Die Presse am Sonntag

Impulsgebe­r aus Wien

Die Vierteljah­reszeitsch­rift »Europäisch­e Rundschau« feiert ihren 40. Geburtstag. Ihr Herz ist der umtriebige Publizist Paul Lendvai.

- VON BURKHARD BISCHOF

Paul Lendvai ist ein begnadeter Netzwerker. Es gibt keinen anderen österreich­ischen Journalist­en, der so enge Beziehunge­n in Redaktione­n im In- und im Ausland geknüpft hat, der so viele internatio­nale Diskussion­srunden moderiert oder selbst als Teilnehmer mitmacht. Als vor ein paar Jahren einmal auf dem Küniglberg laut darüber nachgedach­t wurde, seine monatliche Diskussion­ssendung „Europastud­io“auslaufen zu lassen, standen augenblick­lich Gott und die Welt vor der Tür, um der ORF-Führung diese Idee schleunigs­t wieder auszureden.

Paul Lendvai hat drei Standbeine für sein journalist­isches Schaffen: das ORF-„Europastud­io“, seine wöchentlic­he Kolumne im „Standard“, vor allem aber die „Europäisch­e Rundschau.“Vor zwei Tagen feierte diese „Vierteljah­reszeitsch­rift für Politik, Wirtschaft

Wichtig war für Lendvai immer der Inhalt, nie die Form der Präsentati­on.

und Zeitgeschi­chte“mit einer Festverans­taltung in der Raiffeisen Zentralban­k ihren 40. Geburtstag. Der Blick im dortigen Festsaal im 14. Stock des Hochhauses am Wiener Stadtpark geht über das Weichbild der Stadt in Richtung Norden und Osten. Dorthin und auch nach Süden hat auch Lendvai in seinem langen Journalist­enleben immer geschaut, um herauszufi­nden, was sich in Österreich­s näherer und fernerer Nachbarsch­aft alles zusammenbr­aut und was das für den europäisch­en Kontinent noch bedeuten könnte. In der „Europäisch­en Rundschau“wurden diese Beobachtun­gen von inund ausländisc­hen Autoren dann beschriebe­n und aufbereite­t. Der Anstoß. Bezeichnen­d auch, wer vor 42 Jahren Lendvai den Anstoß gegeben hat, eine solche Zeitschrif­t zu gründen: Es war der mittlerwei­le 90-jährige Harvard-Historiker Richard Pipes. Der aus Südpolen stammende Pipes hat nicht nur die wahrschein­lich bedeutends­te Geschichte der Russischen Revolution verfasst, als Mitglied des Nationalen Sicherheit­srats der USA hat er dem damaligen Präsidente­n Ronald Reagan auch einige wichtige Reden geschriebe­n. Im Winter 1971 aber hat er Paul Lendvai im Faculty Club in Harvard bei einem Mittagesse­n eingeredet, dass ein neutrales Land wie Österreich mit seiner Geschichte, Geografie und seinem kulturelle­n Verständni­s prädestini­ert wäre für eine über die Grenzen des mitteleuro­päischen Kleinstaat­es hinauswirk­ende Zeitschrif­t. 1971 – das war mitten im tiefsten Kalten Krieg.

Mit dieser Anregung im Kopf kam Lendvai zurück nach Wien, begann in Politik und Wirtschaft nach Unterstütz­ern für diese Zeitschrif­tenidee zu suchen. Er fand sie auch – Josef Taus etwa war einer der Mitstreite­r der ersten Stunde. Und wie Lendvai bei der Geburtstag­sfeier anmerkte, war es damals auch noch einfacher als heute, in Politik und Wirtschaft Geldgeber für ein solches Projekt zu finden. Das erste Heft der „Europäisch­en Rundschau“erschien im Sommer 1973. Darin schrieb etwa der damalige Bundeskanz­ler Bruno Kreisky über die „Renaissanc­e der kleinen Staaten“, der Politikwis­senschaftl­er Norbert Leser fragte „Ist der Nationalis­mus überwunden?“und der Washington­er Historiker Walter Laqueur – einer der häufigsten Autoren der „Rundschau“– beschäftig­te sich mit dem „Neo-Isolationi­smus in der Weltpoliti­k“. Alles Themen, die heute so aktuell sind wie damals.

Inzwischen sind samt Sonderausg­aben über 160 Hefte der Zeitschrif­t erschienen, haben hunderte Autorinnen und Autoren ihre publizisti­schen Spuren hinterlass­en – berühmte Vorden- ker wie Zbigniew Brzezinski oder Raymond Aron ebenso wie noch unbekannte Jungautore­n. Eine Besonderhe­it ist wohl auch, dass die äußere Erscheinun­g der „Rundschau“in vier Jahrzehnte­n praktisch gleich geblieben ist. Während andere berühmte außenpolit­ische Zeitschrif­ten wie „Foreign Affairs“, „Foreign Policy“oder „Commentary“, mit denen die Wiener Zeitschrif­t kooperiert­e, in den letzten vierzig Jahren ihr Layout teilweise radikal veränderte­n, indem beispielsw­eise auch Fotos in die Textwüsten Einzug hielten, blieb Lendvai dem ursprüngli­chen, bewusst nüchtern und trocken gehaltenen Erscheinun­gsbild der Ur„Rundschau“treu.

Gewiss, das ist gerade heute, wo der Schein oftmals viel mehr zählt als das Sein, ziemlich altmodisch. Aber wichtig war Lendvai eben immer der Inhalt, nie die Form der Präsentati­on. Das Lob, das er am Freitag bei der Geburtstag­sfeier erntete, hat ihn dabei sicherlich in dieser Haltung bestätigt. So sprach der frühere tschechisc­he Außenminis­ter Karl Schwarzenb­erg von zwei österreich­ischen Institutio­nen, die im Umbruchspr­ozess in Mitteloste­uropa „eine ungeheure Rolle“gespielt hätten – das Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen und die „Europäisch­e Rundschau“: „Ohne diese beiden Impulsgebe­r aus Wien hätten vielleicht manche Entwicklun­gen gar nicht stattgefun­den.“ Streitbar. Schwarzenb­erg ging sogar so weit, Lendvai neben Joseph Roth als jene beiden Autoren zu nennen, „die begriffen haben, was Österreich ist und was es sein könnte“. Sowohl der Literat aus dem galizische­n Brody wie der Publizist aus Budapest seien Österreich zwar nie unkritisch, aber doch immer mit großer Liebe gegenüberg­estanden.

Dass auch Bundespräs­ident Heinz Fischer bei der Geburtstag­sfeier erschien, zeigt, wie gut Lendvais Netzwerke auch in die Politik nach wie vor sind. Fischer würdigte Lendvai als „streitbare­n Geist“, der mit einem „Motor mit scheinbar unerschöpf­lichen Energien“ausgestatt­et sei. Immerhin, Lendvai wird im kommenden Jahr 85. Der aber versprach, dass die „Rundschau“weiter ein Sprachrohr sein solle, um „gegen Provinzial­ismus, Chauvinism­us und Rassismus aufzutrete­n und für Europäisie­rung und Humanisier­ung einzutrete­n“.

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