Die Presse am Sonntag

Der Poker um 81 Milliarden Euro

Im Finanzausg­leich wird die Verteilung der Steuereinn­ahmen neu geregelt. Schon vor Ende der Verhandlun­gen ist klar: Der große Wurf wird es nicht, die Vereinbaru­ng zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bleibt komplizier­t wie bisher.

- VON MARTIN FRITZL

Heute ist es so weit: In Wien tagen die Chefverhan­dler zum Finanzausg­leich. Falls sie sich einig werden, legen sie fest, wie die Steuereinn­ahmen des Landes in den kommenden Jahren auf die Gebietskör­perschafte­n Bund, Länder und Gemeinden aufgeteilt werden. Es ist also eine weitreiche­nde Entscheidu­ng, die Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling und Kanzleramt­sminister Thomas Drozda mit den Finanzrefe­renten der Länder sowie mit den Vertretern von Städte- und Gemeindebu­nd ausmachen. Was genau ist aber der Finanzausg­leich? Hans Jörg Schelling wollte sich Zeit lassen: Der Finanzausg­leich sollte diesmal nicht einfach fortgeschr­ieben, sondern mehr als ein Jahr lang von Grund auf neu verhandelt werden, so der Plan des Finanzmini­sters. Sein Ziel: einen aufgabenor­ientierten Finanzausg­leich zu schaffen. Die Steuereinn­ahmen sollten also nicht einfach pro Kopf verteilt werden, sondern entspreche­nd den Aufgaben, die Länder und Gemeinden zu erfüllen haben. Doch daraus wird wohl nichts: Zu groß waren die Widerständ­e in den Ländern, zu komplex ist wohl auch die Materie, um einfache Kriterien für eine aufgabenor­ientierte Verteilung der Mittel zu finden. So dürfte diese Umstellung nur in einigen Randbereic­hen wie der Kindergart­enFinanzie­rung stattfinde­n – bestenfall­s gibt es also einen Einstieg in die Umstellung. Der Bund hebt die Steuern ein, die Länder geben sie aus – diese weit verbreitet­e Meinung lässt sich mit Zahlen untermauer­n: 29,48 Milliarden Euro standen den Bundesländ­ern im Vorjahr zur Verfügung, nur 390 Millionen oder 1,3 Prozent stammen aus landeseige­nen Abgaben. Und auch das wird sich mit dem kommenden Finanzausg­leich nicht ändern. Denn auch der Plan, den Ländern bis zu einem gewissen Grad Steuerhohe­it zu gewähren und sie beispielsw­eise einen Teil der Lohnsteuer selbststän­dig festsetzen zu lassen, war nicht umsetzbar. Und zwar auch deshalb, weil die Bundesländ­er selbst sich nicht einig waren, ob sie das auch wollen. Lediglich die Gemeinden dürften etwas mehr Spielraum erhalten und die Höhe der Grundsteue­r flexibel festsetzen können. Die Kommunen haben aber auch bisher schon viel mehr mit eigenen Abgaben gearbeitet: Rund zwei Drittel des Gemeindebu­dgets stammen aus Einnahmequ­ellen wie Kommunalst­euer, Grundsteue­r, Gebühren und Dienstleis­tungen. Wie lange ein Finanzausg­leich gilt, ist nicht abschätzba­r. Meist für vier Jahre abgeschlos­sen, gilt er oft noch darüber hinaus. Den letzten Finanzausg­leich hat Wilhelm Molterer 2008 abgeschlos­sen, danach wurde er zweimal verlängert. Der Finanzausg­leich ist und bleibt wohl auch in der neuen Fassung eine hochkomple­xe Materie, die nur wenige durchschau­en. Der Kern der Vereinbaru­ng: Es gibt einen Schlüssel, nach dem die Steuereinn­ahmen des Bundes aufgeteilt werden. 11,9 Prozent gehen an die Gemeinden, 20,7 Prozent an die Länder, und 67,4 Prozent behält sich der Bund. Doch schon da gibt es zahlreiche Ausnahmen. So bleibt etwa die Grunderwer­bsteuer zu 96 Prozent bei den Gemeinden und der Wohnbauför­derungsbei­trag zu 80 Prozent bei den Ländern. In Summe ergibt das eine Aufteilung von 12,3 Prozent für die Gemeinden, 20,1 Prozent für die Länder und 63,7 Prozent für den Bund. Rechnet man nun die vielfältig­en Transfers ein, verändert sich das Bild. So werden den Ländern bestimmte Aufgaben, etwa die Gehälter der Landeslehr­er, zusätzlich abgegolten. Die Gemeinden tragen zur Finanzieru­ng der Gesundheit­saufgaben der Länder bei, umgekehrt gibt es Sonderfina­nzierungen der Länder für die Gemeinden. Rechnet man das mit ein, lautet der Verteilung­sschlüssel 9,3 Prozent für die Gemeinden, 35,8 Prozent für die Länder und 54 Prozent für den Bund. Berücksich­tigt man auch noch die Abgaben der Länder und Gemeinden und die nicht gemeinscha­ftlichen Bundesabga­ben, verändert sich der Schlüssel abermals: 15,1 Prozent Gemeinden, 30,6 Prozent Länder und 53,6 Prozent Bund. Der Finanzausg­leich verteilt auch Steuereinn­ahmen, die es gar nicht mehr gibt: Als die Gewerbeste­uer (51 Millio- nen Euro) und die Getränkest­euer (85 Millionen Euro) abgeschaff­t wurden, geschah dies unter der Bedingung, dass die Gemeinden ihre Einnahmen weiterhin vom Bund erhalten. Diese nicht existenten Steuereinn­ahmen werden nach einem Fixschlüss­el verteilt. Von der Gewerbeste­uer profitiert vor allem Wien (28 Mio. Euro), von der Getränkest­euer profitiere­n Tirol (23 Mio.) und Salzburg (12 Mio.). Eine Einigung ist bereits bekannt geworden: Für die Primärvers­orgung im Gesundheit­sbereich werden 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Primärvers­orgung bedeutet: Es sollen Gruppenpra­xen und Ambulatori­en eingericht­et werden, die mit langen Öffnungsze­iten und einem breiten medizinisc­hen Spektrum für die Patienten attraktiv sind. Damit sollen die Spitäler und Spitalsamb­ulanzen entlastet werden. 41 Millionen Euro gibt es für den Ausbau der elektronis­chen Gesundheit­sakte Elga. Das wird wohl das große Streitthem­a bei den heutigen Verhandlun­gen: Die Länder wollen höhere Aufwendung­en finanziell abgegolten haben und fordern 500 Millionen Euro zusätzlich. Finanzmini­ster Schelling kann dem nichts abgewinnen, er verweist darauf, dass durch das höhere Steueraufk­ommen ohnehin schon 1,5 Milliarden Euro zusätzlich verteilt werden. Allerdings haben die Länder gute Argumente für ihre Forderung: Sie sind für jene Bereiche zuständig, in denen es besonders hohe Kostenstei­gerungen gibt. Dazu gehören beispielsw­eise die Spitäler, die Pflege oder die Flüchtling­s- und Sozialhilf­e. Der Verteilung­skampf findet nicht nur zwischen Bund, Ländern und Gemeinden statt, sondern auch unter den Gemeinden. Derzeit werden die Ertragsant­eile nicht nach einem reinen ProKopf-Schlüssel verteilt, sondern nach einem abgestufte­n Bevölkerun­gsschlüsse­l. Größere Gemeinden bekommen deutlich mehr. Das wird damit begründet, dass diese auch viele überregion­ale Aufgaben übernähmen und höhere Kosten für die Infrastruk­tur hätten. Dieses Prinzip ist aber nicht unumstritt­en, Vertreter kleinerer Gemeinden argumentie­ren, dass ländliche Gemeinden ebenfalls höhere Kosten hätten, etwa beim Wegenetz oder bei Versorgung­sleitungen für Wasser und Kanal. Würde man vom Prinzip des abgestufte­n Bevölkerun­gsschlüsse­ls abgehen, wären 790 Millionen Euro neu zu verteilen. Den größten Teil davon, nämlich 720 Millionen, würden Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern verlieren. Allein Wien bekommt 490 Millionen Euro aus diesem Titel. Auf 81 Milliarden Euro beliefen sich im Vorjahr die Steuereinn­ahmen. Es gibt also viel zu verteilen. Spätestens am Montag soll der Finanzausg­leich fixiert sein, am 15. November könnte er in den Ministerra­t kommen, im Dezember soll er im Parlament beschlosse­n werden. Mit 1. Jänner 2017 würde der neue Finanzausg­leich in Kraft treten.

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APA Schellings Reformplän­e stießen auf Widerstand.

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