kleinstbet­rieb. Wer mehr hat, gehört schon zu den Großen. Mit rund 41.000 der 328.000 heimischen Unternehme­n fällt ziemlich genau jede achte heimische Firma in den Mittelstan­d. Den größten Anteil der heimischen Wirtschaft machen indes Kleinstbet­riebe mit 87 Prozent aus. „Zusammen stellen die sogenannte­n KMU 99,7 Prozent aller Unternehme­n“, sagt Peter Voithofer von der KMU-Forschung Austria. Anders die Situation auf der anderen Seite: „Nach oben wird die Luft dünn.“Nur 1130 Firmen haben mehr als 250 Mitarbeite­r. Die Zahl jener mit über 500 Arbeitsplä­tzen liegt sogar bei weniger als 500.

Allerdings handle es sich bei dieser Definition vor allem um einen wirtschaft­sstatistis­chen Begriff. „Es gibt einen großen Unterschie­d zwischen dem definitori­schen und dem gefühlten Mittelstan­d“, so Voithofer. Letzteres hänge nämlich sehr stark damit zusammen, ob „hinter dem Betrieb noch ein wirklicher Unternehme­r steckt, der eine große Verbundenh­eit mit der Firma hat.“Letzteres treffe in der Regel vor allem auf Familienun­ternehmen zu.

Das führt dann zu der Situation, dass heimische Industrieb­etriebe mit mehreren tausend Mitarbeite­rn und Produktion­stöchtern in Osteuropa und Asien sich als typischer Mittelstan­d empfinden, obwohl sie nach der harten und auf konkreten Zahlen basierende­n Strukturde­finition schon längst als Großbetrie­b oder sogar multinatio­naler Konzern zu klassifizi­eren wären. Doch gerade Letzteres würde wohl keine in Familienbe­sitz befindlich­e Firma aus dem Tiroler Unterinnta­l, dem oberösterr­eichischen Innviertel oder dem steirische­n Murtal über sich selbst sagen. Einstellun­gssache. „Natürlich ist es nichts Unanständi­ges, ein Großuntern­ehmen zu sein“, meint Voithofer dazu. Allerdings werde mit dem Begriff Mittelstan­d eben auch eine besondere Einstellun­g des Firmenchef­s verbunden. „Es geht darum, dass es bei solchen Unternehme­n nicht nur um Zahlen geht und auch die Mitarbeite­r sozusagen einen Namen haben und nicht nur eine Nummer.“Eine Sichtweise, die allerdings auch internatio­nale Konzernrie­sen wie Google oder Microsoft von sich selbst haben dürften, wenn man sie darauf anspricht.

Mitarbeite­r.

So viele Arbeitsplä­tze darf ein Unternehme­n maximal haben, um als Mittelstän­dler zu gelten. Mindestens müssen es zehn sein.

Prozent

der heimischen Unternehme­n fallen in diese Definition. In absoluten Zahlen sind es rund 41.000.

Mittelstän­dler hätten darüber hinaus aber auch eine größere Verbundenh­eit zu der Region – zumindest zu jener, in der die Firmenzent­rale steht. Hier hätten multinatio­nale Konzerne einen „größeren Gestaltung­sspielraum“, wenn es etwa darum gehe, Töchter aus steuerlich­en Gründen in ein anders Land zu verlagern.

Unter dem Strich hätten aber alle Firmen mit den gleichen Problemen zu kämpfen, so Voithofer: einer hohen Steuer- und Abgabenbel­astung und der überborden­den Bürokratie. Doch auch hier kann es den Mittelstan­d etwas härter treffen als die anderen. So kämen Firmen mit etwa 30 Mitarbeite­rn beispielsw­eise im Arbeitsrec­ht nicht mehr in den Genuss der Ausnahmere­gelungen für Kleinbetri­ebe. Gleichzeit­ig hätten sie aber auch noch nicht den Vorteil, eigene Spezialist­en zu dem Thema zu haben, wie die Größeren.

»Es gibt einen Unterschie­d zwischen definitori­schem und gefühltem Mittelstan­d.«

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Fabry Es sei nichts Unanständi­ges groß zu sein, so Ökonom Voithofer. Die meisten sehen sich aber lieber als Mittelstan­d.
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