Die Blockchain: Die DNA der zweiten digitalen Revolution
Nach den Nerds stürzen sich die Großkonzerne auf die Bitcoin-Technologie. Doch dem angesagten Umsturz sind noch Grenzen gesetzt.
lösen. Für manche Bereiche ist es meiner Meinung nach heute schon sinnvoll, Blockchains zu nutzen. Andere sollten vielleicht noch ein paar Jahre warten. Bei Blockchains gibt es noch technische Herausforderungen. Schaffen wir es nicht, sie in den nächsten Jahren zu lösen, dann reden wir hier über nichts. Wem werden wir in 20 Jahren trauen? Ihnen? Einem Programmcode? Wir beobachten schon relativ lang, wie das Vertrauen in zentralisierte Institutionen schwindet. Es gibt nicht das eine zentrale Medium, dem wir alle vertrauen können. Und so wird es auch noch zumindest ein halbes Jahrhundert oder länger bleiben. Das öffnet ein Loch, das gefüllt werden muss. Menschen vertrauen noch ihren Freunden und anderen Menschen, die sie kennen. Die Technologie ist ein Weg, um diesen Mechanismus auf einen größeren Maßstab umzulegen. Aber ich denke nicht, dass eine neue Superinstanz kommt, der wir trauen werden. Ist es überhaupt notwendig, dass wir jemandem oder etwas vertrauen? Das Problem ist: Irgendwie muss jeder zu einer eigenen Meinung kommen. Wenn Politiker A sagt, dass Migranten raus müssen, weil sie alle Vergewaltiger sind, und Politiker B sagt, dass Migranten super sind, weil sie der Wirtschaft helfen, muss man irgendwie herausfinden, wo man steht. Es ist sicher gut, wachsam und skeptisch zu sein und nicht alles gleich zu glauben. Aber wirklich spannend ist, wenn man sich ansieht, wie Menschen zu ihren Überzeugungen kommen. Wenn man einen Menschen fragt, ob er an den Klimawandel glaubt, hat seine Antwort wenig damit zu tun, was er tatsächlich davon hält. Er wird das antworten, was ihm mehr sozialen Status unter seinen Freunden bringt. Wir müssen Technologien entwickeln, die den Menschen helfen, dass ihre Überzeugung stärker mit der Wahrheit zusammenhängen. Aber man darf nicht erwarten, dass jeder Mensch ein intellektueller Heiliger wird oder kritisch denken kann und will. Das ist wirklich knifflig. Ein wenig erinnert es an den Dot-ComBoom der späten 1990er-Jahre. Reichten damals oft ein paar Powerpoint-Folien mit dem Wort Internet drauf, damit Investoren begeistert ihre Geldbörsen öffneten, lautet das neue Sesam-ÖffneDich des laufenden Jahrzehnts Blockchain. 390 Millionen US-Dollar sammelten Start-ups allein 2015 mit dem Versprechen ein, die Bankenbranche irgendwie mit der noch jungen Technologie durcheinanderzuwirbeln. Auch Silicon-Valley-Legenden wie Marc Andreessen hält es kaum noch auf den Stühlen: Blockchain sei die „größte Erfindung seit dem Internet“, verkündete er. Jede Menge Vorschusslorbeeren für eine Software, die ihren Nutzen im großen Stil erst beweisen muss. Wo steht die Blockchain abseits des Hypes? Wie funktioniert sie und wo stößt sie an Grenzen? Ein kleiner Wegweiser.
Im Herbst 2008 stellte ein bis heute Unbekannter unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto die Grundlagen für die digitale Währung Bitcoin ins Netz. Kurz nach der Finanzkrise gab es damit erstmals eine Währung, die Menschen vollkommen anonym und frei von Restriktionen der Zentralbanken und Regierungen verwenden konnten. Der Hype war so groß, dass die eigentliche Revolution lange übersehen wurde. Sie schlummerte in der digitalen DNA der Bitcoins, in der Blockchain.
Stark vereinfacht ist die Blockchain ein digitales Register, in dem Transaktionen in einer langen Kette hintereinander gespeichert werden. Da diese Blockchain auf den Rechnern aller Teilnehmer gespeichert und aktualisiert wird, ist eine Manipulation de facto unmöglich – oder würde zumindest sehr schnell erkannt werden. Für das notwendige Vertrauen in die Währung, das bisher Könige, Zentralbanken und Kreditinstitute gewährleistet haben, sorgen die Menschen hier also gegenseitig. Intelligente Verträge. Der Kanadier Vitalik Buterin war einer der ersten, der die Sprengkraft dieses Prinzips wirklich erkannt hat. Er baute die Bitcoin-Blockchain so um, dass die Menschen mit ihr de facto „alles tun können, was sie wollen“. Seine Blockchain-Plattform Ethereum ermöglicht etwa sogenannte intelligente Verträge, die sich selbst ausführen, ohne dass die Vertragsparteien eingreifen oder ein Notar oder Anwalt sein Placet geben müsse. Jede Art von Transaktion ist nunmehr direkt von Mensch zu Mensch möglich. Klassische Vermittler – wie etwa Wertpapierhändler – braucht es im Grunde nicht mehr. Seit das bekannt ist, gibt es kaum eine Branche, die sich nicht mit der Technologie beschäftigt. Mit Blockchains werden vollautomatische Firmen gegründet, Firmen geführt und sogar die Zukunft vorhergesagt.
50 Großbanken loten im R3-Konsortium gemeinsam das Potenzial der Blockchain aus. Gleich nach den Banken ist die Energiewirtschaft auf den Blockchain-Zug aufgesprungen. „Es gibt keinen Netzbetreiber, der heute nicht mit der Blockchain experimentiert“, sagt Herwig Struber, Geschäftsführer von Salzburg Netz, zur „Presse am Sonntag“. Schon allein deshalb, weil sie nicht in wenigen Jahren mit leeren Händen übrig bleiben wollen. Denn wer etwa eine Fotovoltaikanlage am Dach hat, kann seinen Strom künftig via Blockchain direkt an den Nachbarn liefern und dafür bezahlt werden. Energieversorger oder Netzbetreiber braucht es nicht unbedingt.
Nicht Könige und Banker schaffen das nötige Vertrauen, sondern die Menschen selbst.
Aber die Blockchain ist noch eine sehr junge Technologie, die noch etliche Hürden nehmen muss, bevor sie die Welt wirklich in großem Maßstab ändern wird können. Problem Nummer eins sind skeptische Regulatoren. Erst Mitte März hat die US-Börsenaufsicht den ersten Indexfonds auf die DigitalWährung Bitcoin verboten. Die Entscheidung ließ den Kurs um knapp zwanzig Prozent einbrechen. Auch in der Energiebranche schrecken die Aufsichtsbehörden noch davor zurück, den Handel mit Strom zwischen Privaten zu erlauben.
Doch die Blockchain werde mit wachsendem Erfolg auch an technische Grenzen stoßen, sagt der Innsbrucker Informatiker Rainer Böhme zur „SZ“. Die einzelnen, verschlüsselten Datenblöcke einer Blockchain entstehen dadurch, dass Computer komplexe Rechenaufgaben lösen. Der Schritt dauere „im Schnitt fünf Minuten“, so der Experte. Das ist zwar schneller als etwa eine Überweisung über die Hausbank. Aber für den alltäglichen Gebrauch sei Bitcoin damit in seinen Augen nicht geeignet. Zumal die Überweisungen länger dauern werden, je mehr Menschen Bitcoin verwenden. „Bei Blockchains gibt es noch technische Herausforderungen“, räumt auch Vitalik Buterin im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ein (siehe links) – und liefert einen willkommenen Kontrapunkt zum Hype. „Schaffen wir es nicht, sie zu lösen, dann reden wir hier über nichts.“