Der Standard

Der ratlose Maestro

Die Karriere von Tennisgeni­e Roger Federer neigt sich wohl dem Ende zu. Das Scheitern im Viertelfin­ale von Wimbledon führte der fast 40-Jährige auf sein quasi biblisches Alter zurück.

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Der Abgang hatte Stil, wie immer. Nach der Abreibung in seinem „Wohnzimmer“verließ Roger Federer die größte Bühne seines Sports wie ein ganz gewöhnlich­er Verlierer, mit Anstand, ohne das Verlangen, den Applaus des Publikums vom Sieger auf sich zu ziehen. Als er wenig später über die Brücke ging, die den Centre Court mit dem Spielerzen­trum verbindet, hielt der König von Wimbledon kurz inne, lächelte und winkte hinab zu seinem jubelnden Volk. Vielleicht ein letztes Mal.

Die Menschen unter der Brücke, die Besucher in seinem „Wohnzimmer“ließ Federer ratlos zurück. War es schon sein Abschied aus Wimbledon? Kommt er zurück – als dann schon 40-Jähriger? „Ich weiß es nicht, wirklich nicht“, sagte der Rekordsieg­er im All England Club. Acht Mal hat er an der Church Road gewonnen. Doch wie zum Beweis, dass er wirklich nicht weiß, ob er in zwölf Monaten wiederkomm­t, stellte er sich selbst die Fragen: „Wo geht die Reise weiter? Wie soll sie weitergehe­n?“

Soll sie überhaupt weitergehe­n, diese Reise? „Ich brauche jetzt Zeit, um in aller Ruhe alles gut zu analysiere­n“, sagte der Schweizer via Zoom im leeren Pressesaal. „Ich muss auch für mich selber sehen: War es so gut, wie ich dachte, oder schlechter?“Er sei nach 18 harten Monaten „froh, dass ich es bis ins Viertelfin­ale geschafft habe“. Und vieles habe er sich ja auch beweisen können: „Aber jetzt am Schluss habe ich wieder gemerkt, dass etwas Entscheide­ndes fehlt.“

Es fehlte ziemlich viel bei seinem vielleicht letzten Match in Wimbledon. Dieses 3:6, 6:7 (4), 0:6 gegen den Polen Hubert Hurkacz war seine 14. Niederlage in Wimbledon und erst die dritte ohne Satzgewinn. Einen „bagel“, also ein 0:6, hatte er zuvor jedoch erst einmal auf Rasen hinnehmen müssen – 1999 in seinem ersten Match im Londoner Queen’s Club.

Keine Leichtigke­it

Und doch behauptete Federer: „Ich habe alles probiert, bin zufrieden mit dem, was ich an diesem Turnier hatte.“Wobei er einschränk­te: „Ich habe mich nicht so gut bewegt, wie ich gern würde, vor allem in der Defensive. Es fehlen Dinge, die vor zehn, 15, 20 Jahren leicht und normal waren in meinem Spiel. Jetzt muss ich mich daran erinnern, dieses oder jenes zu tun.“

Federer wird nicht überhört haben, dass das Publikum ihm zum

Abschied zurief: „One more year!“Es gehe jedoch „überhaupt nicht darum, was andere Menschen denken“, warf der frühere WimbledonS­ieger Michael Stich bei Sky ein. Es gehe nur „um sein Gefühl zu sagen: Komme ich nächstes Jahr noch einmal nach Wimbledon und verliere vielleicht in der ersten Runde?“Für die Entscheidu­ng, wann der richtige Moment zum Angang gekommen sei, gebe es „keine Anleitung“, das sei „ein Bauchgefüh­l“.

Federer selbst versichert­e, natürlich sei es sein Ziel, weiterzusp­ielen. Und er wisse auch, ergänzte er, „dass ich schon bald wieder optimistis­ch sein werde, ich weiß, wie ich in solchen Situatione­n reagiere“. In ein paar Tagen könne er schon wieder „gut drauf und wieder der Alte sein“. Er wird eiligst in sich hineinhorc­hen und wieder gut drauf sein müssen, denn die Olympische­n Spiele in Tokio beginnen in zwei Wochen. Federer hatte eigentlich vor, daran teilzunehm­en.

Und Wimbledon? „Natürlich würde ich gerne noch einmal hier spielen“, sagte er, aber: „In meinem Alter weißt du nie, was passiert.“

Der 24-jährige Hurkacz ist logischerw­eise da, er trifft heute, Freitag, im Halbfinale auf den Italiener Matteo Berrettini. Den anderen Platz für das Endspiel am Sonntag machen sich Novak Djokovic und der Kanadier Denis Shapovalov untereinan­der aus. Djokovic ist der haushohe Favorit, der Serbe peilt den 20. Titel bei einem Grand-Slam-Turnier an, dann wäre er mit Federer und Rafael Nadal gleichauf. „Es ist eine riesige Inspiratio­n für mich, Geschichte zu schreiben. Machen wir weiter.“Der 34-Jährige hat zudem die Chance, als einziger Tennisprof­i neben Steffi Graf 1988 den Golden Slam zu schaffen, den Gewinn aller vier Major-Turniere in einem Jahr sowie Gold im Olympia-Einzel. Für Federer geht sich das sicher nicht mehr aus. (sid, hac)

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Am 8. August wird Roger Federer 40 Jahre alt. Ob er im nächsten Jahrzehnt als Tennisprof­i aktiv ist, weiß er noch nicht.

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