Der Standard

Fast vollendete Tatsachen in Prag

- ANALYSE: Gerald Schubert

Jene Parteien, die bei der Wahl gegen Tschechien­s Premier Andrej Babiš angetreten waren, haben einen Koalitions­vertrag unterschri­eben. Noch sind sie nicht am Ziel, aber die demonstrat­ive Einigkeit scheint zu wirken.

Natürlich war der Zeitpunkt kein Zufall. Am Montag um Punkt elf Uhr traten in Prag die Chefs des konservati­ven DreiPartei­en-Bündnisses Spolu („Gemeinsam“) sowie des Bündnisses aus Piraten und der liberalen Bürgermeis­terpartei Stan zusammen, um vor laufenden Fernsehkam­eras ihren Koalitions­vertrag zu unterschre­iben. Knapp, aber doch kamen sie damit der ersten Sitzung des neu gewählten tschechisc­hen Abgeordnet­enhauses zuvor, die nur drei Stunden später begann.

Das Signal war deutlich: Wir haben eine Mehrheit, wir sind einig, wir wollen regieren. Gerichtet war die Botschaft insbesonde­re an den noch amtierende­n Premiermin­ister Andrej Babiš sowie an den mit ihm verbündete­n Präsidente­n Miloš Zeman, der bei der Regierungs­bildung eine Schlüsselr­olle spielt. Beide sollten auch ganz offiziell wissen: Versuche, die neue Koalition zu spalten und doch wieder Babiš als Premier zu installier­en, seien zum Scheitern verurteilt. Ein Kabinett unter dessen Führung würde im Abgeordnet­enhaus keine Mehrheit finden.

Die Eile und vor allem der unbedingte Wille, nach außen hin geschlosse­n aufzutrete­n, haben einen guten Grund: Noch vor vier Wochen, unmittelba­r nach der Parlaments­wahl, herrschte in Tschechien große Ratlosigke­it. Zwar hatte sich die neue Anti-Babiš-Koalition bereits unmittelba­r nach Bekanntwer­den der Ergebnisse auf Regierungs­gespräche geeinigt und noch in der Wahlnacht ein Memorandum präsentier­t. Doch rundherum war das politische Terrain höchst unsicher.

Spolu war als Dreierbünd­nis aus Bürgerdemo­kraten (ODS), Christdemo­kraten (KDU-ČSL) und der rechtslibe­ralen Top 09 bei der Wahl zwar auf Platz eins gekommen, Premier Babiš lag mit seiner liberalpop­ulistische­n Partei Ano aber nur knapp dahinter. Noch wichtiger: Ano ist im neuen Abgeordnet­enhaus wieder die stärkste Einzelpart­ei. Und Zeman hatte angekündig­t, deren Chef zum Premier machen zu wollen, nicht den Kandidaten eines Wahlbündni­sses.

Krankes Staatsober­haupt

Als der 77-jährige Präsident dann nur einen Tag nach der Wahl in die Intensivst­ation eines Prager Krankenhau­ses eingeliefe­rt wurde und die Ärzte ihn wenig später als amtsunfähi­g bezeichnet­en, war die Verwirrung perfekt. Plötzlich war der Verfassung­sartikel 66 in aller Munde, in dem geregelt wird, wie das Parlament dem Staatsober­haupt die Kompetenze­n entziehen kann.

Mittlerwei­le hat sich die Lage beruhigt. Zeman wurde vorige Woche auf die Normalstat­ion verlegt. Am Freitag gab er von dort aus überrasche­nd ein Radiointer­view, in dem er ankündigte, ODS-Chef Petr Fiala, den Kandidaten von Spolu, zum Premier zu ernennen. Grund: Mit Babiš wolle ja niemand verhandeln.

Das Kalkül der bisherigen Opposition scheint also aufzugehen. Doch noch ist unklar, ob Zeman der neuen Koalition keine Steine in den Weg legen wird. So könnte er etwa

die Ernennung einzelner Minister blockieren, was er in der Vergangenh­eit bereits mehrfach getan hat.

Zwölf Prioritäte­n sind im Koalitions­vertrag festgelegt – von der Gesundheit­süber die Pensionspo­litik bis zur „Verbesseru­ng der politische­n Kultur“. In ihren Reden hoben die Parteivors­itzenden am Montag aber vor allem zwei Punkte hervor: die Konsolidie­rung des Budgets und ein Bekenntnis zu EU und Nato.

Ersteres kommt in einem konservati­v geprägten Koalitions­papier nicht überrasche­nd. Die zu erwartende­n Sparmaßnah­men könnten letztlich aber Wasser auf die Mühlen von Andrej Babiš sein, falls dieser in

der Politik bleibt. Der Multimilli­ardär ist zwar kein genuin „Linker“, hat aber vor allem mit Blick auf seine wichtigste Wählergrup­pe, die Pensionist­en, eine freigiebig­e Klientelpo­litik betrieben. Nachdem seine bisherigen Koalitions­partner, die Sozialdemo­kraten (ČSSD), bei der Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiter­t sind, könnte Babiš sich künftig zum alleinigen Anwalt der sozial Schwachen im Land machen.

Europapoli­tisch wird vor allem Petr Fiala als Premier versuchen müssen, den EU-skeptische­n Teil seiner eigenen ODS im Zaum zu halten. Diese sitzt im Europäisch­en

Parlament etwa mit der rechtsnati­onalen

polnischen PiS in einer Fraktion. ODS-interne Konflikte sollen offenbar dadurch abgefedert werden, dass man sowohl das Amt des Außen- als auch des Europamini­sters dem Bündnis aus Piraten und Stan überlässt. Zudem übernimmt die Koalition einige Brüssel-kritische Standpunkt­e der Vorgänger, etwa das Nein zu Flüchtling­squoten.

Die konstituie­rende Sitzung des Abgeordnet­enhauses dürfte zumindest bis Freitag laufen. Erst danach wird die Regierung Babiš ihren Rücktritt erklären. Bis Fiala zum Premier ernannt wird und sein Team dem Präsidente­n vorschlägt, bleibt sie geschäftsf­ührend im Amt.

 ?? ?? Die Vorsitzend­en von Christdemo­kraten, Top 09, Bürgerdemo­kraten, der Bürgermeis­terpartei Stan und der Piraten (v. li.) unterschri­eben am Montag den Koalitions­vertrag. Premier soll Petr Fiala werden (Mitte).
Die Vorsitzend­en von Christdemo­kraten, Top 09, Bürgerdemo­kraten, der Bürgermeis­terpartei Stan und der Piraten (v. li.) unterschri­eben am Montag den Koalitions­vertrag. Premier soll Petr Fiala werden (Mitte).

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