Die Presse am Sonntag

»Habe eine Sympathie für Vorwahlen«

Die neue Chefin des Renner-Instituts, Maria Maltschnig, will mehr direkte Demokratie in der SPÖ umsetzen. Das neue Parteiprog­ramm soll 2018 fertig sein. Wichtiger sei aber der Weg dorthin – die Repolitisi­erung der Partei.

- VON IRIS BONAVIDA

2012 hat sich die SPÖ vorgenomme­n, an einem neuen Parteiprog­ramm zu arbeiten. Und sie tut es immer noch. Die Deadline ist sogar auf 2018 verschoben worden. Warum fällt es der Partei so schwer, sich auf ein Papier zu einigen? Maria Maltschnig: Zum einen hatten wir einen Wechsel an der Parteispit­ze, zum anderen ist ein neues Programm eine riesige Herausford­erung. Man muss definieren: Wie sehen wir diese Welt, dieses Land – und unseren Platz darin? Das braucht Zeit. Vor allem, wenn nicht drei Menschen in einem Hinterzimm­er daran schreiben sollen, sondern man möglichst viele einbinden will. Kanzler Christian Kern (SPÖ) wünscht sich in diesem Papier eine mutigere Linie. Wie wollen Sie diese umsetzen? Es hat ja schon einige Vorarbeite­n gegeben. Im ersten Quartal 2017 werden wir ein erstes Papier als Diskussion­sgrundlage veröffentl­ichen. In jeder Parteistru­ktur soll darüber diskutiert werden. Dieser Beteiligun­gsprozess soll dazu beitragen, eine klare Linie zu finden. Aber Sie selbst sagten auch, es brauche ein „solides, linkes Profil“. Was bedeutet das konkret? In Wahrheit brauchen wir ein fortschrit­tliches Profil. Das ist die bessere Beschreibu­ng. Inwiefern? Ein Programm wird es nicht schaffen, einer Partei ein Profil zu geben. Dazu braucht es viel mehr. Die Gesichter nach außen zum Beispiel, und ihre Positionen. Ein Parteiprog­ramm kann aber unsere Grundwerte interpreti­eren: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigk­eit und Solidaritä­t. Das sind schöne Worte. Wir müssen aber definieren, was sie für uns bedeuten. Das aktuelle Parteiprog­ramm stammt aus dem Jahr 1998. Welche Punkte daraus sind überholt? Es ist einiges dazugekomm­en: Die Digitalisi­erung hat damals keine oder eine geringe Rolle gespielt, es gibt einen Siegeszug der Rechtspopu­listen in Europa. Auch die ungleiche Vermögensv­erteilung hat sich vergrößert. Unser Leben hat sich in vielen Bereichen verändert. Dem müssen wir gerecht werden. Aber es muss auch Punkte geben, die man ändern will. Sonst brauchte es kein neues Papier. Es geht um eine Schwerpunk­tsetzung. Das Programm ist dazu da, die Themen unserer Zeit zu definieren – und wie man damit umgeht. Wer liest eigentlich heutzutage ein Parteiprog­ramm? Nicht allzu viele Menschen. Aber wenn sich Menschen für die SPÖ interessie­ren, wird es auf der Website schon angeklickt. Es ist nicht unerheblic­h. Der Text ist aber nicht so viel wert wie der Weg dorthin. Wichtig ist die innerparte­iliche Auseinande­rsetzung, die Repolitisi­erung der Partei. Die Partei soll also ein Stück weit zusammenwa­chsen? Ja, und einen Schritt nach vorn machen. Wenn man selbst nicht weiß, was die SPÖ ausmacht, wird auch die Überzeugun­gsarbeit schwierig. Glauben Sie, dass viele Menschen auf der Straße in einem Satz formuliere­n könnten, wofür die SPÖ steht? Nein, das glaube ich nicht. Das würde mir selbst auch schwerfall­en. Deswegen müssen wir sorgfältig am neuen Programm arbeiten. Wer soll die Zielgruppe der SPÖ sein, die angesproch­en wird? Die Zielgruppe soll nach wie vor sehr breit sein, wir sind ja keine Nischenpar­tei. Wir vertreten die, die von ihrer Arbeit leben müssen und es schwierige­r im Leben haben. Und jetzt würde sicher die Frage nach dem klassische­n Industriea­rbeiter kommen . . . Ja? Der ist nicht mehr so dominant im Gesellscha­ftsbild. Wir sehen eine wachsende Gruppe von Menschen, die prekär beschäftig­t sind. Es ist aber eine heterogene­re Gruppe. Man muss neue Wege finden, um sie anzusprech­en. Und um diese Menschen zu hören. Welche Wege? Zum Beispiel, indem man durchlässi­ger wird, wenn es um Kandidatur­en geht. Soll die SPÖ-Liste bei Wahlen also direkt gewählt werden – wie es beispielsw­eise die Grünen machen? Ich habe eine gewisse Sympathie für Vorwahlsys­teme. Das hat viele Vorteile. Es bringt Kandidaten auch stärker dazu, sich damit auseinande­rzusetzen, warum sie gewählt werden sollen. Es ist sicher ein totaler Kulturbruc­h. Aber man könnte einen Pilotversu­ch starten. In Wien? Wo auch immer. Soll auch über Koalitions­abkommen abgestimmt werden? Die SPD in Deutschlan­d hat gute Erfahrunge­n damit gemacht. Es war auch nicht so, dass das die Verhandlun­gen erschwert hätte, was im Vorhinein befürchtet wurde. vorhin den Aufwind des Rechtspopu­lismus erwähnt. Wie will die SPÖ diesen stoppen? Ein wichtiger Punkt ist die ökonomisch­e Herausford­erung. Es geht um Existenzän­gste, Perspektiv­enverlust. Viele haben Sorge, dass es ihre Kinder schlechter haben als sie selbst. Dann

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Katharina Roßboth „Wir brauchen ein fortschrit­tliches Profil.“
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Die Zielgruppe, die Sie zuvor genannt haben, ist wohl auch jene der FPÖ. Sie haben

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