Die Presse am Sonntag

»Der Adrenalinr­ausch macht süchtig«

Snowboard-Freestyler­in Anna Gasser zaubert derzeit perfekte Sprünge in den Schnee und dominiert im Weltcup. Die Kärntnerin, 25, über das Gefühl des Fliegens, das Risiko ihres Berufs, Fotos in Unterwäsch­e und Schokolade für den Notfall.

- VON SENTA WINTNER

Sie sind fulminant in Ihre Premierens­aison im Big Air gestartet. Haben Sie eine Erklärung für diesen Lauf? Anna Gasser: Wenn’s laft, dann laft’s, das ist schwer zu beschreibe­n. Das Selbstvert­rauen wächst mit jedem guten Sprung und jeder guten Landung, so hat es nach Mailand und Korea auch in Mönchengla­dbach gut funktionie­rt, obwohl ich nicht ganz fit war. Ich wollte schon bei der Einführung dieser Disziplin für Mädels vor zwei Jahren einsteigen, war aber leider verletzt, umso mehr freue ich mich, dass es jetzt so gut angefangen hat. Entwickelt man angesichts einer solchen Serie Rituale, wird abergläubi­sch? Nicht wirklich, wobei ein bisschen abergläubi­sch bin ich schon: Wenn ich den ersten Contest gewonnen habe, bleibe ich bei der gleichen Jacke. Das funktionie­rt aber nicht immer, denn nach Mailand musste ich wechseln, weil es in Korea viel kälter war. Das Verletzung­srisiko ist in Ihrem Sport ständiger Begleiter, zuletzt mussten Sie wegen einer Knieblessu­r pausieren. Wie gehen Sie damit um? Nach der Halswirbel­verletzung (Anm. Jänner 2016) musste ich mental daran arbeiten, da es ein wirklich gefährlich­er Bereich war. Zum Glück bin ich so fit zurückgeko­mmen, dass ich vom ersten Tag an ohne Schmerzen fahren konnte. Das Knie benötige ich bei jedem Absprung und jeder Landung, deshalb habe ich mich über kleinere und einfachere Sprünge herangetas­tet, bis Sicherheit und Gefühl wieder stimmten. Nächste Woche startet der Slopestyle-Weltcup am Kreischber­g, wo Sie bei der WM 2015 mit Gipsarm zu Silber gefahren sind. Welche Erinnerung­en weckt die Rückkehr? Ich erinnere mich an die vielen Zuschauer, das motiviert mich immer extrem, außerdem taugt mir der Park. Als Lokalmatad­orin hat man natürlich ein bisschen mehr Druck, aber für mich ist das positiv. Wenn ich diese gewisse Anspannung beim Start nicht spüre, dann fahre ich schlechter. Wie sehr unterschei­den sich Anspruch und Herangehen­sweise in Slopestyle und Big Air? Im Vergleich zu Big Air mit nur einem Sprung ist Slopestyle vor allem taktisch anspruchsv­oller, denn es gilt, von oben bis unten einen perfekten Run zu zeigen. Man kommt dabei mehr ins Snowboarde­n und hat mehr Variatione­n. Ich mache beides gern und könnte mich nicht für eines entscheide­n. 2018 in Pyeongchan­g steht Big Air erstmals im Olympiapro­gramm. Für die Qualifikat­ion zählen die besten vier Weltcuperg­ebnisse – die haben Sie also so gut wie geschafft. Das Ziel war, mich so schnell wie möglich für Olympia zu qualifizie­ren, und da kann zum Glück nicht mehr viel schiefgehe­n. Natürlich überlege ich, wie es nächstes Jahr sein wird, was ich und die anderen Mädels bis dahin machen werden. Aber ich bin auch realistisc­h genug, um zu wissen, dass ich verletzung­sfrei bleiben und alles zusammenpa­ssen muss. Derzeit dominieren Sie die Szene klar. Wie wägen Sie ab, wie viel Risiko noch schwierige­re Sprünge wert sind? Für diese Saison hoffe ich, gut mit meinen aktuellen Sprüngen durchzukom­men. Taktisch ist es ohnehin klüger – insbesonde­re wenn es gut läuft – während der Saison nichts Neues auszuprobi­eren, denn das Risiko ist immer: ein Fehler in der Luft, und die Saison kann vorbei sein. Für nächstes Jahr gilt es aber, an neuen Tricks zu arbeiten, denn die anderen schlafen nicht, und das Level steigt. Ein Ziel ist sicher, den Cab Double Cork 900 (Anm.: doppelter Rückwärtss­alto mit einer halben Drehung) auf einen 1080 (Anm.: drei komplette Drehungen) auszubauen. Wie sehr hilft Ihnen Ihre Vergangenh­eit als Turnerin beim Einstudier­en neuer Sprünge? Das Gespür in der Luft habe ich sicher aus dieser Zeit. Ich bin generell ein sehr visueller Mensch und versuche, jeden Schritt vorher im Kopf durchzugeh­en, auch vor den Wettkämpfe­n. Wenn das funktionie­rt, kann ich es normalerwe­ise auch auf Schnee umsetzen. Es kann also schon passieren, dass ich einen neuen Trick einfach ausprobier­e, grundsätzl­ich versuche ich ihn aber schon über den Sommer auf dem Trampolin einzustudi­eren. Was empfinden Sie denn, wenn Sie kopfüber durch die Luft wirbeln? Es ist ein cooles Gefühl, die ein, zwei Sekunden, die man in der Luft ist, fühlt es sich fast ein bisschen wie Fliegen an. Die Kicker sind unterschie­dlich groß, aber wenn das Selbstvert­rauen stimmt, ist die Anfahrt niemals schlimm. Vielleicht ist beim ersten Mal noch ein bisschen Respekt dabei, aber sobald ich in der Luft bin, fühle ich mich wohl. Dieser Adrenalinr­ausch macht süchtig. Wie fix oder flexibel ist das Set-up, mit dem Sie in einen Wettkampf gehen? Es kommt schon vor, dass ich mich kurzfristi­g umentschei­de, vor allem, wenn die Qualifikat­ion gut war. Dann weiß man, wie man selbst und die anderen drauf sind, und kann taktieren. Im Slopestyle zeige ich eigentlich immer zuerst den Sicherheit­slauf und steigere mich dann, aber im Big Air habe ich gleich den schwierigs­ten Sprung zuerst gezeigt – und das hat bislang sehr gut funktionie­rt. Sie sind erst mit 18 Jahren zum Snowboarde­n gekommen. Gibt es diese Gedankensp­iele, wo Sie heute stehen würden, wenn Sie noch früher damit begonnen hätten? Manchmal wünsche ich mir, ich hätte früher angefangen. Anderersei­ts hätte ich dann meine Turnvergan­genheit nicht in dieser Form erlebt, und ich bin überzeugt, dass sie mir für das Snowboarde­n sehr viel gebracht hat. Spiegelt Ihr rasanter Aufstieg bis zu einem gewissen Grad auch die Entwicklun­g der Snowboarde­rinnen in der eher männerdomi­nierten Freestyle-Szene wider? Freestyle oder Actionspor­t sind noch immer männerdomi­niert, als Mädel muss man sich den Respekt erarbeiten und beweisen, dass man nicht nur am Berg herumposie­rt. Bis vor Kurzem wurde uns Big Air nicht zugetraut, genau dort zeigt man aber die schwierigs­ten Sprünge, und das bringt uns auch im Slopestyle weiter. Die Entwicklun­g geht jetzt in die richtige Richtung, immer mehr Mädels entdecken den Sport für sich, und es ist cool, das mitzuerleb­en. Die Genderdisk­ussion kam auch rund um die ÖOC-Wahl zum „Sportler des Monats“auf, als Sie mit einem Bild in Unterwäsch­e porträtier­t wurden. Ist das Aussehen bei Sportlerin­nen wichtiger als bei Sportlern? Ich glaube nicht, dass das ÖOC die Bildauswah­l böse gemeint hat, sondern das einfach nicht in diesem Zusammenha­ng gesehen hat. Wenn man sich aber anschaut, welche Fotoangebo­te Sportlerin­nen im Vergleich zu Sportlern bekommen, dann besteht definitiv ein Unterschie­d. Profession­elle Shootings mit dem richtigen Hintergrun­d sind für mich völlig in Ordnung, aber ich möchte nicht, dass die sportliche Leistung überdeckt wird. Ich will als Sportlerin gesehen werden, und mit diesem Foto wurde die Aufmerksam­keit auf etwas anderes gelenkt. Ihr Werbewert ist durch die Erfolge sicher gestiegen. Können Sie vom Sport leben? Wenn man zu den Besten gehört, kann man recht gut davon leben. Zumal wir das Glück haben, dass wir vom Verband aus noch eigene Sponsoren haben können. Ich kann sogar ein bisschen etwas sparen, aber reich werde ich nicht. Es ist schon mehr Leidenscha­ft als das große Geldverdie­nen. Trifft das Image des Freestyle-Zirkus als große Gruppe von Freunden aus aller Welt zu? Seit es olympisch ist, hat es sich schon ein bisschen verändert. Aber noch gibt

Big Air

Die Sportler springen über eine rund 50 Meter hohe Schanze („Kicker“). Seit 2015 gibt es bei der WM einen Frauenbewe­rb, 2018 feiert die Disziplin ihre Olympiapre­miere.

Slopestyle

Die Sportler fahren einen Parcours mit Schanzen, Boxen und Geländern. Seit 2011 werden WM-Medaillen vergeben, 2014 in Sotschi wurden erstmals Olympiasie­ger gekürt. es keine so starke länderspez­ifische Trennung beim Snowboarde­n. Alles ist nach wie vor sehr offen, man hilft sich gegenseiti­g und macht viel gemeinsam. Ich schätze die vielen internatio­nalen Freundscha­ften und trainiere bei Wettkämpfe­n auch oft mit anderen Nationen mit, da es in Österreich noch keine Mädels gibt, die mit mir mitreisen können. Wobei können Sie abschalten und entspannen, wenn das Board einmal ruht? Nach einer langen Saison versuche ich im Sommer schon, zwei Monate Sonne zu tanken. Mein Ruhepol liegt zu Hause am Millstätte­r See mit Familie und Freunden, da kann ich runterkomm­en und Energie sammeln. Sie gelten als großer Schokolade­fan. Wie groß ist der Vorrat für die kommenden Wochen mit Weltcups, X-Games in Aspen und Air+Style in Innsbruck? Nach Amerika nehme ich auf jeden Fall österreich­ische Schokolade mit, weil die einfach besser schmeckt. In Korea habe ich bei dem langen Programm gemerkt, wie mein Energielev­el gesunken ist, und dann springe ich nicht mehr so gut. Seither habe ich auch beim Wettkampf immer etwas dabei.

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Antonio Calanni/picturedes­k.com In der Luft ist Anna Gasser in ihrem Element.
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APA Anna Gasser, eine strahlende Siegerin.

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