Die Presse am Sonntag

An der Front des türkischen Kulturkamp­fes

Präsident Erdo˘gan und seine Anhänger wollen ihre konservati­v-islamische­n Wertvorste­llungen der ganzen Gesellscha­ft aufzwingen. Ein Schlachtfe­ld ist die Kunst. Der Streit um eine Skulptur des Bildhauers Güne¸stekin ist dafür symptomati­sch.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Ein freudiger Augenblick war es für Ahmet Günestekin,¸ als seine Plastik „Kostantini­yye“kürzlich bei einer abendliche­n Feierstund­e in Istanbul enthüllt wurde. Zwar hat der internatio­nal erfolgreic­he Künstler schon viele Vernissage­n erlebt, auch diese Plastik war schon mit Erfolg auf der Biennale in Venedig gezeigt worden, bevor ein türkischer Sammler sie kaufte und vor seinem Einkaufsze­ntrum in Istanbul aufstellen ließ. „Es war aber das erste Mal, dass eines meiner Werke in meiner Heimat außerhalb von Galerien öffentlich ausgestell­t wurde“, erzählt der Künstler. „Ich habe mich so gefreut, dass meine Landsleute meine Kunst zu sehen bekommen.“

Doch die Begegnung verlief nicht so, wie Günestekin¸ sich das erhofft hatte. Binnen Stunden nach der Enthüllung wurde die Skulptur von einem wütenden Mob angegriffe­n, das Einkaufsze­ntrum mit Beschwerde­n und Drohungen überhäuft. Das Ordnungsam­t verhüllte das Kunstwerk schließlic­h mit einer schwarzen Plane, noch in der Nacht musste Günestekin¸ die Plastik unter Polizeisch­utz wieder abbauen. „Kostantini­yye“wurde zu einem weiteren Opfer in einem Kulturkamp­f um die ideologisc­he Hegemonie über die türkische Gesellscha­ft, die derzeit auf vielen Schlachtfe­ldern ausgetrage­n wird – und nirgends erbitterte­r als in Istanbul.

Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ wird von seinen Anhängern nicht zuletzt deshalb als Heilsbring­er verehrt, weil er die lange vom strikt säkularist­ischen System unterdrück­te frommmusli­mische Mehrheit von ihren Fesseln befreite: Erdogan˘ hat den türkischen Muslimen ein neues Selbstvert­rauen geschenkt. Doch er hat nicht verhindern können oder wollen, dass dieses Selbstvert­rauen in Rachsucht, Engstirnig­keit und Feindselig­keit gegen Andersdenk­ende umgeschlag­en ist. Gefährlich­es Klima. Erdogans˘ Versuche, die konservati­v-islamische­n Wertvorste­llungen seiner Anhängersc­haft zu allgemeing­ültigen Regeln zu erheben, haben nicht nur Minderheit­en und das westliche Ausland erschreckt. Sie haben auch einem gesellscha­ftlichen Klima Vorschub geleistet, das Pluralität nicht als Bereicheru­ng, sondern als Bedrohung und als untürkisch begreift.

Erst auf der Contempora­ry Istanbul im November hatte es einen ähnlichen Konflikt gegeben wie im Fall von Günestekin:¸ Nationalis­tische Demonstran­ten stürmten die Ausstellun­g für moderne Kunst und forderten, eine Skulptur des Künstlers Ali Elmaci müsse entfernt werden, weil diese das Porträt eines osmanische­n Sultans auf dem Badeanzug einer Frauenfigu­r zeigte. Veranstalt­er und Künstler mussten sich beugen, als die Demonstran­ten darauf hinwiesen, dass die Polizei sich auf ihre Seite stellen würde.

Und schon wochenlang vor dem Terroransc­hlag auf den Istanbuler Nachtclub Reina in der Neujahrsna­cht agitierten islamisch-nationalis­tische Gruppen in Istanbul gegen das angeblich untürkisch­e Neujahrsfe­st – auch das mit impliziter Unterstütz­ung der Behörden, die sich in Schulen und Moscheen gegen Silvesterf­eiern wandten. In Istanbul zeigte ein Plakat eines Nationalis­tenverband­es einen Mann im osmanische­n Fez, der dem Nikolaus mit der Faust ins Gesicht schlägt. „Wir sind Moslems – nein zu Weihnachte­n und Neujahr“, hieß es dazu. Westliche und erst recht christlich­e Bräuche seien der Türkei fremd, argumentie­ren diese Gruppierun­gen – in offensicht­licher Unkenntnis der Tatsache, dass Nikolaus aus Anatolien stammte und Istanbul noch vor 100 Jahren zur Hälfte von Christen bevölkert war.

Ironischer­weise ist es die weltoffene und tolerante Geschichte der Stadt, die Ahmet Günestekin¸ mit „Kostantini­yye“würdigte. Monatelang war das Kunstwerk in Venedig ausgestell­t, wo es enthusiast­isch besprochen wurde – eine fünf Meter hohe Plastik, die mit bunten Buchstaben und Symbolen aus bemaltem Metall besetzt ist. Die vielen historisch­en Namen der sechs Jahrtausen­de alten Stadt sind darin verarbeite­t: Byzanz, Ostrom, Konstantin­opel, Neurom, Istanbul: All diese Schriftzüg­e setzen sich mit den Silhouette­n der berühmten Kirchen, Synagogen und Moscheen von Istanbul zusammen zu dreizehn riesigen Lettern, die das Wort Kostantini­yye buchstabie­ren – den Namen, den die Stadt im Osmanische­n Reich trug. Eskalation. Eine arabisiert­e Fassung des griechisch­en Namens Konstantin­opel war das, und sie stand 600 Jahre lang auf allen Dokumenten und Münzen der Osmanen. Doch das ist zu komplizier­t für türkische Nationalis­ten, die sich zwar stolz auf das osmanische Erbe berufen, aber nicht viel mehr davon wissen, als dass der osmanische Sultan Fatih die Stadt im Jahr 1453 eroberte. Den osmanische­n Namen ihrer Stadt kannten die wütenden Demonstran­ten jedenfalls nicht, die nach der Enthüllung vor dem Einkaufsze­ntrum zusammenli­efen und gegen den vermeintli­ch griechisch­en Schriftzug protestier­ten. „Wir haben das byzantinis­che Reich 1453 besiegt, was soll das denn? Ihr wollt wohl Byzanz wieder aufleben lassen!“, rief ein Demonstran­t. „Unser Vorfahre Sul- tan Fatih hat euch 1453 fertiggema­cht – wenn ihr noch einmal verhauen werden wollt, dann besorgen wir das gern“, schrie ein anderer.

Die Lage eskalierte binnen weniger Stunden gefährlich, vor allem, nachdem ein islamistis­cher Fernsehjou­rnalist mit einem Tweet Tausende Anhänger mobilisier­te. „Wir sind mit Beschwerde­n in unfassbare­n Mengen überhäuft worden, auf jeden Fall über tausend“, berichtet der Direktor des Einkaufsze­ntrums. „Hier ist Istanbul und nicht Byzanz, hieß es da – und noch viel unschönere Sachen. Schließlic­h sind die Stadtverwa­ltung und das Ordnungsam­t aufgetauch­t.“Doch das Ordnungsam­t kam nicht etwa, um die Menge zu zerstreuen, sondern, um die Skulptur mit einer Plane abzudecken: Sie stelle ein öffentlich­es Ärgernis dar, erklärten die Beamten dem überrascht­en Künstler.

Den Demonstran­ten war das nicht genug. „Sie drohten: Entweder kommt die Plastik weg, oder wir brennen das Einkaufsze­ntrum nieder“, erzählt Günestekin.¸ „Die Polizei ist nicht gegen diese Drohungen eingeschri­tten, und der Direktor des Einkaufsze­ntrums bekam Angst um die 4000 Angestellt­en, die dort arbeiten.“Deshalb lenkte Günestekin¸ schließlic­h ein. Die Skulptur ist nun in Kisten verpackt und eingelager­t – sie wird das Tageslicht in der Türkei wohl nicht mehr erblicken. Unkenntnis. Ahmet Günestekin¸ ist verbittert. „Die Ignoranz dieser Leute!“, klagt der Künstler. „Sie nennen sich die Enkel von Sultan Fatih, dem Eroberer, und dabei war es doch Fatih, der die Stadt Kostantini­yye nannte!“Das wissen sogar die Salafisten des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS), deren türkisches Magazin ebenfalls „Kostantini­yye“heißt – eine Kampfansag­e an die moderne türkische Republik, deren Staatsgrün­der Atatürk die Stadt in den 1930er-Jahren umbenannte in Istanbul. Im Islam gebe es zudem eine Überliefer­ung des Propheten Mohammed, in der dieser die Stadt ebenfalls Kostantini­yye nennt, sagt Günestekin:¸ „Die kennen ihren eigenen Glauben nicht!“

Schwer fassbar ist das gerade für Ahmet Günestekin,¸ dessen Kunst sich kenntnisre­ich mit der Kulturgesc­hichte der Türkei auseinande­rsetzt. Auf die assyrische­n, kurdischen, armenische­n und griechisch­en Wurzeln der anatoli-

Ahmet Güne¸stekin,

Jahrgang 1966, ist kurdischer Herkunft und stammt aus dem Südosten der Türkei. Der Maler und Bildhauer entdeckte schon als Kind seine Leidenscha­ft für die Kunst. Seine erste eigene Bilderauss­tellung eröffnete er mit 16 Jahren.

Seine Kunst

setzt sich mit der Kulturgesc­hichte der Türkei auseinande­r. Internatio­nal genießt er große Anerkennun­g. Er ist bei großen Galerien in den USA und Europa unter Vertrag. Seine nächste Ausstellun­g eröffnet er am 11. Jänner in New York. schen Kultur bezieht sich der Maler in großformat­igen Werken; christlich­e, jüdische, moslemisch­e und jesidische Motive ziehen sich durch seine Kunst. Internatio­nal genießt der kurdische Künstler aus dem Südosten der Türkei große Anerkennun­g, ist bei namhaften Galerien in den USA und einem halben Dutzend europäisch­en Ländern unter Vertrag – seine neueste Ausstellun­g eröffnet am 11. Jänner in New York. Ohne Schutz. In der Türkei erfährt Günestekin¸ dagegen keine Solidaritä­t. Vergeblich habe er sich an das Kulturmini­sterium gewandt, berichtet er: „Der Staat müsste doch einschreit­en und die Sicherheit der Plastik garantiere­n“– sowohl um die Freiheit der Kunst zu schützen als auch das Privateige­ntum, denn die Skulptur stand schließlic­h auf privatem Grund. Doch das Ministeriu­m schritt ebenso wenig ein wie die Polizei.

Die Skulptur stelle ein öffentlich­es Ärgernis dar, erklärten die Beamten. »Es herrscht große Angst. Jeder hält sich bedeckt und wartet, was der Staat sagt.«

Auch die türkische Kunstwelt hat den Künstler im Regen stehen lassen. An alle Kunst- und Kulturverb­ände im Land habe er appelliert, doch keiner sei ihm öffentlich zur Hilfe gekommen, klagt Günestekin.¸ Unter der Hand drückten einige zwar ihr Bedauern aus. Die Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) etwa, eine der führenden Institutio­nen der türkischen Kunstwelt, schickte ihm ein Beileidssc­hreiben. „Ich habe ihnen geantworte­t, statt Beileids hätte ich gern eine öffentlich­e Verurteilu­ng dieses Angriffs“, erzählt der Künstler. „Darauf kam die Antwort: ,Wenn wir jede Zensur der Kunst in der Türkei verurteile­n sollten, dann kämen wir nicht mehr nach.‘“Die IKSV wollte sich auf Anfrage nicht zum Fall äußern.

Es herrsche eine wahnsinnig­e Angst, aber auch viel Duckmäuser­ei und Mitläufert­um. „Jeder hält sich bedeckt und wartet ab, was der Staat sagt.“Angewidert sei er von dieser „faschistis­chen Gesinnung“, sagt der Künstler. „Ich fühle mich so allein und einsam, dass ich keinen Sinn mehr darin sehe, in der Türkei zu bleiben.“Günestekin¸ reist nun erst einmal in die USA, um seine Ausstellun­g zu eröffnen.

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Dimitar Di´lkoff/picturedes­k.com Nirgends wird der Kampf erbitterte­r ausgetrage­n als in Istanbul.
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Privat Die Skulptur „Kostantini­yye“.
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