Rad, Auto, Fußgänger? Eine gewollte Hassliebe
Wie Konflikte auf Straßen geschürt werden, und warum man im Verkehr seine dunkelsten Seiten auslebt.
Auf den Straßen wird es enger, auf Radwegen genauso, und wenn sich dann noch ein Radfahrer zwischen wartenden Autos durchschlängelt, kann es sehr eng werden. Oft braucht es nicht viel, um Emotionen hochgehen zu sehen. Der andere, der ist im Straßenverkehr immer ein Idiot, und erstaunlich oft werden einem in Wien am Fahrrad, von nett wirkenden Menschen aus Autos heraus oder von Passanten Schimpfworte nachgeschrien.
Radfahrer als anarchistische Rowdys, Autofahrer, die keinen Platz machen und Radfahrer in Gefahr bringen: Um sich ein Bild gängiger Feindbilder zu machen, empfiehlt sich (neben einer Probefahrt durch Wien) ein Blick in Online-Foren zu Verkehrsthemen. Der andere ist schnell ein Trottel. Tatsächlich haben Straßenverkehr und Internet einiges gemeinsam, sagt Elisabeth Füssl. Sie ist Verkehrssoziologin am Institut Factum, das sich mit Mobilität und Verkehr befasst. „Im Verkehr ist man weitgehend anonym unterwegs, wie in Foren.“Dieses Setting sorgt auch für Missverständnisse: „Aus der Psychologie wissen wir, dass man das eigene Verhalten immer begründet. Zum Beispiel: Ich fahre bei Rot, weil ich es in der Situation für ungefährlich halte. Dem andern billigen wir es aber nicht zu, dass er für sein Verhalten eine gute Begründung hat“, den erkläre man schnell zum Trottel.
Auch Infrastruktur fördert Verhaltensweisen, denn die bestimmt Tempo und Kommunikationsmöglichkeit. Ist eine Straße gerade und breit, unterstützt das Schnellfahren, und damit systematischen Regelbruch. Bei langsamerer Geschwindigkeit bleibt Kommunikation möglich, man kann Missverständnisse aus dem Weg räumen.
Kommt es zu keiner Kommunikation, bzw. nur einer kurzen Unmutsäußerung, bekommt man keine Rückmeldung a´ la „das war unangenehm, ich habe mich erschrocken“vom anderen, „man wird mit seiner Wut, im Schock allein gelassen. Das nimmt man den ganzen Tag mit“, sagt Füssl.
Genauso bleibt man mit seiner Interpretation (a´ la Radfahrer/Autofahrer hat mich in Gefahr gebracht) allein. Entladen kann sich das in der nächsten Konfliktsituation. Wie es besser geht, zeige etwa die Mariahilfer Straße: Das Tempo ist langsamer, Kommunikation bleibt möglich, und gefährliche Konflikte seien viel weniger ein Thema, sagt Füssl. Gegenbeispiel sind einige US-Städte: „Die haben den Radverkehr auf quasi nichts reduziert, weil die Infrastruktur nur auf Autoverkehr ausgelegt ist.“Dass Verkehrsteilnehmer besser auskommen, wenn kommuniziert wird und das Tempo langsamer ist, erklärt wohl auch, dass es in Ländern, Indien oder Nigeria etwa, in denen es keine Trennung zwischen Straße und Gehweg gibt und der Verkehr völlig chaotisch wirkt, aber viel kommuniziert, bzw. gehupt wird, sich Situationen konfliktfrei lösen, in denen in Wien wohl die Polizei kommen müsste.
Eine Rolle dabei, dass Emotionen im Verkehr so hochkochen, spielt natürlich das Gefährdungspotenzial – und auch das Gefühl, übervorteilt zu werden, das in Rage bringt. „Wer aufs Rad steigt, ist ein Grüner?“Und natürlich geht es um Verteilungskämpfe. Wo Platz knapper wird, wie in einer wachsenden Stadt wie Wien, steigen Aggressionen. Und Anteile verschieben sich: 2016 wurden 39 Prozent aller Strecken in Wien mit U-Bahn, Bus oder Straßenbahn zurückgelegt. Je 27 Prozent entfielen auf Auto und Fußgänger, für Radfahren blieben sieben Prozent. Das entspricht den Daten aus 2015, aber über die vergangenen 20 Jahre ist der Pkw-Anteil zurückgegangen, während mehr Wege öffentlich oder am Rad zurückgelegt werden.
Langfristig gesehen befindet sich das System im Umbruch: „Es geht darum, wie man ein System für mehr Verkehrsteilnehmer nutzbar macht. Das System der letzten 30, 40 Jahre funktioniert nicht mehr. Autofahrer hatten die Straße weitgehend für sich, nun nehmen wieder alle den öffentlichen Raum in Anspruch. „Es geht darum: Wie schafft man Umgestaltung ohne politisches Hickhack?“
Gerade dieses Hickhack wird in Wien zelebriert. Aus dem Rathaus sind von SPÖ-Seite Sager überliefert wie: Wer aufs Radl steigt, ist ein Grüner. Diese Instrumentalisierung und Positionierung von Parteien als Vertreter von Autofahrern oder Radfahrern fand in Wien statt, während am Land so gut wie jeder einmal mit dem Auto, einmal mit dem Rad unterwegs ist – ohne, dass das irgendjemand für politische Deklaration hielte. Da gilt, um die Konflikte im Alltag zu entschärfen, die schlichte Weisheit: „Niemand ist nur Autofahrer oder Fußgänger“, der Wechsel von Perspektiven helfe, Fehler der anderen zu tolerieren. Elisabeth Füssl ist ist Verkehrssoziologin am Institut Factum. Factum ist ein Forschungsinstitut mit Schwerpunkt Mobilität und Verkehr, das diese Themen vor allem aus einer sozialwissenschaftlichen und psychologischen Perspektive erforscht.