Der heiß geliebte Mittelstand
Nicht nur die gesellschaftliche Mitte ist wieder einmal die Zielgruppe der Politik. Auch bei Unternehmen ist es vor allem der Mittelstand, um den sich alle reißen. Doch wer ist das überhaupt?
Es war das inzwischen bereits legendäre „Pizza-Video“von Bundeskanzler Christian Kern, das Mitte April veröffentlicht wurde, in dem der Begriff im beginnenden Vorwahlkampf erstmals wieder aufschien. Sie sei die einzige Partei, die für die Mittelschicht kämpfe, so die SPÖ am Ende des Filmchens. Eine Aussage, die man beim Koalitionspartner ÖVP nicht auf sich sitzen lassen konnte. Die wahren Werte des Mittelstandes seien von Kern in Wirklichkeit bedroht, so der Sukkus eines für die eigenen Funktionäre erstellten Pamphlets, das jüngst für mediale Wellen sorgte.
Auch wenn die beiden Regierungsparteien sich in ihrer Eigenwahrnehmung also deutlich unterscheiden, ist eines somit klar: Die Mitte der Gesellschaft ist die Hauptzielgruppe für ihre Bemühungen. Kein Wunder, ist diese Mitte ja auch ziemlich nebulös definiert, sodass sich ihr jeder zugehörig fühlen kann. So ist nicht einmal der Begriff einheitlich: Während die SPÖ von der Mittelschicht spricht, nennt die ÖVP die gleiche Personengruppe (etwas veraltet) Mittelstand. Letzteres gilt inzwischen jedoch vor allem als Fachterminus für mittelgroße Unternehmen. Die „Guten“. Aber nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Wirtschaft ist es vor allem die Mitte, die die Politik ansprechen will. Und zu der ebenfalls die meisten gehören wollen. Denn während große Konzerne als „böse“gelten, weil sie nur auf ihr eigenes Wohl aus seien, sind die Mittelständler in der öffentlichen Wahrnehmung meist die „Guten“. Also jene, die Jobs schaffen und brav die Steuern zahlen. Doch wer ist das eigentlich, der Mittelstand?
Laut der von der EU vorgegebenen Definition handelt es sich dabei um Firmen, die mehr als zehn aber weniger als 250 Mitarbeiter haben. So lautet das Hauptkriterium, um als kleines oder mittleres Unternehmen zu gelten. Wer weniger Mitarbeiter hat, ist ein Kleinstbetrieb. Wer mehr hat, gehört schon zu den Großen. Mit rund 41.000 der 328.000 heimischen Unternehmen fällt ziemlich genau jede achte heimische Firma in den Mittelstand. Den größten Anteil der heimischen Wirtschaft machen indes Kleinstbetriebe mit 87 Prozent aus. „Zusammen stellen die sogenannten KMU 99,7 Prozent aller Unternehmen“, sagt Peter Voithofer von der KMU-Forschung Austria. Anders die Situation auf der anderen Seite: „Nach oben wird die Luft dünn.“Nur 1130 Firmen haben mehr als 250 Mitarbeiter. Die Zahl jener mit über 500 Arbeitsplätzen liegt sogar bei weniger als 500.
Allerdings handle es sich bei dieser Definition vor allem um einen wirtschaftsstatistischen Begriff. „Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem definitorischen und dem gefühlten Mittelstand“, so Voithofer. Letzteres hänge nämlich sehr stark damit zusammen, ob „hinter dem Betrieb noch ein wirklicher Unternehmer steckt, der eine große Verbundenheit mit der Firma hat.“Letzteres treffe in der Regel vor allem auf Familienunternehmen zu.
Das führt dann zu der Situation, dass heimische Industriebetriebe mit mehreren tausend Mitarbeitern und Produktionstöchtern in Osteuropa und Asien sich als typischer Mittelstand empfinden, obwohl sie nach der harten und auf konkreten Zahlen basierenden Strukturdefinition schon längst als Großbetrieb oder sogar multinationaler Konzern zu klassifizieren wären. Doch gerade Letzteres würde wohl keine in Familienbesitz befindliche Firma aus dem Tiroler Unterinntal, dem oberösterreichischen Innviertel oder dem steirischen Murtal über sich selbst sagen. Einstellungssache. „Natürlich ist es nichts Unanständiges, ein Großunternehmen zu sein“, meint Voithofer dazu. Allerdings werde mit dem Begriff Mittelstand eben auch eine besondere Einstellung des Firmenchefs verbunden. „Es geht darum, dass es bei solchen Unternehmen nicht nur um Zahlen geht und auch die Mitarbeiter sozusagen einen Namen haben und nicht nur eine Nummer.“Eine Sichtweise, die allerdings auch internationale Konzernriesen wie Google oder Microsoft von sich selbst haben dürften, wenn man sie darauf anspricht.
Mitarbeiter.
So viele Arbeitsplätze darf ein Unternehmen maximal haben, um als Mittelständler zu gelten. Mindestens müssen es zehn sein.
Prozent
der heimischen Unternehmen fallen in diese Definition. In absoluten Zahlen sind es rund 41.000.
Mittelständler hätten darüber hinaus aber auch eine größere Verbundenheit zu der Region – zumindest zu jener, in der die Firmenzentrale steht. Hier hätten multinationale Konzerne einen „größeren Gestaltungsspielraum“, wenn es etwa darum gehe, Töchter aus steuerlichen Gründen in ein anders Land zu verlagern.
Unter dem Strich hätten aber alle Firmen mit den gleichen Problemen zu kämpfen, so Voithofer: einer hohen Steuer- und Abgabenbelastung und der überbordenden Bürokratie. Doch auch hier kann es den Mittelstand etwas härter treffen als die anderen. So kämen Firmen mit etwa 30 Mitarbeitern beispielsweise im Arbeitsrecht nicht mehr in den Genuss der Ausnahmeregelungen für Kleinbetriebe. Gleichzeitig hätten sie aber auch noch nicht den Vorteil, eigene Spezialisten zu dem Thema zu haben, wie die Größeren.
»Es gibt einen Unterschied zwischen definitorischem und gefühltem Mittelstand.«