Wie der ÖGB Preissenkungen durchboxen will
5,50 Euro für ein Krügerl und andere Skandale: In Wien trommelte die Gewerkschaft ihre Getreuen zusammen, um gegen die Regierungspolitik in Sachen Teuerung zu wettern – und auch gegen manchen Expertenratschlag.
Es ist der Aufreger Nummer eins. Wer sich wahllos durch die Besucher der Wiener Marx-Halle fragt, kommt am Spritpreis nicht vorbei. Der morgendliche Blick über den Betriebsparkplatz zeige ihm, dass es „massive Einschnitte“gebe, sagt ein Personalvertreter der in Wien für die Abfallwirtschaft zuständigen Magistratsabteilung 48: „Die Leute kommen schon mit den Öffis, weil sie sich das Benzin nicht mehr leisten können.“
Ob dieser Effekt gerade in einer Stadt nicht auch Gutes an sich habe? Älteren sei das schwer zumutbar, erwidert der Gewerkschafter, außerdem pendelten viele ein: „Ich schaffe es, weil ich am anderen Ende der Stadt wohne, ohne Auto ja selbst nicht rechtzeitig zum Dienstantritt.“
Übers Kilometerfressen wird an jenem Mittwoch nicht nur diskutiert. Rund 3200 Belegschaftsvertreterinnen und Belegschaftsvertreter aus ganz Österreich hat der ÖGB zu einer Konferenz versammelt, um der Regierung im Kampf gegen die Teuerung ins Gewissen zu reden. Weil sich viele wegen der Pandemie lange nicht gesehen haben, gibt es bei der Ankunft ein großes Hallo: allerorts Umarmungen und Gruppenfotos.
Weniger erbaulich sind die mitgebrachten Geschichten. Wer im Monat auf weniger als 1400 Euro netto komme, werde im nächsten Winter zwischen Abstrichen beim Heizen oder Essen wählen müssen, prophezeit ein Personalvertreter, eine Kollegin sieht die Notlage bereits auf die Mittelschicht übergreifen: Mittlerweile würden sich Menschen nach finanzieller Unterstützung erkundigen, die vor einem Jahr an so etwas nicht einmal gedacht hätten. Manche Pendler überlegten sich, ihre Jobs für schlechter bezahlte, aber näher gelegene Alternativen aufzugeben, berichtet wiederum ein Betriebsrat aus Kärnten – es gehe ja eh alles nur für Benzin drauf.
Auf der Bühne liefert Willi Mernyi, bewährter Einpeitscher bei Gewerkschaftsevents, das passende Zahlenmaterial – von 5,50 Euro für ein Krügerl im Schweizerhaus bis zu 908 Euro Monatsmiete für eine 38Quadratmeter-Wohnung in Wien. Als es um die Lebensmittelpreise geht, fährt der ÖGB-Sekretär mit einem Einkaufswagen vor. Pflanzenöl plus 17 Prozent, Butter plus 25 Prozent, grüner Salat plus 26 Prozent, rechnet er vor. Und wer, statt zu kochen, lieber zu MacDonald’s gehe: Der Cheeseburger koste längst nicht mehr einen Euro, sondern 1,60.
Das Gegenkonzept der Gewerkschaft reicht von einem „Preisdeckel“für Strom aus Gaskraftwerken bis zu diversen Begrenzungen für Mieterhöhungen, von der Anhebung von Ausgleichszulage und Arbeitslosengeld bis zur Inflationsanpassung von Leistungen wie Familienbeihilfe oder Kinderbetreuungsgeld. Außerdem fordert der ÖGB üppige Steuersenkungen: Die kalte Progression bei der Lohnsteuer soll abgegolten, die Mehrwertsteuer für Lebensmittel und Öffi-Tickets gestrichen, die Steuer auf Treibstoffe gesenkt werden.
Gießkanne vs. Rohrbruch
Dass die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS ebensolche künstlichen Preissenkungen ablehnen, weil diese nicht treffsicher seien und – im Fall der Energieausgaben – Klimaschutzzielen widersprächen, reizt die Gewerkschafter zu empörtem Einspruch. Als die Unternehmen in der Pandemie mit Hilfen überschüttet worden seien, habe niemand von der „Gießkanne“gesprochen, sagt ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, dabei sei damals „alles so geschwommen“wie nach einem Rohrbruch. Nun sei der Zeitpunkt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter die Arme zu greifen – „jetzt und nicht irgendwann“.