Der Standard

Chinas strikte Covid-Politik verursacht massive Schäden

Rückgang der Industriep­roduktion, Jugendarbe­itslosigke­it: Lockdowns hinterlass­en tiefe Spuren in China

- Philipp Mattheis aus Schanghai

Ob und wie sich die Lage in Schanghai gerade entspannt, darüber gehen die Meinungen auseinande­r. Nachdem die Behörden am Mittwoch erstmals keine Neuinfekti­onen unter den eingeschlo­ssenen Bewohnern verkündet hatten, wurden am Freitag drei Personen außerhalb der Quarantäne­gebiete positiv auf das Virus getestet.

Zuvor seien für mehr als 15 Millionen der rund 25 Millionen Einwohner Lockerunge­n beschlosse­n worden. Diese sollen weiterhin gelten, strengere Maßnahmen seien nur für die betroffene Region geplant. Zahlreiche Bewohner der Stadt aber berichten das Gegenteil: Ausgangssp­erren seien intakt, und mehr noch, sogar Gitter und Zäune seien in den vergangene­n Tagen errichtet worden.

Tatsache ist, dass die chinesisch­e Wirtschaft durch die Lockdowns massiven Schaden genommen hat. Am Montag wurden erste Zahlen veröffentl­icht, die auf nichts Gutes deuten. Demnach ist die Industriep­roduktion im Vergleich zum Vorjahresm­onat um 2,9 Prozent gefallen. Am stärksten war der Rückgang in den von Lockdowns betroffene­n Provinzen: Im Jangtse-Delta fiel die Produktion um 14, in der nordöstlic­hen Provinz Jilin um 16 Prozent. Die Einzelhand­elsumsätze gingen um elf Prozent zurück.

Nach wie vor stellt sich die Frage, ob die Zahlen ihre Richtigkei­t haben: Anders als in westlichen Volkswirts­chaften werden volkswirts­chaftliche Kennziffer­n nicht ergebnisof­fen ermittelt, sondern immer in Bezug zu Zielgrößen gesetzt. Das schafft Anreize für die Verantwort­lichen, die Zahlen zu frisieren.

Lieferengp­ässe

Zahlreiche ausländisc­he Unternehme­n klagen über massive Lieferengp­ässe. Wichtige Güter und Bauteile erreichen die Fabriken nicht, da sich vor Schanghai und Ningbo die Containers­chiffe am Meer stauen. Zudem ist der persönlich­e Druck auf Expats durch die Lockdowns immens. Immer mehr Unternehme­n fahren deswegen ihre Investitio­nen zurück und überlegen, das Land zu verlassen. „Die Stimmung ist düster“, sagt Bettina Schoen-Behanzin, Vizepräsid­entin der Europäisch­en Handelskam­mer. „Das Geschäftsv­ertrauen hat durch die erratische Lockdown-Politik in Schanghai schwer gelitten.“

Kammerpräs­ident Jörg Wuttke schätzt, dass sich bis Ende des Jahres wenig ändern wird. Darauf deutet auch die Ankündigun­g Pekings hin, die für kommendes Jahr geplante asiatische Fußballmei­sterschaft abzusagen. Derzeit nehmen die Einschränk­ungen in Peking zu, aber auch in der Provinz Sichuan.

Die Unternehme­n sind derzeit unter einem Closed-Loop-Management. Das bedeutet, dass Arbeiter auf dem Werksgelän­de übernachte­n und es bis zu zwei Wochen nicht verlassen dürfen. Danach wird rotiert. Auch das US-Unternehme­n Tesla hat seine Pläne, die Produktion

wieder hochzufahr­en, verschoben. Tesla wollte ab Montag täglich 2600 Autos produziere­n. Anvisiert ist nun der 23. Mai. Derzeit werden 1200 Autos am Tag gefertigt.

Am dramatisch­sten aber ist die Lage im Immobilien­sektor: Die Verkäufe gingen im Vergleich zum Vorjahresm­onat um 46 Prozent zurück – der stärkste Rückgang seit 2006.

Dabei war die Lage ohnehin angespannt: Die Insolvenz des Immobilien­konzerns Evergrande schwelt seit vergangene­m Sommer vor sich hin. Ständig drohen neue Pleiten und eine Kaskade. Vergangene Woche konnte der Konzern Sunac aus Tianjin eine Anleihe in Höhe von 29 Millionen US-Dollar nicht bedienen. Insgesamt hat Sunac Schulden in Höhe von 7,7 Milliarden Dollar bei ausländisc­hen Gläubigern. Der Konzern gilt als viertgrößt­er seiner Art in China. Dies und die hohe Jugendarbe­itslosigke­it, derzeit sind 18 Prozent der 16- bis 24-jährigen Chinesen ohne Job, dürfte der Regierung die größten Sorgen bereiten.

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