Der Standard

Wenig Lust auf Qualifizie­rung

Fast eine Million Menschen sind in Kurzarbeit oder arbeitslos, das AMS fördert diverse Weiterbild­ungen und Qualifizie­rungsmaßna­hmen. Das Interesse ist bisher beschränkt. Wird sich das noch ändern?

- András Szigetvari

Die Idee klingt gut. Vor allem für Menschen, die für viele Monate in Kurzarbeit geschickt und dabei gar nicht oder nur sehr wenig von ihrem Arbeitgebe­r beschäftig­t werden, machen Fortbildun­gen einen Sinn.

Die Wirtschaft­skammer hatte deshalb bei der Verlängeru­ng der Kurzarbeit in der dritten Phase ab Oktober 2020 sogar auf eine Weiterbild­ungspflich­t für Dienstnehm­er gedrängt. Geworden ist es ein sozialpart­nerschaftl­icher Kompromiss: Wer in der Kurzarbeit vom Dienstgebe­r ein Angebot bekommt, muss seither an Fortbildun­gen teilnehmen. Das AMS übernimmt 60 Prozent der anfallende­n Sach- und Personalko­sten beim Betrieb.

Das Interesse an solchen Angeboten war bisher verschwind­end gering. Wie eine Anfragebea­ntwortung von Arbeitsmin­ister Martin Kocher an den Neos-Abgeordnet­en Gerald Loacker im Nationalra­t ergab, haben seit dem 1. Oktober gerade 844 Personen eine Schulungsk­ostenbeihi­lfe vom AMS in der Kurzarbeit gewährt bekommen. Das AMS hat etwas höhere Zahlen und spricht von bisher 3250 Weiterbild­ungsteilna­hmen. Angesichts von

aktuell 433.00 Menschen in Kurzarbeit ist das aber nur ein Anteil im Promillebe­reich. Daran knüpfen sich gleich mehrere Fragen: Woran liegt das, wer ist verantwort­lich dafür, und ist es überhaupt ein Problem?

AMS-Chef Johannes Kopf ortet auf Basis von Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit vor allem bei Betrieben wenig Interesse daran, in der Kurzarbeit Fortbildun­gen anzubieten. So sei das schon während der Wirtschaft­skrise 2009 gewesen.

Die Krise zieht vorbei

Trotz intensiver Bemühungen von AMS und Gewerkscha­ften, nutzten damals nur zehn Prozent der Beschäftig­ten geförderte Weiterbild­ungsangebo­te in Kurzarbeit. Aus Rückmeldun­gen von Unternehme­n ergab sich, dass die Planung von Schulungen lange Vorlaufzei­ten beanspruch­t und viele Betriebe nichts anbieten, weil sie glauben, die Krise gehe schneller vorbei. Firmen gaben auch an, dass ihre Mitarbeite­r schon ausreichen­d qualifizie­rt seien.

AMS-Chef Kopf sagt zudem, dass viele Betriebe fürchten, ihre Flexibilit­ät zu verlieren: Wer längere Bildungsan­gebote macht, kann seine Mitarbeite­r, wenn er sie doch plötzkräft­en

lich braucht, nichts sofort einsetzen. Er spricht aber auch davon, dass viele Arbeitnehm­er nicht motiviert sind, die Ausfallzei­t zu nutzen, um etwas zu lernen.

Das führt zur nächsten Frage: Gibt es überhaupt ein Problem? Sofern die Wirtschaft bald anspringt, die Kurzarbeit für viele Betroffene endet, warum nicht einfach allen die zusätzlich­e Freizeit gönnen?

Neos-Abgeordnet­er Loacker sagt dazu, dass viele der Jobs nicht wiederkomm­en werden oder wenn, dann komplett verändert. Kurzarbeit nicht für Qualifizie­rung zu nutzen schade der Wirtschaft, weil Ressourcen weiterhin brachliege­n. Sein Beispiel: eine Angestellt­e im Kleiderges­chäft, die künftig weniger vor Ort beraten muss, sich dafür aber mit dem Onlineverk­auf auskennen sollte. Hier wären zusätzlich­e Ausbildung­en extrem förderlich, das AMS sollte eine aktivere Rolle übernehmen. Loacker: „Die Regierung behauptet, dass eine Qualifizie­rungsoffen­sive stattfinde­t. Das passiert bisher nicht.“

Anna Daimler von der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Vida spricht von einer „vertanen Chance“. Gerade im Tourismus wurde immer nach Fach„geschrien“, jetzt hätten Betriebe die Chance gehabt, welche auszubilde­n.

Bei der Wirtschaft­skammer will man die Idee noch nicht verloren geben. Die Tatsache, dass viele Ausbildung­en nicht via E-Learning angeboten werden können und im Lockdown vor Ort oft nicht gearbeitet werden kann, habe sich negativ ausgewirkt. Die Bildungsan­gebote seien zudem zu wenig bekannt gewesen, das versuche man zu ändern.

Luft nach oben gibt es auch bei Fortbildun­gsangebote­n des AMS an Arbeitslos­e. Seit dem 1. Oktober wird auf Basis einer türkis-grünen Initiative an alle Arbeitslos­en, die eine mindestens viermonati­ge Weiterbild­ung via AMS starten, ein Bildungsbo­nus von 120 Euro im Monat ausbezahlt. Das ist Teil der Joboffensi­ve der Regierung. 8800 Menschen haben den Bonus bisher beanspruch­t. Das ist einerseits viel, diese Menschen beginnen ja komplett etwas Neues. Anderersei­ts gibt es aktuell 530.000 Arbeitslos­e.

AMS-Chef Kopf sagt, dass die Zahlen weiter steigen werden. Derzeit erfolge die Ausbildung­sberatung oft telefonisc­h, da sei Motivation­sarbeit oft schwierige­r.

 ??  ?? Weniger als 4000 Menschen nahmen bisher in der Kurzarbeit Qualifizie­rungsangeb­ote an. Foto: Imago
Weniger als 4000 Menschen nahmen bisher in der Kurzarbeit Qualifizie­rungsangeb­ote an. Foto: Imago

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