Extremisten in der Echokammer
Alternative soziale Netzwerke werden immer beliebter, die Nutzerzahlen explodieren. Dadurch schrumpft die technische Distanz zwischen Corona-Leugnern und Rechtsextremen.
Donald Trump, „Querdenker“und QAnon-Verschwörer: Diese Personen eint, dass sie in den letzten Wochen verstärkt im Rahmen des sogenannten Deplatformings ihre Onlinepräsenz verloren haben. Denn Gewaltaufrufe und die Verbreitung gefährlicher Falschinformationen über die Corona-Pandemie führten zu tausenden Kontosperren. Konservative, Rechte und Verschwörungserzähler könnten dadurch weiter in die Tiefen von Alternativdiensten wie Telegram getrieben werden. Dadurch schrumpft die technische Distanz zwischen CoronaLeugnern, QAnon-Anhängern und Rechtsextremen, was die Frage aufwirft: Wie wirksam ist Deplatforming?
Vor allem nach der Löschung Trumps von quasi allen etablierten Onlineplattformen wurde heiß diskutiert, ob Twitter, Facebook und Google zu viel Macht haben. Die Konzerne beriefen sich unterdessen auf die unzähligen Verstöße gegen mehrere klar ausformulierte Nutzungsbedingungen, die die Entfernung eines Nutzers erlauben. Ganz so einfach ist die Sachlage allerdings nicht.
„In Bezug auf Trump geht es dabei weniger um die rechtlichen Fragen, das ist eine politische Diskussion“, erklärt der Extremismusforscher Jakob Guhl im STANDARDGespräch: „In gewisser Weise müssen die Plattformen aber signalisieren: Wir haben diese Regeln, und wir setzen sie durch.“Das Problem, betont Guhl, liege in der Intransparenz der Moderationsentscheidungen: „Es ist oft nicht klar, worauf sie beruhen.“Von Sperren betroffene Personen müssten aber erfahren, was ihnen konkret vorgeworfen wird, damit sie sich beschweren können.
Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsprozesse könnte der Digital Services Act (DSA) der EU beitragen. Denn das derzeit in Verhandlung befindliche Gesetzespaket soll gerade Themen wie verstärkte Transparenz in Bezug auf Moderationsentscheidungen, Beschwerdeprozesse, Algorithmen und deren Funktionsweisen neu regulieren. Bis dieses in Kraft tritt, könnten allerdings noch mehrere Jahre vergehen.
„Telegram ist nicht Tiktok“
Einer der relevantesten Nebeneffekte des Deplatformings ist zudem das konstante Erstarken alternativer Plattformen wie Telegram, Gab und bis vor kurzem noch Parler, bei denen es sich inzwischen um die wahrscheinlich wichtigsten Anlaufstellen für Verschwörungserzähler und Extremisten handelt. Eine Abwanderung, die auch Radikalisierungsprozesse beeinflusst, da bekannte Szenepersönlichkeiten in eine Halböffentlichkeit gehoben und dadurch deutlich in ihrer Reichweite
Mickey Manakas
und ihrem Einfluss eingeschränkt werden. Zwar ziehe der engste Kern bei einer Löschung von Facebook mit zu den Alternativen: „Aber die wenigsten sind den ganzen Tag damit beschäftigt, online irgendwelchen rechtsextremen Influencern zu folgen.“Das hat zwei Effekte: Erstens ist die Reichweite und deshalb auch die Fähigkeit eingeschränkt, Inhalte zu normalisieren. Zweitens entstehen dadurch ideologisch homogene Echokammern. Wenn sich Personen nur noch in Räumen aufhalten, in denen über die Islamisierung und den großen Austausch fabuliert wird, kann das Radikalisierungsprozesse sogar beschleunigen. „Dennoch macht es einen Unterschied, ob ein Martin Sellner seine rechtsextremen Ideologien auf Tiktok veröffentlicht oder auf Telegram“, betont der Forscher.
Gerade letzterer Messenger kann seit Anfang des Jahres einen großen Nutzerzuwachs verzeichnen. Denn immer mehr „Querdenker“wandern nach Löschungen auf Facebook zu Telegram, um sich dort zu organisieren und zu mobilisieren. „Inzwischen sind von Rechtsextremen und Verschwörern betriebene Gruppen um ein Vielfaches größer als noch im Februar 2020“, gibt Guhl zu bedenken. Außerdem berge der Aufbau der öffentlichen Telegram-Kanäle die große Gefahr, dass sich rechtsextreme und verschwörungsideologische Inhalte überschneiden. Diese regen Nutzer nämlich zum Teilen von Inhalten zwischen Kanälen an. Folgt man also einer Gruppe, kann es schnell sein, dass man sehr viel extremere Inhalte vorgesetzt bekommt. „Dadurch ist die technische Distanz zwischen Impfgegnern, Corona-Skeptikern, QAnonAnhängern bis hin zu Rechtsextremen und Neonazis plötzlich sehr gering“, gibt Guhl zu bedenken. Aufgrund des steigenden Interesses an Verschwörungserzählungen haben aber vor allem auch rechtsextreme Akteure ein potenziell viel größeres Publikum vor sich, das sie durch Deplatforming eigentlich schon einmal verloren hatten.
Moderationsbemühungen sucht man bei Telegram unterdessen vergeblich. Da der Dienst in Österreich und Deutschland als Messenger und nicht als Plattform gilt, gibt es zudem keine Gesetze, die einen härteren Durchgriff erlauben würden. Das Problem dabei: Telegram ist nicht ausschließlich Messenger, viel eher handelt es sich um einen Hybriden. Denn abgesehen von der Nachrichtenfunktion gibt es öffentliche Kanäle, die sich vom Grundprinzip eigentlich nur auf technischer Ebene von einem Youtube-Kanal unterscheiden.
Auf eigene Faust ging Telegram zudem fast nie auf gemeldete Fälle ein, Sperren und Löschungen sind meist Fehlanzeige. Nur vereinzelt gehen die Betreiber gegen Rechtsextremismus vor, zuletzt nach dem Sturm auf das US-Kapitol. Warum es dazu kam, weiß man allerdings nicht. Man könne nur spekulieren, ob es womöglich Druck von großen Techfirmen gab, sagt der Extremismusforscher. Denn Amazon, Google und Microsoft kontrollieren zu dritt fast die Cloud-HostingInfrastruktur, die für den Betrieb einer Website notwendig ist. Und wie man an Parler sieht, macht Big Tech unter Umständen schnellen Prozess: Seit dem kollektiven Rausschmiss durch Apple, Google und Amazon ist der Dienst online nicht mehr erreichbar.
Plötzliche Bemühungen
Telegram begründet sein neues Vorgehen mit Regeln gegen die Bewerbung von Gewalt. In der Vergangenheit gab es aber immer wieder Forschungsberichte zu rechtsextremen und rechtsterroristischen Kanälen. Dass zuvor nichts passiert ist, „lag also nicht an einer Informationslücke. Dennoch wurden nur ganz vereinzelt Kanäle entfernt“, sagt Guhl.
Ein Rückblick auf die Entwicklungen der letzten fünf Jahre macht jedoch trotzdem eine positive Entwicklung deutlich. Denn Deplatforming wird inzwischen auf viel mehr Bereiche angewandt, als es noch damals der Fall war. Wirklich neu ist seit Anfang des Jahres die Tatsache, dass mit Trump erstmals ein amtierendes Staatsoberhaupt von fast allen Mainstream-Plattformen rausgeworfen wurde. Eine Moderationsentscheidung, die transparenter hätte erfolgen sollen.
Gleichzeitig, so Jakob Guhl, darf Deplatforming nicht als Allheilmittel des Extremismusproblems auf sozialen Medien gesehen werden: „Es braucht darüber hinaus Diskussionen darüber, wie es dort überhaupt zu so viel Hass, Extremismus und Verschwörungstheorien kommt. Dafür braucht es mehr Transparenz bezüglich der Algorithmen großer Plattformen.“Was auf Alternativdiensten wie Telegram passiere, müsse zudem weiterhin genau beobachtet werden. „Aber vielleicht ist es gar nicht der schlimmste Zustand, dass viele dieser Akteure sich in einem Zwischenbereich aufhalten“, sagt Guhl: „Alternative Plattformen sind noch nicht das Darknet. Sie sind nicht völlig unzugänglich. Aber es ist auch nicht mehr der Mainstream.“Es handelt sich vielmehr um beobachtbare Orte mit begrenztem Einfluss. Zumindest derzeit.