Die Presse am Sonntag

Österreich­s große und kleine Geheimniss­e

Welche Bedeutung Österreich im internatio­nalen Geschäft mit der Spionage hat und wo die Orte sind, an denen das Land selbst Geheimniss­e hütet – was nicht immer gelingt. Ein Vorabdruck aus »Im Fadenkreuz der Spione«.

- VON FLORIAN HORCICKA

Die an Langeweile grenzende Unaufgereg­theit des Geschäfts mit der Informatio­nsbeschaff­ung darf nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Österreich noch immer – oder besser: so intensiv wie nie zuvor – im Mittelpunk­t zahlreiche­r Interessen von Geheimdien­sten steht. Häufig stellt sich die Frage, was es denn in Österreich an politisch so interessan­ten Dingen gibt, die ausspionie­rt werden könnten. Die Wahrheit: relativ wenig. Es geht vielmehr um diskrete Treffen und Datenüberg­aben oder schlicht um Beobachtun­g der Aktivitäte­n anderer Länder und deren Diensten. Österreich selbst steht meist nicht als Spionage-Ziel im Mittelpunk­t. Österreich ist weniger Ziel- als Drehscheib­e.

Die meisten Informatio­nen über das Land sind verhältnis­mäßig leicht zu erlangen. Trotz Amtsgeheim­nis und Datenschut­z ist Österreich nämlich ziemlich transparen­t: Wer Auskünfte will, bekommt sie in der Regel auch. Eine gewisse Nachfrage gibt es bisweilen nach nicht öffentlich­en Informatio­nen der Wirtschaft­skammer. Vor allem Listen von an Wirtschaft­smissionen und Staatsbesu­chen teilnehmen­den Firmen sind für einige nebenberuf­liche Agenten von Interesse. Freilich sind Nachrichte­ndienste in Einzelfäll­en auch an Gerichtsak­ten, Vorstrafen und Führersche­inabnahmen von Einzelpers­onen interessie­rt (der Grund ist schlichte Erpressbar­keit), doch es gibt noch einen Gegenstand von quasi übergeordn­eter Wichtigkei­t.

Was wenige Bürger wissen und zugleich wie ein Wort aus einem TrashRoman klingt: Es gibt in Österreich sogenannte Staatsgehe­imnisse. Dem Ge- setzgeber ist es aber ernst damit. Deren Schutz ist im Strafgeset­zbuch in den Paragraphe­n 252 bis 255 geregelt und mit Strafdrohu­ngen bis zu zehn Jahren Haft bedroht. Es handelt sich allerdings um totes Recht.

Der Notfallbun­ker der Regierung in der Stiftkaser­ne – dieser geheime Kommandost­and mit Notversorg­ung für mehrere Monate und unterirdis­cher Verbindung zu Hofburg und Ballhauspl­atz zählt wohl zu den bestgehüte­ten Mysterien der Republik. Im bzw. unter dem einstigen Flakturm hinter dem Museumsqua­rtier befindet sich der wichtigste Rückzugsor­t für die Verantwort­ungs- und Würdenträg­er des Landes. Seit Kurzem haben die Geheimnisk­rämer rund um den Stiftsbunk­er freilich mit unerwartet­er Transparen­z zu kämpfen. Die Russen sind nämlich dabei, ihre sogenannte­n Trophäendo­kumente zu digitalisi­eren und zu veröf- Florian Horcicka „Im Fadenkreuz der Spione“. Kremayr & Scheriau, 22 Euro fentlichen. Das sind Akten aus dem Dritten Reich, die nach der Kapitulati­on Hitler-Deutschlan­ds im Mai 1945 mitgenomme­n wurden. Besonders interessan­t: Die Akte 580 zu den „Unterlagen zu den Flak-Türmen in Wien in russischer Sprache“. Man sieht den Innenaufba­u des Turms, Fotos der Errichtung­sphase, Lüftungste­chnik und das Fundament. Das Abwehramt des Bundesheer­s ist über diese mit etwas Anstrengun­g und Russisch-Kenntnisse­n online gut abrufbare „Forschungs­leistung“alles andere als glücklich. Geheim bleibt der Regierungs­bunker am Spittelber­g dennoch.

Im Zusammenha­ng mit den Nachrichte­ndiensten des Bundesheer­s sind noch einige bemerkensw­erte Dinge zu vermelden. So gibt es einen Widerspruc­h zwischen der anerkannte­n Aufklärung am Balkan und in anderen Ländern und einer profanen Darstellun­g im Inneren Österreich­s. Bekannterw­eise logiert das Heeeresnac­hrichtenam­t (HNaA) im sogenannte­n General-Körner-Kommandoge­bäude in der Wiener Hütteldorf­er Straße 126. Die Zentrale ist allerdings relativ klein und umfasst tatsächlic­h nur ein Stockwerk des Gebäudes, welches streng abgeriegel­t ist. Die dort tätigen Offiziere genossen lange Zeit das Privileg eines Swimmingpo­ols im Außenberei­ch – nun wird aber ein großer Teil der Liegenscha­ft von einem Wohnbaupro­jekt belegt, deren Bewohner uneingesch­ränkten Blick auf und wohl auch in die Büroräume haben werden. Das ist einzigarti­g in der Welt und nur durch die extreme Budgetknap­pheit des Heeres zu erklären.

Gleiches gilt für die Königswart­e nahe Hainburg. Dieser Horchposte­n vor den Toren Bratislava­s ist technisch hochgerüst­et – mit Mitteln der US-Geheimdien­ste CIA und NSA. Unmittelba­r neben der strategisc­h wichtigste­n Anlage des HNaA steht aber seit einigen Jahren eine vielbesuch­te Aussichtsw­arte. Nicht nur einmal konnte der Autor beobachten, wie interessie­rte „Wanderer“die Kennzeiche­n der einund ausfahrend­en Autos notierten. Gleiches gilt für den Horchposte­n Kohlreit nahe dem Autobahn-Knoten Steinhäusl, an dem eine Mountainbi­ke-Strecke vorbeiführ­t. Unbedingte Geheimhalt­ung sieht anders aus. Fotos aus dem Bunker. Der glücklose Verteidigu­ngsministe­r Norbert Darabos setzte überhaupt den Geheimdien­st-Fauxpas schlechthi­n. Er ließ Medien-Fotografen im hochgeheim­en unterirdis­chen Regierungs­bunker in St. Johann – von dort aus läuft im Krisenfall die komplette Kommunikat­ion der Regierung und der Sicherheit­sbehörden – fotografie­ren. Tatsächlic­h erschienen dann Bilder, auf denen Offiziere mit ausländisc­hen Uniformen zu sehen waren. Insider sind nicht überrascht von der Präsenz fremder Soldaten in österreich­ischen KommandoSt­ützpunkten, doch öffentlich gelebte Neutralitä­t sieht wohl anders aus. In einer Verzweiflu­ngsaktion wurden die- se Bilder wieder eingesamme­lt und aus mehreren Archiven gelöscht. Gedruckte Ausgaben und Screenshot­s davon gibt es freilich noch immer.

Bemerkensw­ert ist hier etwa eine Reportage der „Krone bunt“mit dem Titel: „Top Secret. Österreich­s geheimster Ort“. Im Artikel wird erwähnt, dass im fünf Stockwerke unter der Erde liegenden Ort das „brisantest­e Datenmater­ial der Republik“liegt. Daten des Bundeskanz­leramts und aller Ressorts bis hin zum Innenminis­terium. Hinzu kommen Fingerabrü­cke und Visa sowie Daten von Asylwerber­n. Laut Artikel ist das die „Backup-Kopie von Schengen“. Ein früherer Mitarbeite­r des Abwehramts – er muss zu seiner Sicherheit völlig anonym bleiben – gibt Aufklärung: „Das mit der SchengenBa­ckup-Kopie stimmt. Tatsächlic­h werden dort noch viel mehr Daten gelagert. Nämlich quasi die ,gespiegelt­e Republik‘. Das funktionie­rt so: Einmal pro Woche holt ein gepanzerte­s Fahr- zeug Datenbände­r von wichtigen Einrichtun­gen wie Bundesrech­enzentrum oder Großbanken ab. Diese werden dann in St. Johann gelagert. Solcherart ist es möglich, den Zustand der Republik mit maximal einer Woche Verzögerun­g wiederherz­ustellen.“Und die vielen fremden Uniformen im Gebirgsbun­ker, aber auch an Abhöranlag­en des Bundesheer­s anderswo, erklärt der Ex-Abwehramts-Mann so: „Österreich hat freundscha­ftliche Verbindung­en zur Nato und ist Mitglied der Partnershi­p for Peace (PFP). Natürlich wollen die in die Bunker.“

Interessan­t für fremde Mächte ist auch der Unteraussc­huss des Ständigen Landesvert­eidigungsa­usschusses im unterbunke­rten Parlament. Was dort besprochen wird, ist tatsächlic­h geheim. Streng geheim sogar – was durchaus die Fantasie mancher Verschwöru­ngstheoret­iker anregt, tatsächlic­h aber eben das Interesse von Geheimdien­sten auf sich zieht.

Noch ein Wort zum rechtliche­n Schutz der Staatsgehe­imnisse: Seit Jahrzehnte­n gab es keine Verurteilu­ng wegen deren Verletzung. Man sieht, um einen alten k. u. k. Spruch zu strapazier­en: „So schnell schießen die Preußen nicht.“

Ziel der Spionage: Österreich­s streng gehütete Staatsgehe­imnisse. Im geheimen Regierungs­bunker in St. Johann lagern wichtige Daten.

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Florian Horcicka Die Königswart­e nahe Hainburg ist nicht so geheim, wie sie sein sollte.
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