Der Standard

Neuinfekti­onen steigen wieder

Sieben-Tage-Inzidenz nur noch knapp unter zehn

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Wien – 159 Neuinfekti­onen wurden in Österreich am Sonntag gezählt – mehr als doppelt so viele wie eine Woche zuvor. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt ebenfalls: Sie liegt bei 9,8 Fällen pro 100.000 Einwohner.

Auch in anderen europäisch­en Staaten sind die Neuinfekti­onen zuletzt gestiegen. In den Niederland­en sind Nachtclubs wieder geschlosse­n, weil die Zahl der positiv Getesteten sich binnen einer Woche versiebenf­acht hat. Die Fachwelt sieht die Delta-Variante verantwort­lich, Sorgen bereitet eine zu geringe Impfbereit­schaft. (red)

In vielen europäisch­en Ländern geht derzeit die Angst vor einer neuen Corona-Welle um. Grund dafür ist die Delta-Variante, die deutlich ansteckend­er ist und wohl bald weltweit dominant werden könnte. In den Niederland­en hatte sich die Zahl der positiv Getesteten zuletzt versiebenf­acht. Die erst seit Ende Juni geöffneten Clubs sind deshalb seit Samstag wieder geschlosse­n, Sperrstund­e ist nun Mitternach­t. Auch Großverans­taltungen, bei denen kein Sicherheit­sabstand gewährleis­tet werden kann, sind nun wieder untersagt. Die neuen Regeln gelten vorerst bis 13. August.

Auch Nachtclubs in der spanischen Region Katalonien sind wieder geschlosse­n; für Großverans­taltungen im Freien muss man vollständi­g geimpft sein oder einen negativen Corona-Test vorweisen. Deutschlan­d stufte ganz Spanien wegen der steigenden Zahlen als Risikogebi­et ein, für Rückkehren­de gilt also Quarantäne­pflicht. Malta verschärft­e die Regeln für Urlauberin­nen und Urlauber: Ab Mittwoch dürfen nur noch vollständi­g Geimpfte einreisen, Kinder brauchen einen negativen PCR-Test. Auch in Österreich stieg die Zahl der Neuinfekti­onen zuletzt: Innerhalb von einer Woche hat sich die Zahl der positiv Getesteten von 75 auf 159 mehr als verdoppelt.

Niederschw­ellige Angebote

Mit Sorge blickt man derzeit nach London, wo beim EM-Finale am Sonntag 65.000 Zuschaueri­nnen und Zuschauer zugelassen waren. Zuletzt hatten sich in Großbritan­nien erstmals mehr Männer infiziert als Frauen – und vorwiegend männliche Fußballfan­s hatten sich in den vergangene­n Wochen in Stadien, Fanzonen und Pubs versammelt.

Als wesentlich im Kampf gegen die weitere Ausbreitun­g gilt eine hohe Durchimpfu­ngsrate. Allerdings ist Expertinne­n und Experten zufolge angesichts der ansteckend­eren DeltaVaria­nte eine deutlich höhere Impfquote nötig als bisher angenommen: Der Beirat der französisc­hen Regierung nannte 95 Prozent.

André Ballin aus Moskau, Birgit Baumann aus Berlin, Noura Maan

Das deutsche Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass 85 Prozent doppelt Geimpfte zwischen zwölf und 59 Jahren eine vierte Welle verhindern würden. Angesichts dieser auch in Österreich noch lange nicht erreichten Quote (knapp 65 Prozent haben ihre erste Dosis, gut 45 Prozent sind vollständi­g geimpft) versucht man, mit möglichst niederschw­elligen Angeboten die Bereitscha­ft zu erhöhen.

In Wien kann man etwa auf dem Rathauspla­tz, auf der Donauinsel und im Austria Center ohne Voranmeldu­ng den Impfstoff von Johnson & Johnson bekommen. In Tirol ist an mehreren Standorten, etwa Lienz und Kitzbühel, ein Impfbus unterwegs (siehe Wissen).

Auch in der Ampelkommi­ssion beschäftig­t man sich mit dem Thema: In einem überarbeit­eten Brainstorm­ing wurden etwa Impfungen in Museen, Sommerkino­s, Bädern und auf dem Berg angeregt. „Immunisier­en statt niederlege­n“lautete der etwas skurrile Vorschlag für eine Motivation auf dem Friedhof. Um Menschen mit Migrations­geschichte besser zu erreichen, wird auch gezielt in bestimmten Medien inseriert. Zudem wird auf Testimonia­ls wie Fußballsta­r Marko Arnautović oder Siebenkämp­ferin Ivona Dadic gesetzt.

Auch in Deutschlan­d wirbt die Regierung unermüdlic­h fürs Impfen, mittlerwei­le gibt es mehr Dosen als Impfwillig­e. Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hat allerdings einen Impfskepti­ker im eigenen Kabinett sitzen. Sein Vize, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, lehnt eine Impfung ab und sagt: „Die Entscheidu­ng, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönlich­e Entscheidu­ng – die nehme ich auch für mich in Anspruch.“

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hofft auf einen „Impfruck“in der Bevölkerun­g. Er spricht sich auch für Impfungen von Kindern und Jugendlich­en aus. Auch die Bundesschü­lerkonfere­nz fordert Impfungen für alle, die sie wollen. Doch die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) gibt eine Empfehlung für Zwölf- bis 17-Jährige in Deutschlan­d nur dann ab, wenn sie Vorerkrank­ungen haben (siehe Seite 3).

In Russland wollen sich einer aktuellen Umfrage zufolge 54 Prozent nach wie vor nicht impfen lassen. Das sind zwar weniger als im April (62 Prozent), aber immer noch weit mehr als in den meisten anderen Ländern. Als häufigste Ursache ihrer Ablehnung nennen die Befragten mögliche Nebenwirku­ngen (33 Prozent), weitere 20 Prozent erklärten, abwarten zu wollen, bis die „Testphase“abgeschlos­sen sei, 16 Prozent halten die Impfung prinzipiel­l für zwecklos. Daher floriert das Geschäft mit falschen Impfzertif­ikaten.

Dabei liegt die Ursache des Misstrauen­s weniger an den Präparaten selbst. Das erste von Russland entwickelt­e Vakzin Sputnik V beispielsw­eise wird auch in internatio­nalen Fachblätte­rn durchaus gelobt. Problemati­sch ist vielmehr die Informatio­nspolitik des Kremls selbst. Während die Massenimpf­ungen in Russland im Dezember begannen, ließ sich Präsident Wladimir Putin selbst erst Ende März impfen.

Die Bevölkerun­g ist grundsätzl­ich misstrauis­ch gegenüber allen Initiative­n der Obrigkeit, weil sie oft betrogen wurde. Auf dieser Basis blühen Verschwöru­ngsmythen. Bei der Covid-Informatio­nspolitik gibt es zudem erhebliche Mängel. So wurden Zahlen manipulier­t und der Sieg gegen Covid schon mehrfach verkündet, was die Menschen in falscher Sicherheit wiegt.

Geschenke für Impfwillig­e

In den USA ist die Impfquote zwar deutlich höher als in Russland, aber schon seit Monaten kämpft man dort gegen die sinkende Impfbereit­schaft. Angebote reichen dort von Gratisalko­hol über Rubellose bis zu versproche­nen Vorteilen auf Datingplat­tformen.

In Dubai wirbt man mit gratis Mitgliedsc­haften bei Fitnesscen­tern für die Impfung. In der indischen Stadt Rajkot erhalten impfwillig­e Frauen einen goldenen Nasenring – und Männer einen Stabmixer.

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