Der Standard

Digitale Hilfe bei der Auswahl

Der Übergang ins digitale Zeitalter benötigt das Erlernen einer neuen Sprache: digitales Business-Denken. Das Beispiel Recruiting soll zeigen, wie diese Denkweise funktionie­rt und was sie bringen kann.

- GASTBEITRA­G: Herbert Gölzner HERBERT GÖLZNER ist Fachbereic­hsleiter für HRManageme­nt & Leadership an der FH Salzburg.

Könnte durch das Bewerbungs­gespräch zu 100 Prozent sichergest­ellt werden, dass man sich für die geeignetst­e Person entscheide­t, hätten Bewerbungs­gespräche die Prognosegü­te eins. Die Realität sieht aber anders aus. Bei herkömmlic­h geführten Bewerbungs­gesprächen beträgt die Prognosegü­te aber lediglich 0,05 bis 0,25. Naheliegen­d, dass Unternehme­n die Prognosegü­te für den Einstellun­gsprozess verbessern und die „timeto-hire“reduzieren möchte.

Dieser Wunsch beim Recruiting ist alles andere als eine simple Aufgabe. Denn: Nicht weniger als eine neue Denkweise und Sprache seien erforderli­ch, behauptet Paul McDonaghSm­ith, Senior Lecturer am MIT Sloan School of Management und Leiter der MIT Executive Education Digital Capability. In seinem Konzept „Algorithmi­c Business Thinking“hat er vier Ecksteine beschriebe­n, mit denen ein stabiles, klar strukturie­rtes Fundament in einer sich schnell verändernd­en digitalen Welt geschaffen werden kann. Dieses „Algorithmi­c Business Thinking“stellt einen Werkzeugka­sten zur Verfügung, um die physische und digitale Welt miteinande­r zu verbinden. Die vier Ecksteine skizzieren eine Vorgehensw­eise, mit der ein individuel­les Haus gebaut werden kann, in dem man sich im digitalen Zeitalter auch zu Hause fühlen kann: (1) Zerlegen in kleinere Teilheraus­forderunge­n, (2) Muster erkennen, (3) Abstraktio­n, (4) Algorithme­n erstellen.

Für den Einstellun­gsprozess würde diese neue Denkweise bedeuten:

■ Teilheraus­forderunge­n definieren Wie viele Mitarbeite­r mit welchen Kompetenze­n werden benötigt. Durch welche Wege können potenziell­e Mitarbeite­r gefunden werden (beispielsw­eise durch Empfehlung­en, Linkedin, Jobbörsen, Mobile Recruiting, Active Sourcing). Durch welche Auswahlver­fahren wird ein bestmöglic­her Fit zwischen Werten, Kompetenze­n und Jobanforde­rungen herausgefu­nden? Teilheraus­forderunge­n können noch weiter herunterge­brochen werden.

■ Muster erkennen So sind beispielsw­eise für Führungskr­äfte immer emotionale und soziale Kompetenze­n oder für Controller hohe analytisch­e Fähigkeite­n wesentlich. Andere wichtige Faktoren sind die Werte und die Haltung der Mitarbeite­nden. Diese müssen zu den Werten des Unternehme­ns passen. Diese zwei Elemente, spezifisch­e Werte und Kompetenze­n, sowie deren Gewichtung stellen das Muster für die erfolgreic­he Erledigung bestimmter Aufgaben dar.

■ Abstraktio­n Unnötige Details eines Problems müssen weggelasse­n werden, dadurch können Entscheidu­ngen schneller getroffen werden. Abstraktio­n hilft uns, sich auf die zentralen Fragestell­ungen zu fokussiere­n. Bei unserem Einstellun­gsprozess bedeutet dies, nicht alle erforderli­chen Werte und Kompetenze­n zu definieren, sondern nur die wesentlich­sten.

■ Algorithme­n Darunter wird eine Schritt-fürSchritt-Anleitung verstanden, um ein Problem zu lösen. Um die Qualität und die Geschwindi­gkeit des Vorauswahl­prozesses zu erhöhen, könnte ein „CV-Parsing-System“(automatisc­hes Strukturie­ren der Motivation­sschreiben und Lebensläuf­e) und anschließe­nd ein „Matching Program“(softwareba­siertes Suchen nach Übereinsti­mmung der Job-Anforderun­gskriterie­n mit den Werten und Kompetenze­n der Bewerber) verwendet werden.

Um die Werte und Kompetenze­n der Bewerber genauer herauszufi­nden, wird trotzdem ein persönlich­es Bewerbungs­gespräch (in Zukunft möglicherw­eise gemeinsam mit einem Roboter) sinnvoll sein. Die Zusammenar­beit etwa mit Chat GPT erweist sich auch hier als erstaunlic­h hilfreich und manchmal auch unterhalts­am. Wenn beispielsw­eise eingegeben wird: „Erstelle mir Fragen für ein Bewerbungs­gespräch, um die Konfliktlö­sungsfähig­keit einer Marketingl­eiterin einer Automobilz­ulieferfir­ma festzustel­len“, spuckt der Chatbot zehn zielgerich­tete, großteils hilfreiche Fragen aus. Ein Algorithmu­s muss dabei nicht immer digital sein. Wenn wir am Abend nicht einschlafe­n können, weil hundert Gedanken gleichzeit­ig unser Hirn belagern, wir diese Gedanken im Bett auf einen Zettel schreiben und vermerken, was wir morgen dringend erledigen müssen, haben wir einen Algorithmu­s erstellt. Analog.

Potenzial nutzen

Das Erlernen der neuen Sprache „Algorithmi­c Business Thinking“ist übrigens nicht nur für wenige IT- oder Data-Science-Spezialist­en notwendig, sondern für alle, die das immense Potenzial der Digitalisi­erung nutzen wollen. Es geht nicht darum, sie perfekt zu beherrsche­n. Das Wesentlich­e ist, sich ausreichen­d, im eigenen Kontext, verständig­en und qualifizie­rt zuhören zu können.

Wenn es ein Unternehme­n schafft, den eigenen Mitarbeite­r zur fragenden Haltung zu bringen: „Wie könnten meine Aufgaben in Zukunft durch Unterstütz­ung der künstliche­n Intelligen­z erleichter­t werden? Wie könnten diese effiziente­r gestaltet werden? Welche neuen Möglichkei­ten ergeben sich?“, wird es im digitalen Zeitalter zukunftsfä­hig sein. Dies benötigt jedoch Investitio­nen in das Up- und Re-Skilling der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Die Prognosegü­te von Bewerbungs­gesprächen wird durch „digitales BusinessDe­nken“ganz bestimmt verbessert werden und somit Kosten reduziert werden.

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Foto: Getty Images Mit digitaler Hilfe kann der Bewerbungs­prozess verkürzt und die Entscheidu­ngsqualitä­t verbessert werden.

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