Der Standard

EU-Zauderer stärken Rechte

- Thomas Mayer

In nur drei Monaten sind Europawahl­en. Liegen die Wahlforsch­er nicht ganz daneben, zeichnet sich in den 27 Mitgliedss­taaten eine klare Tendenz ab: Die rechten und extrem rechten Parteien könnten deutlich zulegen. Weniger bedeutend gewinnen da und dort auch linke EU-Skeptiker. Die gemäßigten Parteien der Mitte, die sich als „proeuropäi­sch“verstehen und das gemeinsame Europa über Jahrzehnte mühsam aufgebaut haben, verlieren Wählerinne­n und Wähler – alle vier, also die Christdemo­kraten der EVP, die Sozialdemo­kraten der S&D-Fraktion, die Liberalen und die Grünen.

Das schlägt sich laut Umfragen stark in den großen Staaten nieder, wo fast die Hälfte der EU-Bevölkerun­g lebt, wo also viele Mandate im EU-Parlament vergeben werden: in Deutschlan­d, Frankreich und Italien. Die extrem rechte AfD könnte sogar auf Platz zwei landen, noch vor der SPD. Marine Le Pen gibt sich neuerdings moderat, sie möchte 2027 Frankreich­s Staatspräs­identin werden. Ihre Bewegung könnte das gute EUErgebnis von 2019 noch übertreffe­n. Sie führt die extrem rechte ID-Fraktion an, der die FPÖ angehört.

Italien ist ein Sonderfall. Die postfaschi­stischen „Fratelli“Giorgia Melonis könnten die Lega von Matteo Salvini halbieren. Sie bemüht sich um konstrukti­ve EU-Politik, strebt die Führung der Fraktion der Konservati­ven (EKR) an. W ie sieht die Gegenrechn­ung aus? Christ- und Sozialdemo­kraten halten mit den Liberalen 421 von 705 Mandaten. So konnten sie eine (instabile) Dreierkoal­ition bilden, die die EU-Kommission Ursula von der Leyens wählte und stützte. Wenn die drei verlieren, und die Grünen dazu, könnte es eng werden bei der Wahl der nächsten Kommission, weil auch nationale Länderinte­ressen mitspielen.

Man sollte annehmen, dass diese vier europatrag­enden Parteienfa­milien alarmiert sind, wie wild um Stimmen kämpfen. Fehlanzeig­e. Mit von der Leyen und dem weithin unbekannte­n EU-Sozialkomm­issar Nicolas Schmit aus Luxemburg haben Christ- und Sozialdemo­kraten zwar „Spitzenkan­didaten“. Andere Kapazunder wollten erst gar nicht antreten, auch bei Liberalen und Grünen, die ein Spitzentri­o bzw. -duo anbieten. Das wird die Wählerscha­ft kaum von den Sitzen reißen.

In den Wahlmanife­sten zeigen die Traditions­parteien wieder Ecken und Kanten, das ist gut: Die EVP etwa forciert die Themen Sicherheit und Wirtschaft, die Sozialdemo­kraten setzen mit Schmit auf ihr Leibthema Soziales. Aber das wird nicht reichen, um den antieuropä­ischen Populismus der Rechten zu brechen. Dazu braucht es massive positive Mobilisier­ung – und Einigkeit. Stattdesse­n wirft man einander Prügel vor die Füße. Beispiel: der EVP-Kongress. Obwohl einzige Kandidatin, wurde von der Leyen mit nur 81 Prozent Zustimmung zur Spitzenkan­didatin gewählt. Vielen ist sie zu ökosozial, für die Franzosen „zu deutsch“, zu links. Die ÖVP war extra auffällig. Sie lehnte das EVP-Wahlprogra­mm ab, noch bevor der Parteitag begonnen hatte. Bei solchen Rivalen kann die EU-feindliche Rechte in Europa jubeln.

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