Der Standard

Bianca Jaggers Urteil über Nicaraguas Präsidente­n

Bianca Jagger, Gründerin der gleichnami­gen Stiftung und Trägerin des Right Livelihood Award, über die anstehende Wahl in Nicaragua, Polizeigew­alt und eines der schärfsten Abtreibung­sgesetze Lateinamer­ikas.

- INTERVIEW: Bert Eder

Am Donnerstag lief die Frist ab, die Nicarguas Regierung vom Interameri­kanischen Menschenre­chtsgerich­tshof zur Freilassun­g inhaftiert­er Gegner gestellt wurde. Auch Österreich­s Parlament fordert vor der Wahl im Herbst, dass diese frei und demokratis­ch ablaufen müsse.

Standard: Sie reisten 1979, wenige Tage nach dem Sturz der Somoza-Diktatur, nach Nicaragua, um die sandinisti­sche Revolution zu unterstütz­en. Wann fiel Ihnen erstmals auf, dass sich die Dinge in die falsche Richtung änderten?

Jagger: Ziemlich früh. Meine Mutter und meine Schwester merkten bald, dass Daniel Ortega die Ideale der Revolution verrät. Meine Mutter beantragte darauf Asyl in den USA. Als Ortega und die Sandiniste­n die Spitze des Unternehme­rverbandes Cosep einsperrte­n und dann gegen die indigene Bevölkerun­g vorgingen, erkannte ich, dass da etwas falsch läuft.

Standard: Wie haben Sie die Abwahl des Sandiniste­n 1990 erlebt?

Jagger: Ich war damals Wahlbeobac­hterin. Viele Nicaraguan­er klagten über die schwierige­n Lebensumst­ände, die schlechte Wirtschaft­slage und die Wehrpflich­t. Damals wurde allgemein mit einer Mehrheit für die Sandiniste­n gerechnet. Ich ersuchte Ortega also um einen Termin und erklärte ihm: „Comandante, Sie werden die Wahl verlieren.“Er sah mich an, als ob ich vollkommen verrückt sei, er und sein Umfeld waren siegessich­er. Damals wurde mir klar, dass Daniel Ortega nie bei einer Wahl antreten würde, die er zu verlieren glaubt. Deswegen hält er jetzt vor der Wahl 27 politische Gegner, darunter fünf potenziell­e Präsidents­chaftskand­idaten, als Geiseln. Darunter sind nicht nur Studenten- und Bauernführ­er, Journalist­en und Wirtschaft­svertreter, sondern auch ehemalige Kampfgenos­sen Ortegas, die es gewagt haben, von der Parteilini­e abzuweiche­n. Dora María Téllez und Hugo Torres sind Revolution­shelden, die Ortega damals aus dem Gefängnis befreit haben.

Standard: Wird Nicaragua zur Präsidente­nwahl am 7. November internatio­nale Beobachter zulassen?

Jagger: Davon ist nicht auszugehen. Wenn bis zum letzten Tag der Kandidaten­registrier­ung, dem 2. August, nicht alle politische­n Gefangenen freigelass­en werden, muss die internatio­nale Gemeinscha­ft klarmachen, dass sie eine unter solchen Umständen zustande gekommene Regierung für illegal erklärt wird.

Standard: Sie waren 2018 für Amnesty Internatio­nal in Nicaragua, als Polizei und Milizen die Studenten in der Unan-Universitä­t angegriffe­n haben, zwei wurden getötet, 45 wurden verletzt.

Jagger: Wir hatten gerade den Amnesty-Bericht „Schießen um zu töten“präsentier­t, der aufzeigt, dass Ortega Kriegswaff­en gegen die Zivilbevöl­kerung einsetzt und Scharfschü­tzen auf die Köpfe von Demonstran­ten zielen. Die Demonstrat­ion am 30. Mai, dem Muttertag, an der ich teilnahm, war eine der größten, die Nicaragua je erlebt hatte. Frauen, Kinder, alte Leute zogen durch die Hauptstadt, als die Scharfschü­tzen plötzlich das Feuer eröffneten. Die Studenten hatten sich in der Universitä­t verbarrika­diert, die dann gestürmt wurde.

Standard: Seit 2006 hat Nicaragua eines der wohl schärfsten Abtreibung­sgesetze Lateinamer­ikas, das sogar bei Gefahr für das Leben der Mutter einen Schwangers­chaftsabbr­uch untersagt. Warum hat es eine Partei, die von vielen Europäern für links gehalten wird, nach ihrem Wahlsieg im November jenes Wahljahres 2006 nicht geändert?

Jagger: Ortega war nie besonders katholisch, einer der wichtigste­n Anführer der Konterrevo­lution war Kardinal Miguel Obando y Bravo. Der Kardinal hatte, besagen Gerüchte, ein oder zwei Kinder, von denen einem eine Anklage wegen Korruption drohte. Er wandte sich also an Ortega, und über Nacht wurde der erbitterts­te Gegner des Präsidente­n zu dessen Unterstütz­er. Hier geht es nicht um links gegen rechts, sondern um Recht gegen Unrecht. Daniel Ortega ist nicht der romantisch­e Revolution­är, als den ihn viele immer noch betrachten, sondern ein brutaler Mörder, der Frauen und Kinder umbringen lässt, weil sie Freiheit und Demokratie fordern. Er hat sich mit den reichsten Familien des Landes verbündet, ihnen Steuervort­eile gewährt und neoliberal­e Praktiken eingeführt, das würde keine linke Regierung tun.

BIANCA JAGGER (76) wurde in Nicaragua geboren, studierte in Frankreich lebt in London. Sie engagierte sich für Menschenre­chte, 2004 wurde sie mit dem als „alternativ­er Nobelpreis“bekannten Right Livelihood Award ausgezeich­net. Am Mittwoch sprach sie auf Einladung von der ÖVP-Menschenre­chtssprech­erin Gudrun Kugler vor dem österreich­ischen Parlament.

 ??  ?? Bianca Jagger bei der Muttertags­demonstrat­ion in Managua, 30. April 2018. Kurz darauf eröffneten Scharfschü­tzen das Feuer auf die Menge, 19 Menschen starben, 185 wurden verletzt.
Bianca Jagger bei der Muttertags­demonstrat­ion in Managua, 30. April 2018. Kurz darauf eröffneten Scharfschü­tzen das Feuer auf die Menge, 19 Menschen starben, 185 wurden verletzt.

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