Kein Kopf im Sand
Seit 1993 züchtet Rainer Gärtner im Waldviertel Strauße. Wie gefährlich die Vögel sein können, hat er vor zwei Jahren am eigenen Leib erfahren.
Einmal wäre Rainer Gärtner von einem Strauß beinahe umgebracht worden. Offenbar störte er den Vogel in seinem Revier. Dieser attackierte ihn, traktierte ihn mit Fußtritten, die große Zehe spitz wie ein Eispickel, erwischte ihn am Kopf. „Ich war fast tot“, erzählt der 72-Jährige, der trotz Nieselregen im kurzärmeligen Leiberl seine Tiere füttert. Seit jenem Tag vor zwei Jahren sieht er nur noch auf einem Auge („Das rechte ist aus Kunststoff“). Groll gegen die Strauße hegt er trotzdem keinen. Es sei sein Fehler gewesen: Er war zu Fuß unterwegs, ohne Stock zur Verteidigung. Und er hätte sich tot stellen sollen. „Kopf in den Sand“, sagt Gärtner. Und lacht, denn dass Strauße das machen, ist ein Gerücht. Bei Gefahr legen sie sich höchstens flach aufs Nest. Meist laufen die mit bis zu drei Meter größten (und am Boden auch schnellsten) Vögel der Welt aber einfach davon.
Rainer Gärtner muss es wissen. Seit 1993 hält er in Schönberg am Kamp Strauße. Neben dem Hofladen raufen sich einige der 140 kleinen, zweieinhalb bis dreieinhalb Monate alten Vögel um ein Bad in der Asche, die er ihnen gerade hingeschüttet hat („Das ist das, was noch vom Kindergarten übrig ist“). Mit insgesamt 500 bis 600 Straußen auf rund 17 Hektar ist das Straußenland der Gärtners die größte Straußenhaltung Österreichs. Sechs bis acht Strauße werden pro Monat geschlachtet und nicht nur als Filet oder als Steak verkauft, sondern auch als Schinken oder Wurst, als Aufstrich oder Schmalz. Neugierige Vögel. Begonnen hat Gärtner, gelernter Wein- und Obstbauer, ein paar Nummern kleiner: 1966, mit Truthähnen, dem fünftgrößten Vogel der Welt, der damals kulinarisch im Kommen war („Meine Großmutter hat Indian gesagt“). Biotruthähne züchtet und verkauft er neben Gänsen bis heute. Als er aber 1989 mit der Zucht von Jungtieren für die Landwirtschaft aufhörte, hatte er plötzlich Platz: „Und weil ich schon immer ein bisschen eigenartige Ideen gehabt habe, dachte ich: Warum nicht Strauße, als Lockvögel für den Hofladen?“Beim ersten Mal scheiterte er mit dem Versuch, in Südafrika welche zu kaufen. Im Jahr 1993 holt er sich dann zehn Eier, kurz darauf aus Simbabwe und Namibia um umgerechnet 150.000 Euro 21 erwachsene Vögel.
Von denen leben ein paar immer noch. Der Vater von Blacky etwa, einem 14-jährigen Zuchtstrauß, der auf der gut zehn Autominuten entfernten Wei- de durch den Zaun schaut. Mit einem Dutzend anderer Vögel, die nass vom Regen sind, ist er schon dahergelaufen, bevor ihn Gärtner mit seinem hohen „Komm, komm, komm“und ein paar Mostäpfeln gelockt hat. „Strauße sind extrem neugierige Tiere“, sagt er, während ein Apfel nach dem anderen den Hals der Vögel hinunterrutscht – wie ein Tennisball in einem Schlauch. Zerbeißen können die Strauße nichts. Das Zerkleinern erledigen im Magen unter anderem kleine, mitgefressene Steine. Eierschale gegen Motten. Nebenbei erzählt Gärtner allerhand über seine Tiere – eigentlich die seines Sohnes Wolfgang, der inzwischen der Chef ist: Dass schon die alten Ägypter Strauße gehalten hätten, dass die symmetrischen Federn dem Pharao vorbehalten gewesen seien. Dass die eineinhalb Kilo schweren Straußeneier wegen des besonderen Geruchs ihrer Schale Insekten vertreiben. Dass die Strauße neben Gras auch tierisches Eiweiß brauchen, weil aus ihren Eiern sonst nichts wird.
Dass die Vögel den Regen gern haben, weil sie dann ihre Federn waschen können und dass die Kälte im Waldviertel ihnen eigentlich nicht so viel ausmache. Denn ursprünglich komme der Strauß gar nicht aus Afrika, wo er heute lebt, sagt Gärtner, sondern aus Zentralasien. Aleppo, heute ein Brennpunkt des syrischen Bürgerkriegs, sei lange Zeit das Zentrum des Handels mit Straußenprodukten gewesen, unter anderem für Federn, die römische Offiziere an ihrem Helmen trugen. Und schon Hildegard von Bingen habe den Strauß und sein Fleisch in ihren medizinischen Abhandlungen erwähnt. Fast kein Fett im Fleisch. Direkt auf den Weiden, die von April bis Oktober von mehreren tausend Gästen besucht werden, werden die Vögel mit einem Bolzenschussapparat getötet. Das verursache am wenigsten Stress, sagt Gärtner. Vier bis fünf Tonnen Straußenfleisch produziert er pro Jahr. Das ist laut Gärtner extrem hochwertig. Es sei fast fettfrei, es habe im Vergleich zu anderen Fleischarten viel Protein, aber nur wenig Kalorien und Cholesterin. Und es schmecke gut, ähnlich wie Rindfleisch oder Wild, je nach Tier geht es mehr in die eine oder in die andere Richtung.
Verkauft wird es in Schönberg am Kamp vor allem roh: als Filet, als Steak, als Geschnetzeltes oder Gulaschfleisch. Aber es gibt auch zwei Arten von geräucherter Dauerwurst a` la Wiener, in denen man keinen Strauß vermuten würde. Leberaufstrich, der wie die Würste von einem Fleischer aus der Gegend zubereitet wird. Grammelschmalz aus dem Fett, das das Fleisch umgibt. Und einen Rohschinken aus Straußenunterkeule, der ein bisschen an luftgetrockneten Rinderschinken erinnert.
Gasthäuser in der Umgebung bereiten Straußenfleisch sogar als Schnitzel zu. Das Martinigansl würde Gärtner aber nicht durch einen Strauß ersetzen. Nicht einmal, wenn der Ofen groß genug wäre. Dafür gibt es die Gänse, die neben den Straußen schnattern.
Das syrische Aleppo war lang das Zentrum des Handels mit Straußenprodukten.