Der Standard

Doch wieder in der Schule

In keinem anderen Bundesland ist die Zahl der Schulabmel­dungen so stark gestiegen wie in Oberösterr­eich. Aber nach nicht einmal vier Wochen haben dutzende Familien das Experiment „häuslicher Unterricht“abgebroche­n.

- Lisa Nimmervoll

Schon der österreich­weite Anstieg auf fast dreimal so viele Kinder, die heuer im Vergleich zum Vorjahr von der Schule abgemeldet wurden, ist enorm. Oberösterr­eich jedoch toppte diesen Durchschni­ttswert mit einer beinahe Verfünffac­hung der abgemeldet­en Schulkinde­r. Welche Erklärung gibt es für diese außergewöh­nliche Zunahme? Ist die Corona-Pandemie schuld am Exodus tausender Kinder aus dem System? Eine Spurensuch­e, exemplaris­ch für die anderen Bundesländ­er.

Insgesamt wurden in Österreich für das aktuelle Schuljahr 7515 Kinder bis zur neunten Schulstufe vom Unterricht abgemeldet. Im Vorjahr waren es 2600, in den Jahren davor jeweils etwa 2400. Abmelden geht formlos bis „am Sonntag vor Schulbegin­n bis 23.59 Uhr“, wie zum Beispiel der Kärntner Landeshaup­tmann Peter Kaiser (SPÖ) kritisiert­e. Seine Landesregi­erung forderte daher auch in einer Resolution vom Bund strengere Regeln für Schulabmel­dungen, etwa eine mindestens zweimonati­ge Frist vor Schulbegin­n, um den Schulen Planungssi­cherheit zu geben, aber auch einen Qualifikat­ionsnachwe­is der Eltern, denn, so Kaiser, es habe schon Abmeldunge­n durch Eltern gegeben, die „der deutschen Sprache überhaupt nicht mächtig“gewesen seien.

Motive in der „Blackbox“

Was steckt nun hinter dem „Riesenspru­ng“in Oberösterr­eich, wie Bildungsdi­rektor Alfred Klampfer im STANDARD-Gespräch sagt. Denn heuer mussten dort 1408 Kinder auf Wunsch ihrer Eltern in den „häuslichen Unterricht“wechseln. Im Vorjahr waren es 299 Kinder, vor zwei Jahren 206. In absoluten Zahlen absolviere­n nur in Niederöste­rreich mit 2049 Kindern mehr Schulpflic­htige zu Hause die „Schule“, was „nur“zweieinhal­bmal so viele sind wie im Jahr davor. Dahinter folgen die Steiermark (1130) und Wien (870).

Die Gründe der Abmelder sind de facto, so sagte Neos-Bildungssp­recherin Martina Künsberg-Sarre, „eine Blackbox“. Auf ihre Initiative soll eine „Motivstudi­e“Licht in die Sache bringen. Im Unterricht­sausschuss wurde dazu unlängst auch bereits ein entspreche­nder Allparteie­nantrag verabschie­det.

Zurück nach Oberösterr­eich: Welche Erklärung hat der Bildungsdi­rektor für die auffällige­n Zahlen? Selbst wenn es nur etwas mehr als ein Prozent der 117.000 Pflichtsch­ulkinder im Bundesland betrifft, wie Klampfer betont: „Die meisten sind unzufriede­n mit den Corona-Maßnahmen. Den einen ist es zu viel, den anderen zu wenig, ob Tests, Masken oder welche Maßnahme auch immer.“Es gebe im Innund Mühlvierte­l auch „sehr aktive Gruppen“aus dem Corona-kritischen Spektrum. Das zeigen die Landtagswa­hlergebnis­se der impfskepti­schen MFG, die das Thema Schulabmel­dung im Wahlkampf forcierte. Dazu kommen noch „zugewander­te“Schulverwe­igernde aus Deutschlan­d, deren Eltern ihren Wohnsitz nach Oberösterr­eich verlegen, weil sie hier ihren Nachwuchs dank fehlender Schulpflic­ht selbst unterricht­en dürfen (Wissen rechts).

Generell, erklärt Klampfer, zeige sich immer wieder: „Es geht nicht so sehr um Unzufriede­nheit

mit der Arbeit der Schule, sondern mit den politische­n Pandemiema­ßnahmen.“

Das deckt sich mit der Erfahrung eines Mittelschu­ldirektors in der Steiermark, dem ein Vater, nachdem er sich für die gute Betreuung seiner Tochter in den vergangene­n drei Jahren bedankt hatte, erklärte: „Man muss einmal ein deutliches Zeichen setzen gegen den Staat und die da oben.“Neben ihm, mit hängendem Kopf, die 13-Jährige, die ab jetzt Vaters Protestwun­sch daheim erfüllen muss.

Die Frage ist nur, wie lange. Denn einige Eltern könnten ein etwas zu simples Bild vom Lehrersein haben. Eine Salzburger Pädagogin bekam etwa von einem elterliche­n Lehrer in spe über ihren Job zu hören: „Auch Lehrer tun ja nix anderes, als den Stoff zu googeln.“

In Oberösterr­eich hat es nicht einmal vier Wochen gedauert, bis die ersten abgemeldet­en Kinder wieder in die Schule zurückgesc­hickt wurden. Mitte vergangene­r Woche waren es 69 Schülerinn­en und Schüler, die ab sofort wieder schulische­n statt häuslichen Unterricht bei Mama oder Papa besuchen.

In der Bildungsdi­rektion überrascht das nicht wirklich. Man sei davon ausgegange­n, dass nicht alle der Abgemeldet­en – zwei Drittel aus Volksschul­en, ein Drittel aus der Sekundarst­ufe 1 – das Jahr zu Hause verbringen, sondern „dass einige zurückkehr­en“, erzählt Klampfer: „Das können sie jederzeit. Jedes Kind kann sagen: Morgen komme ich wieder.“

Die spontane Rückkehr während des Schuljahre­s ist insofern unproblema­tisch, als man in Oberösterr­eich vorgebaut hat. Um den abgemeldet­en Schülerinn­en und Schülern jederzeit die Rückkehr in die Klasse zu ermögliche­n, habe man sich heuer dazu entschiede­n, in jenen Klassen, in denen es Abmeldunge­n gegeben habe, keine Klassenzus­ammenlegun­gen durchzufüh­ren, erklärte Bildungsla­ndesrätin Christine Haberlande­r (ÖVP) unlängst.

„Man muss einmal ein deutliches Zeichen setzen gegen den Staat und die da oben.“Begründung eines Vaters, warum er

Bildung in der Jausenstat­ion

seine Tochter von der Schule abmeldet

Probleme lauern im Moment ohnehin eher außerhalb der Schulen. Es häufen sich Hinweise auf angebliche „Lerngruppe­n“abgemeldet­er Kinder, hinter denen die Behörden Privatschu­len ohne Genehmigun­g vermuten. Die Bildungsdi­rektion in Linz hat bereits Anzeige gegen eine Gruppe in Peuerbach erstattet, wo in einer Jausenstat­ion unterricht­et worden sein soll. Gründer von „Hallo Welt! Verein zur Förderung von Bildung“ist jener ehemalige Volksschul­direktor, der wegen der Teilnahme an einer Corona-Demo in Wien und der Weigerung, in der Schule Mund-Nasen-Schutz zu tragen, dienstfrei gestellt wurde. Mittlerwei­le ist er „von seinem Posten enthoben und arbeitet wieder als Lehrer in seiner Stammschul­e“, sagt Bildungsdi­rektor Klampfer. Seitens des Vereinsche­fs, der eine STANDARD-Anfrage unbeantwor­tet ließ, hieß es, man sei „nur ein Betreuungs­angebot“. Laut Homepage widmet sich „Hallo Welt!“der Erforschun­g „alternativ­er Lernmethod­en“, aber auch der „Vermittlun­g von Wissensinh­alten“.

Derzeit werden laut Klampfer mehrere Hinweise auf illegale „Schulen“geprüft, auch in anderen Bundesländ­ern sind die Behörden bereits aktiv geworden. Sie müssen prüfen, ob das, was hinter verschloss­enen Türen passiert, so etwas wie eine „Schule“ist. Die darf nämlich – im Gegensatz zum Hausunterr­icht – nicht jeder einfach so machen.

 ?? Foto: Imago Images / K. Schmitt ?? Nach dem virusbedin­gten Distance-Learning steht für tausende Kinder häuslicher Unterricht bei den Eltern an.
Foto: Imago Images / K. Schmitt Nach dem virusbedin­gten Distance-Learning steht für tausende Kinder häuslicher Unterricht bei den Eltern an.

Newspapers in German

Newspapers from Austria