VEDRAN DˇZIHI
den USA als auch der EU sei die Stabilität immer „am wichtigsten“gewesen, sagt der Belgrader Soziologe Jovo Bakic:´ „Ob ein Land autoritär geführt wird oder nicht, interessiert sie nicht.“Selbst Mazedoniens ins Visier der Justiz geratenen Dauerregenten Nikola Gruevski habe der Westen fast ein Jahrzehnt im Sattel gehalten: „Erst, als er die Stabilität nicht mehr garantieren konnte, wurde er fallengelassen.“
Wer seinen Vorhof verwahrlost, muss sich nicht über dessen Verwilderung und ungebetene Gäste wundern. Die von Misstönen überschattete Balkanreise der EU-Außenbeauftragten, Federica Mogherini, im März demonstrierte vor allem eines: Der Einfluss der EU ist am Schwinden. So verweigerte sich Mazedoniens Präsident, Djordje Ivanov, ihrer Aufforderung, dem von einer Mehrheit unterstützten Oppositionschef den Regierungsauftrag zu erteilen. In Kosovo wurde die von ihr geplante Wiedereröffnung der Brücke in der geteilten Stadt Mitrovica erneut verschoben. In Serbiens Parlament schallten ihr „Russland“-Rufe entgegen. Und auch Bosniens Dauerstreithähne sollten bei ihrem Empfang nur kurz ihr Kriegsbeil begraben. „Parteiführer für 60 Minuten vereint“, höhnte bitter das Portal „klix.ba“.
„Der Balkan hört nicht mehr auf Brüssel“, frohlockt ätzend die russische Sputnik-Agentur. Tatsächlich ködern nicht nur Russland, sondern auch die Türkei, China und die Arabischen Emirate die angeschlagenen EU-Anwärter mit bereitwillig gewährten Krediten für Großprojekte. Moskau setzt bei der Ausweitung seines Einflusses nicht nur auf ein verstärktes Propagandafeuer, sondern auch auf die Lieferung von Waffen: Lyrisch wird in Serbiens Regierungsmedien schon seit Wochen die Lufthoheit gegenüber Kroatien dank der erwarteten Morgengabe von sechs ausgedienten MIG-Jägern aus Russland besungen.
Ob bei Bosniens Dauerlähmung, Moskaus Druck auf Nato-Aspirant Montenegro oder die Politik der Nadelstiche zwischen Belgrad und Prishtina: Für den offensichtlichen Kontrollverlust Brüssels im EU-Wartesaal sind mehrere Ursachen auszumachen. Neben Erweiterungsmüdigkeit in der EU, der Ermattung in der EU-Warteschleife und dem veränderten globalen Umfeld ist es auch das widersprüchliche Agie- ren der EU-Mitglieder, das nicht nur regionale Politfürsten, sondern auch Moskau entschlossen das entstandene Machtvakuum für die eigenen Interessen nutzen lässt. Das Gleichgewicht der Kräfte ändere sich schnell, doch Brüssel „tappt im Nebel“, warnt besorgt Albaniens Premier Edi Rama. Eiferer gewinnen Oberwasser. Jahrelang schien die Karotte eines fernen EU-Beitritts für Brüssel genug, um die Anwärter im EU-Wartesaal bei der Stange zu halten. Doch die Zeiten, in denen die EU und die USA die zerstrittenen Nachbarn gemeinsam auf eine Politik der Aussöhnung und rechtsstaatlicher Reformen einzuschwören versuchten, scheinen vorbei: Nach der britischen Entscheidung für den Brexit und der Wahl von US-Präsident Donald Trump gewinnen auch auf dem Balkan nationalistische Eiferer wieder Oberwasser.
Lästige Bürgerrechtsgruppen, die EU-Werte einfordern, werden von ihren Regierungen als vom Ausland oder dem US-Finanzinvestor George Soros finanzierte Söldner diffamiert. Umgekehrt schwächt die EU mit dem Hofieren fragwürdiger und mit Russland liebäugelnder Autokraten als Garanten der Stabilität die ohnehin schwache Position der proeuropäischen Opposition. „Absolut überraschend“sei in Serbiens Wahlkampf vor allem der „Boykott“, den der Westen gegenüber Oppositionskandidaten wie Ex-Ombudsmann Sasaˇ Jankovic´ oder Ex-Außenminister Vuk Jeremic´ demonstriere, sagt der serbische Meinungsforscher Zoran Panovic:´ Diese würden vom Westen ignoriert, „als ob es sie nicht geben würde“.
Der Balkan könnte leicht zu einem „Schachbrett“für die Spiele der Großmächte werden, mahnt Mogherini die EU-Partner zu einem größeren Einsatz für die Region. Doch auch die Extrawürste von Mitgliedern, die noch stets das Loblied auf die Erweiterung anstimmen, tragen zum widersprüchlichen EU-Erscheinungsbild bei. Wie Der Politologe kritisiert die Einstellung vieler regierender Politiker in Südosteuropa.
Russland, China, die Türkei und die Emirate ködern Balkanstaaten mit Krediten.