Digitale Hilfe bei der Auswahl
Der Übergang ins digitale Zeitalter benötigt das Erlernen einer neuen Sprache: digitales Business-Denken. Das Beispiel Recruiting soll zeigen, wie diese Denkweise funktioniert und was sie bringen kann.
Könnte durch das Bewerbungsgespräch zu 100 Prozent sichergestellt werden, dass man sich für die geeignetste Person entscheidet, hätten Bewerbungsgespräche die Prognosegüte eins. Die Realität sieht aber anders aus. Bei herkömmlich geführten Bewerbungsgesprächen beträgt die Prognosegüte aber lediglich 0,05 bis 0,25. Naheliegend, dass Unternehmen die Prognosegüte für den Einstellungsprozess verbessern und die „timeto-hire“reduzieren möchte.
Dieser Wunsch beim Recruiting ist alles andere als eine simple Aufgabe. Denn: Nicht weniger als eine neue Denkweise und Sprache seien erforderlich, behauptet Paul McDonaghSmith, Senior Lecturer am MIT Sloan School of Management und Leiter der MIT Executive Education Digital Capability. In seinem Konzept „Algorithmic Business Thinking“hat er vier Ecksteine beschrieben, mit denen ein stabiles, klar strukturiertes Fundament in einer sich schnell verändernden digitalen Welt geschaffen werden kann. Dieses „Algorithmic Business Thinking“stellt einen Werkzeugkasten zur Verfügung, um die physische und digitale Welt miteinander zu verbinden. Die vier Ecksteine skizzieren eine Vorgehensweise, mit der ein individuelles Haus gebaut werden kann, in dem man sich im digitalen Zeitalter auch zu Hause fühlen kann: (1) Zerlegen in kleinere Teilherausforderungen, (2) Muster erkennen, (3) Abstraktion, (4) Algorithmen erstellen.
Für den Einstellungsprozess würde diese neue Denkweise bedeuten:
■ Teilherausforderungen definieren Wie viele Mitarbeiter mit welchen Kompetenzen werden benötigt. Durch welche Wege können potenzielle Mitarbeiter gefunden werden (beispielsweise durch Empfehlungen, Linkedin, Jobbörsen, Mobile Recruiting, Active Sourcing). Durch welche Auswahlverfahren wird ein bestmöglicher Fit zwischen Werten, Kompetenzen und Jobanforderungen herausgefunden? Teilherausforderungen können noch weiter heruntergebrochen werden.
■ Muster erkennen So sind beispielsweise für Führungskräfte immer emotionale und soziale Kompetenzen oder für Controller hohe analytische Fähigkeiten wesentlich. Andere wichtige Faktoren sind die Werte und die Haltung der Mitarbeitenden. Diese müssen zu den Werten des Unternehmens passen. Diese zwei Elemente, spezifische Werte und Kompetenzen, sowie deren Gewichtung stellen das Muster für die erfolgreiche Erledigung bestimmter Aufgaben dar.
■ Abstraktion Unnötige Details eines Problems müssen weggelassen werden, dadurch können Entscheidungen schneller getroffen werden. Abstraktion hilft uns, sich auf die zentralen Fragestellungen zu fokussieren. Bei unserem Einstellungsprozess bedeutet dies, nicht alle erforderlichen Werte und Kompetenzen zu definieren, sondern nur die wesentlichsten.
■ Algorithmen Darunter wird eine Schritt-fürSchritt-Anleitung verstanden, um ein Problem zu lösen. Um die Qualität und die Geschwindigkeit des Vorauswahlprozesses zu erhöhen, könnte ein „CV-Parsing-System“(automatisches Strukturieren der Motivationsschreiben und Lebensläufe) und anschließend ein „Matching Program“(softwarebasiertes Suchen nach Übereinstimmung der Job-Anforderungskriterien mit den Werten und Kompetenzen der Bewerber) verwendet werden.
Um die Werte und Kompetenzen der Bewerber genauer herauszufinden, wird trotzdem ein persönliches Bewerbungsgespräch (in Zukunft möglicherweise gemeinsam mit einem Roboter) sinnvoll sein. Die Zusammenarbeit etwa mit Chat GPT erweist sich auch hier als erstaunlich hilfreich und manchmal auch unterhaltsam. Wenn beispielsweise eingegeben wird: „Erstelle mir Fragen für ein Bewerbungsgespräch, um die Konfliktlösungsfähigkeit einer Marketingleiterin einer Automobilzulieferfirma festzustellen“, spuckt der Chatbot zehn zielgerichtete, großteils hilfreiche Fragen aus. Ein Algorithmus muss dabei nicht immer digital sein. Wenn wir am Abend nicht einschlafen können, weil hundert Gedanken gleichzeitig unser Hirn belagern, wir diese Gedanken im Bett auf einen Zettel schreiben und vermerken, was wir morgen dringend erledigen müssen, haben wir einen Algorithmus erstellt. Analog.
Potenzial nutzen
Das Erlernen der neuen Sprache „Algorithmic Business Thinking“ist übrigens nicht nur für wenige IT- oder Data-Science-Spezialisten notwendig, sondern für alle, die das immense Potenzial der Digitalisierung nutzen wollen. Es geht nicht darum, sie perfekt zu beherrschen. Das Wesentliche ist, sich ausreichend, im eigenen Kontext, verständigen und qualifiziert zuhören zu können.
Wenn es ein Unternehmen schafft, den eigenen Mitarbeiter zur fragenden Haltung zu bringen: „Wie könnten meine Aufgaben in Zukunft durch Unterstützung der künstlichen Intelligenz erleichtert werden? Wie könnten diese effizienter gestaltet werden? Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich?“, wird es im digitalen Zeitalter zukunftsfähig sein. Dies benötigt jedoch Investitionen in das Up- und Re-Skilling der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Prognosegüte von Bewerbungsgesprächen wird durch „digitales BusinessDenken“ganz bestimmt verbessert werden und somit Kosten reduziert werden.