Der Standard

Rote Antwort auf „Ausländerf­rage“

Die SPÖ muss endlich aufhören, der Debatte über Integratio­nsprobleme auszuweich­en

- Gerald John

Am Tag nach der Wahl demonstrie­rte Hans Peter Doskozil einmal mehr, warum er nicht SPÖ-Chef wurde. Bis zur Nationalra­tswahl solle Ruhe sein, sagte der Burgenländ­er, um im nächsten Atemzug das glatte Gegenteil zu provoziere­n: Danach – gemeint ist offenbar eine sichere Niederlage – werde man über Parteichef Andreas Babler diskutiere­n. Mit genau solchen Untergriff­en hat Doskozil seinen Kredit bei Genossinne­n und Genossen verspielt.

Mit einem hat der Paradekrit­iker allerdings recht. Auf die rote Agenda muss jenes Thema, das bei der EU-Wahl am meisten bewegt und der FPÖ die Stimmen zugetriebe­n hat: Zuwanderun­g.

Es wird kein Zufall sein, dass die SPÖ in Favoriten besonders stark verloren hat. Nach Schlagzeil­en über Messerstec­hereien und mutmaßlich­e Jugendband­en war der größte Wiener Bezirk in den Geruch der No-go-Areas geraten. Natürlich hat die FPÖ dabei aufgewiege­lt und dramatisie­rt wie in unzähligen Fällen davor. Doch wer daraus schließt, dass hier bloß Nichtigkei­ten zu Problemen aufgeblase­n werden, verkennt die Realität. Diese bildet sich etwa in den Mittelschu­len der Ballungsze­ntren ab, wo Lehrer mit der Integratio­n von Flüchtling­skindern zunehmend überforder­t sind. Oder teils auch in der Kriminalst­atistik.

Damit soll nicht unterstell­t werden, dass die SPÖ dort, wo sie regiert (hat), in Sachen Integratio­n untätig war. Doch zur Politik gehört auch die Debatte. Die Sozialdemo­kraten weichen dieser aus, weil die Haltungen in der Wählerscha­ft wie im Parteiappa­rat auseinande­rdriften. Meist nehmen sie nur Stellung, wenn Nachfragen keinen Ausweg lassen. Wer den roten Wahlkämpfe­rn in den vergangene­n Wochen zugehört hat, wird kaum auf die Idee gekommen sein, dass die „Ausländerf­rage“irgendjema­ndem Sorgen bereiten könnte.

Da darf sich eine Partei nicht wundern, wenn sie von Wählerinne­n und Wählern für weltfremd bis ignorant gehalten wird. „Politik beginnt mit der Betrachtun­g der Wirklichke­it“, hat Kurt Schumacher, großer deutscher Sozialdemo­krat der Nachkriegs­zeit, festgestel­lt.

Das heißt nicht, dass Babler eingefleis­chte Rassisten bauchpinse­ln und den Blauen nacheifern soll. Die FPÖ lebt davon, Integratio­nsprobleme nicht zu lösen, um feindselig­e Stimmung anheizen zu können. Sehr wohl aber muss die SPÖ in die Diskussion einsteigen, die Schwierigk­eiten deutlich benennen, einen Plan nicht bloß für einen versteckte­n Link auf der Homepage präsentier­en, sondern offensiv bewerben. Und ja – angesichts zunehmende­r Überlastun­g, speziell der Schulen, wird eine Kernbotsch­aft lauten müssen: Wir kämpfen dafür, den Zustrom von Asylwerber­n markant und dauerhaft zu drosseln.

Nicht getan ist es damit, zwei Tage vor einer Wahl überhaps unausgegor­ene Abschiebei­deen des deutschen Kanzlers halbherzig abzukupfer­n. Um in dieser vernachläs­sigten Frage neue Glaubwürdi­gkeit aufzubauen, braucht die SPÖ argumentat­iv einen längeren Atem.

Selbst wenn die schwierige Übung gelingt, wird die Migrations­politik wohl nie zum roten Stimmenmag­neten werden. Doch glücken könnte die Immunisier­ung gegen den Vorwurf, dieses Reizthema „links liegen“zu lassen (Die Presse). Zu verhindern gilt es, dass Sympathisa­nten, die mit der SPÖ ansonsten viel anfangen können, wegen des Ärgers über die Ausländer bei Wahlen zu Hause bleiben – oder gleich zur FPÖ wandern.

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