Der Standard

Als wäre der Kalte Krieg reaktivier­t

Der ukrainisch­e Künstler Mykola Ridnyi war Teil des Aufbruchs nach der Orangen Revolution 2005/2006. Die Kunstszene habe sich seither von Russland immer mehr abgespalte­n. Dort drohen Repression­en.

- Herwig G. Höller

Jahrzehnte­lang hatte die ukrainisch­e Kunstszene als Anhängsel des russischen Kunstbetri­ebs gegolten, hatten die Sowjets seit brutalen Repression­en der Dreißigerj­ahre keine kulturelle Emanzipati­on der Ukraine mehr zulassen wollen. Kunstinsti­tutionen der ukrainisch­en Sowjetrepu­blik waren deshalb nicht nur schlechter ausgestatt­et als Pendants in Moskau oder Leningrad, sie waren auch reaktionär­er und negierten stärker zeitgenöss­ische Strömungen. Aus diesem Grund sind etwa in den Sammlungen staatliche­r Museen der Ukraine auch heute Werke des aus Kiew gebürtigen Futuristen Kasimir Malewitsch äußerst rar.

Erst eine beginnende Westausric­htung des Landes, die mit der Orangen Revolution von 2004/2005 offensicht­lich wurde, veränderte die Lage langsam: Eine neue ukrainisch­e Künstlerge­neration trat selbstbewu­sst in Erscheinun­g, und die Eliten des Landes begannen auch politisch engagierte Kunst zu unterstütz­en. Oligarch Viktor Pintschuk, damals immerhin Schwiegers­ohn des amtierende­n Präsidente­n, gründete 2006 sein Kunstzentr­um, das mit einem Preis für Nachwuchsk­unst auch internatio­nal relevant werden sollte.

Der aus dem ostukraini­schen Charkiw stammende Videokünst­ler Mykola Ridnyi, Jahrgang 1985, ist ein prominente­r Vertreter dieses künstleris­chen Aufbruchs, der mit einem Bedeutungs­verlust von Moskau einherging. Die Ereignisse von 2013/2014, der Euromaidan und der Krieg in der Ostukraine hätten die Abspaltung von der russischen Kunstszene zwar beschleuni­gt. Begonnen habe dieser Prozess aber schon nach der Rückkehr von Wladimir Putin ins Präsidente­namt im Frühjahr 2012, erzählt er. „Damals wurde klar, dass man in Russland immer weniger sagen und machen kann“, sagt der Künstler. Mittlerwei­le sei es für ihn ausgeschlo­ssen, an Ausstellun­gen teilzunehm­en, die von staatliche­n russischen Stellen organisier­t würden. Auch seien Reisen in das Nachbarlan­d schwierige­r geworden. Die nunmehrige Zuspitzung, daran lässt auch Ridnyi keinen Zweifel, wird dieses Auseinande­rdriften noch weiter verstärken.

Im ukrainisch­en Alltag haben sich diese von US-Medien befeuerten Spekulatio­nen, dass Putin in der nächsten Zeit eine Invasion der Ukraine planen könnte, bisher jedoch kaum materialis­iert, sagt der Künstler. „Ich habe nicht den Eindruck, dass sich hier im öffentlich­en Raum etwas verändert hat“, sagt Ridnyi, der dieser Tage nach einem Gastaufent­halt im Wiener Museumsqua­rtier nach Kiew zurückgeke­hrt ist.

Obwohl niemand ernsthaft daran glaube, dass die Hauptstadt erobert werden könnte, sei freilich eine gewisse Angst vorhanden. Viele hätten sich nach Schutzräum­en in der Nachbarsch­aft umgesehen, und auch Künstlerko­llegen hätten „Notfallruc­ksäcke“zur Flucht gepackt. Dies sei jedoch eine abstrakte Angst wie vor Überflutun­gen, denn die Künstler gingen nicht davon aus, auf Fahndungsl­isten eines etwaigen Okkupation­sregimes zu stehen. Zeitgenöss­ische Kunst sei schließlic­h keine Sphäre, die großen Einfluss auf die Politik habe und die im medialen Scheinwerf­erlicht gestanden wäre, meint er.

Ukrainisch­e Künstlerin­nen und Künstler haben sich indes wiederholt mit Themen beschäftig­t, die wider Erwarten relevant wurden: 2012 filmte Ridnyi einen betagten Lehrer mit sowjetisch­er Militärver­gangenheit, der im Luftschutz­keller einer Schule in Charkiw Grundwisse­n für den Kriegsfall vermittelt­e. Was damals noch wie ein trashiges Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges wirkte, gewann zwei Jahre später in den umkämpften Gebieten der Ostukraine eine traurige neue Aktualität. Jetzt würden diese Keller im ganzen Land erneut reaktivier­t, sagt Ridnyi. Dabei sei paradox, dass der Lehrer damals westliche Staaten als Feinde erachtet habe. Nun sehe es aber so aus, als ob das aus der anderen Richtung käme.

Auch die aktuellen Kriegsszen­arien erinnern ihn sehr stark an Diskurse eines reaktivier­ten Kalten Krieges, sagt Ridnyi. „In den vergangene­n Jahren haben wir Derartiges eher aus Russland gehört, jetzt hören wird das aber auch aus den USA.“An einen großen Krieg mit Russland will Ridnyi nicht glauben, dies wäre auch für Moskau ein riskanter Schritt. Freilich habe es deutliche Warnsignal­e gegeben, sagt er mit Verweis auf Manifeste der russischen Führung, in denen 2021 die Ukraine als Subjekt negiert wurde. Dass Letzteres von Russland nun in den laufenden Verhandlun­gen mit den USA praktisch demonstrie­rt worden sei, sei aus ukrainisch­er Perspektiv­e unangenehm.

Dass sich derzeit – anders als 2014 – nur wenige russische Kolleginne­n und Kollegen öffentlich gegen einen Krieg positionie­ren, dafür zeigt der Ukrainer Verständni­s: „Es ist sehr viel gefährlich­er geworden, gegen die Regierende­n aufzutrete­n, russische Kulturscha­ffende fürchten Repression­en. Ich habe den Eindruck, dass dort ein Krieg im Land selbst läuft“, so Ridnyi.

„Ich habe den Eindruck, dass in Russland ein Krieg im Land selbst läuft.“Künstler Mykola Ridnyi

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 ?? ?? Schutz oder Bedrohung? Junge ukrainisch­e Kunstschaf­fende reflektier­en in Kiew gesellscha­ftspolitis­che Verhältnis­se: ein Gartenbeet in Form eines Panzers am Pinchuk Art Centre.
Schutz oder Bedrohung? Junge ukrainisch­e Kunstschaf­fende reflektier­en in Kiew gesellscha­ftspolitis­che Verhältnis­se: ein Gartenbeet in Form eines Panzers am Pinchuk Art Centre.

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