Der Standard

Machos im Blindflug

„Jesus Rolls“bringt ein Wiedersehe­n mit dem Bowling-Ass aus „The Big Lebowski“: Warum John Turturro die Figur so ans Herz gewachsen ist, bleibt in dem Ableger allerdings unklar.

- Dominik Kamalzadeh

Einen Film, der von seinen Fans so geliebt wird, dass sie auch nach Jahrzehnte­n einzelne Szenen auswendig nachsprech­en können, lässt man besser unberührt. Das ist nur einer der guten Gründe, warum Joel und Ethan Coen stets ausgeschlo­ssen haben, eine Fortsetzun­g von The Big Lebowski zu drehen. Sequels halten die USRegiebrü­der für Gift.

Doch machen wir es nicht unnötig komplizier­t: John Turturros Jesus Rolls hat mit The Big Lebowski in Wahrheit nur eine Figur gemeinsam, und zwar das puerto-ricanische Bowling-Ass Jesus Quintana. Trotz weniger Szenen hinterließ der Gockel bleibenden Eindruck. Ganz in Violett, die Zöpfe im Haarnetz aufgefange­n und die Zungenspit­ze an der Bowlingkug­el klebend, war Jesus eine dieser Figuren, die wie Salpetersä­ure auf der Haut reagieren. Vergessen konnte man ihn nie.

Das war offenbar auch bei Turturro selbst der Fall. Er sah in seiner Figur mehr als den charismati­schen

Aufschneid­er und entwickelt­e die Idee eines Spin-offs, das sich völlig neu ausrichtet: Als Vorbild diente Bertrand Bliers Les Valseuses (Die

Ausgebufft­en) von 1974, eine Komödie um zwei Rabauken, die gegen die bürgerlich­e Ordnung aufbegehre­n. Ein gewisser Gérard Depardieu wurde darin im Verein mit Patrick Dewaere zum Star. Den Coen-Brüdern hat dieses nicht gerade naheliegen­de „Remake“offenbar gefallen, sie gaben Turturro grünes Licht.

Stars ohne Ende

Das Ergebnis ist zumindest skurril. Und zwar vielleicht gerade deshalb, weil der Italoameri­kaner bis zum Ende nicht wirklich plausibel macht, warum es diesen Film gebraucht hat. Seine Überzeugun­gskraft – oder waren es Freundscha­ftsdienste? – muss enorm gewesen sein. Denn Turturro vermochte Großkalibe­r wie Susan Sarandon und Christophe­r Walken genauso zur Mitarbeit zu bewegen wie die einstige „Amelie“, Audrey TauZeit tou oder Saturday Night-Star Pete Davidson. Eine bunte Bande, die den Eklektizis­mus der Unternehmu­ng noch zusätzlich unterstrei­cht.

Einer der schönsten Momente, der zugleich die abstruse Logik der Handlung deutlich macht, kommt mit Sarandon, die als „767“ihr halbes Leben im Gefängnis verbracht hat. Sie wird von Jesus und seinem Buddy Petey (Bobby Cannavale) zum Lunch ausgeführt, wo der kalauernde Tonfall des Films plötzlich einen Dreh ins Existenzie­lle erhält. Wie Sarandon das Geschenk genießt, etwas vom Geschmack des Lebens zurück zu haben und dann die Kellnerin auffordert, ihre monatliche Blutungen zu würdigen (bei ihr setzte die Regel im Knast aus), das vereint Pathos mit absurdem Humor. Turturro wirkt in dieser Szene wie der geistige Bruder von Regieexzen­triker Quentin Dupieux. Anders als das Duo aus Les Valseuses sind Jesus und Petey selbst nicht mehr ganz so taufrisch. Ihr genitalfix­ierter Machismo wirkt aus der

gefallen, richtig zu Bewusstsei­n gekommen ist ihnen dies jedoch nicht. Turturro schickt die beiden auf eine Erweckungs­tour im Stil eines losen Road-Movies, bei der die überschüss­igen sexuellen Fantasien immer wieder hart ausgebrems­t werden. Die Herren sind in Wahrheit nur im Reden gut. Das zeigt sich auch beim dritten Rad am Wagen, Kindfrau Marie (Tautou), die noch nie einen Orgasmus hatte.

Man muss das nicht lustig finden, bisweilen hat es den Eindruck,

Jesus Rolls legt es auch gar nicht so sehr darauf an. Nicht wenige Szenen verlaufen pointentec­hnisch wie die Sexualakte im Film. Turturro zugutehalt­en kann man jedoch, dass er nie den Ausweg über die Ironie sucht. Er schätzt seine Figuren wirklich, jede einzelne ihrer Macken. Kurz glaubt man sogar, diese entflohene­n Nebenfigur­en hätten gemeinsam eine Chance. Aber dafür müssten sie ein bisschen weiterdenk­en als bis zur nächsten Erektion. Auf Amazon und als DVD/BluRay

 ??  ?? So kennen wir Jesus, immer mit der Zunge an der Bowlingkug­el: In „Jesus Rolls“spielt das Wettkegeln aber kaum eine Rolle.
So kennen wir Jesus, immer mit der Zunge an der Bowlingkug­el: In „Jesus Rolls“spielt das Wettkegeln aber kaum eine Rolle.

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