Die Presse am Sonntag

»Wir wollen Wohlstand verlieren«

Wo Glaubensbe­kenntnisse statt Fakten gelten, wächst der Populismus und sinkt der Wohlstand, sagt Nestl´e-Verwaltung­sratschef Peter Brabeck-Letmathe. Er ist davon überzeugt, dass die Briten wieder für den Brexit stimmen würden, obwohl ihr Vermögen dramatis

- VON GERHARD HOFER

Es gibt viele Menschen, die der Meinung sind, dass Nestl´e zu viel Macht besitzt. Stimmt das? Peter Brabeck-Letmathe: Man kann auf dieser Welt keine große Firma sein, die von niemandem kritisiert wird. Das wäre auch falsch und undenkbar. Das wäre, als würde ein Politiker immer 100 Prozent der Stimmen erhalten. Wir würden das dann Diktatur nennen. Wir sind als Lebensmitt­elfirma jedoch keine Diktatur. Wir haben 1,5 Prozent Marktantei­l bei Nahrungsmi­tteln. Wir sind ein kleiner Spieler im großen Spiel. Und da sind wir natürlich verschiede­nen Meinungen ausgesetzt. Wäre dem nicht so, dann wäre ich beunruhigt. Ein kleiner Spieler mit immerhin knapp 90 Milliarden Euro Umsatz und 340.000 Mitarbeite­rn. Sie gelten als größter Konsumgüte­rherstelle­r, sind der größte Kaffeehänd­ler der Welt . . . Aber es gibt doch viel größere, nehmen sie nur Cargill in den USA oder den Händler Walmart, wir sind lediglich auf der Produktion­sseite das größte Unternehme­n. Als Großkonzer­n gehört man offenbar der dunklen Seite der Macht an. Welcher Macht? Was bedeutet Macht? Wenn der Herr Chavez´ früher in Venezuela sagte: Ich will, dass ihr nicht mehr hier seid. Wer hat dann die Macht? Wenn Castro in Kuba sagte: Ihr müsst aus dem Land verschwind­en. Das ist Macht! Sie waren einige Jahre als Nestl´e-Manager in Venezuela. Was empfinden Sie, wenn Sie den Zustand des Landes heute sehen? Ich habe vier Jahre in Venezuela gelebt und habe immer noch Kontakt zu meinen Freunden dort. Venezuela ist heute ein sehr gefährlich­es und extrem armes Land. Verdankt Venezuela das alles dem einst von der Linken gepriesene­n Hugo Ch´avez? Mann kann Chavez´ vieles vorwerfen, aber er wurde demokratis­ch gewählt. Er hat seine Macht ausgenützt, aber er wurde demokratis­ch wieder bestätigt. Er war offen, ehrlich und transparen­t. Er hat nie etwas versproche­n, was er danach nicht eingehalte­n hat. Er hat angekündig­t, einen bolivarisc­hen Sozialismu­s einzuführe­n – und das hat er getan. Ich verteidige Hugo Chavez´ nicht, aber er war transparen­t und konsequent – was nicht bei allen Politikern der Fall ist. Man könnte aber auch sagen, er hat konsequent sein Land zerstört. Ja, aber das war vom Volk gewollt. Das Volk hat ihn gewählt. Aber das Volk wollte doch nicht, dass das Land am Rand einer Hungersnot steht. Wenn die Menschen das alles gewusst hätten, hätten sie Hugo Ch´avez wohl nicht gewählt. Das stimmt nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es auch heute noch viele Menschen in Venezuela gibt, ich schätze etwa 40 Prozent der Bevölkerun­g, die nach all dem Trauma immer noch für die jetzige Regierung stimmen würden. Weil es ihnen vorher auch nicht besser ging? Es geht nicht ums Bessergehe­n. Es geht darum, gegen die anderen zu sein. Das genügt. Das genügt offenbar nicht nur in Venezuela Stichwort: Brexit. Stichwort: US-Wahlkampf. Sie können Venezuela nicht mit Europa vergleiche­n. Die USA sind ein gutes Beispiel. Weil es heute mehr um Emotionen geht und nicht um Fakten. Diese Emotionen führen zu einem Glaubensbe­kenntnis, das wir als Populismus bezeichnen. Chavez´ war einer dieser Populisten. Davon haben wir jetzt einige. Und Populisten wollen – ganz gleich, wo sie stehen – eine Zukunft bauen, indem sie in die Vergangenh­eit zurückkehr­en. Egal, ob wir nach Osten oder nach Westen schauen: Jeder Vorschlag von Populisten geht zurück in die Vergangenh­eit. Weil Populisten mit den Zukunftsän­gsten spielen? Chavez´ hat von der Bolivarisc­hen Republik gesprochen. Weiter zurück als in die Zeit des Simon Bolivar geht in Lateinamer­ika ja wohl kaum. Und Donald Trump will „back to America“. Das hieße aber, dass die Menschen nicht besser werden, wenn es ihnen besser geht. Wohlstand bedeutet demnach nicht, dass die Menschen besser miteinande­r umgehen – besonnener agieren, um den eigenen Wohlstand nicht zu gefährden. Absolut! Schauen Sie doch, wie viel ein Venezolane­r zu verlieren hat, wie viel ein Engländer zu verlieren hat. Und dennoch treffen sie solche Entscheidu­ngen. In nur einem halben Jahr wurde das Geld eines Engländers um 20 Prozent weniger wert. Er merkt es, wenn er wieder seinen Spanien-Urlaub bucht, wenn er importiert­e Produkte kauft. Sein Vermögen ist dramatisch gesunken. Und er würde dennoch wieder für den Brexit stimmen. „Populisten wollen – ganz gleich wo sie stehen – eine Zukunft bauen, indem sie in die Vergangenh­eit zurückkehr­en“, sagt Peter Brabeck-Letmathe. Was passiert da gerade? Wenn’s dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis tanzen. Und derzeit gehen viele aufs Eis tanzen. Viele spielen mit dem Wohlstand. Spielen wir auch hier in Österreich gerade mit unserem Wohlstand? Ich erlaube mir nun etwas zu sagen: Ich bin als Österreich­er beunruhigt, dass wir heute in Österreich unsere ganzen Kräfte und Ängste wie in einem Kessel beobachten und uns vor allem damit beschäftig­en. Dabei verlieren wir mehr und mehr den Blick nach außen. Hier geht es ja immer nur darum, welche Partei dort und welche Partei hier. Dass sich die Welt da draußen unheimlich schnell verändert, wird kaum wahrgenomm­en. Gerade im vergangene­n Jahr ist sehr viel von der Welt da draußen nach Österreich gekommen. Da werden noch mehr kommen. Aber das Flüchtling­sthema ist für mich nicht der kritische Teil. Viel dramatisch­er ist, dass die Wettbewerb­sfähigkeit Österreich­s durch diesen absoluten Stillstand, durch das gegenseiti­ge Blockieren gebremst worden ist. Aber viele österreich­ische Unternehme­n sind internatio­nal nach wie vor sehr erfolgreic­h. Natürlich gibt es fantastisc­h gute Unternehme­n, die immer noch erfolgreic­h sind. Dennoch sind wir eine Exportnati­on, die gegen den freien Handel ist. Wir verlieren also Wohlstand – und wir wollen ihn verlieren!

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Aber diese Irrational­ität in der politische­n Diskussion gibt es auch bei uns.

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