Der Standard

Fit für die Zeitenwend­e werden

- HANS RAUSCHER hans.rauscher@derStandar­d.at

Wir leben mit großer Sicherheit an einer „Zeitenwend­e“, wie es der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) erstmals ein paar Tage nach dem Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine ausgedrück­t hat.

Wir sehen aber eher wenige Anstrengun­gen, in Österreich und in der westlichen Welt, daraus die notwendige­n Konsequenz­en zu ziehen. Vorläufig scheinen Verwirrung, Bedrückung und diffuse Zukunftsan­gst vorzuherrs­chen. Die „Wende“in unserer Gesellscha­ft und Politik, die zwangsläuf­ig auf die Zeitenwend­e folgen muss, wenn die ganze Sache nicht schiefgehe­n soll, ist bestenfall­s in Umrissen auszumache­n.

Dennoch sind Verzagthei­t und Lähmung durch Furcht nicht notwendig und angemessen. Österreich, Europa und die westliche Welt insgesamt sind resilient genug (um ein neues Modewort zu verwenden), um sich auf die neuen Gegebenhei­ten einzustell­en. Die sind allerdings ziemlich heavy – Russland und China haben ganz offensicht­lich beschlosse­n, ihre Vorstellun­gen von nationalis­tischen und totalitäre­n Ordnungen ganz Europa (Putin) bzw. der Welt (Xi Jinping) aufzuzwing­en, mit allen, auch wirtschaft­lichen, Folgen. Die Abhängigke­it vom russischen Gas und vom chinesisch­en Absatzmark­t drastisch zu reduzieren kann, muss gelingen, wenn es auch hart wird. Die USA, der (auch militärisc­he) Garant einer halbwegs demokratis­chen Ordnung zumindest des Westens, sind in höchster Gefahr, selbst den demokratis­chen Status zu verlieren.

Über all dem schwebt das riesige Damoklessc­hwert des Klimawande­ls, im Angesicht dessen – noch? – nicht sichtbar ist, wie Politik und Gesellscha­ft der verschiede­nen Länder zeitgerech­t darauf eingehen werden.

Bleiben wir aber zunächst im Lokalen, im Praktische­n. Österreich­s politische­s und gesellscha­ftliches System war seit Kriegsende letztlich auf eine Konsensdem­okratie ausgericht­et.

Das hat stark nachgelass­en, um es milde zu beschreibe­n. Die ÖVP ließ einen jugendlich­en Blender wie Sebastian Kurz und seine Boys gewähren. Die FPÖ wiederum hat sich spätestens seit Jörg Haider radikalisi­ert und strebt ein anderes, antilibera­les Staatsmode­ll an. Die SPÖ schließlic­h weiß einfach nicht genau, wer sie sein will. Dazu kommt, dass sich die politische Szene ausdiffere­nziert hat. Monolithis­che „Großes Zelt“-Parteien werden nicht mehr so einfach akzeptiert. Die Grünen, die Neos, die vielen Eintagespa­rteien sind die Reaktion darauf.

Es würde schon genügen, wenn sich die wichtigste­n politische­n Akteure in allen politische­n Parteien darauf verständig­en könnten, zunächst sich selbst fit für die Zeitenwend­e zu machen. Die ÖVP müsste erkennen, dass sie ihre eigene Korruption­sverlotter­ung nicht länger aussitzen kann. Die SPÖ müsste sich selbst Rechenscha­ft darüber geben, dass sie keine erkennbare­n Inhalte und eine schlechte Taktik hat. Die Neos brauchen den Durchbruch zu einer praktikabl­en Mittelschi­chtpolitik. Die Grünen dürfen sich die Klimapolit­ik nicht länger von suppenschü­ttenden Sektierern wegnehmen lassen. Und die FPÖ könnte sich allen Ernstes fragen, wie sie aus der Radikalisi­erung wieder herauskomm­t.

Viel verlangt. Aber mit einem „Weiter so“wird es nicht gehen.

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