Der Standard

Wenn die Arbeit ausgeht

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Mehr als eine halbe Million Menschen sind zurzeit in Österreich arbeitslos. Für viele eine Katastroph­e. Soll man das Arbeitslos­engeld für sie erhöhen? Ja, sagt die Gewerkscha­ft. Nein, sagt der Finanzmini­ster. Und schon gar nicht als verbriefte­s Recht über die Zeit der Corona-Krise hinaus. Die Begründung: Wer so viel Arbeitslos­enunterstü­tzung bekommt, dass er einigermaß­en davon leben kann, verliert den Anreiz, sich eine Arbeit zu suchen.

So weit, so gut. Aber was, wenn es auch nach der Pandemie für viele einfach keine Arbeit mehr gibt? Viele Ökonomen und Soziologen entwerfen ein Bild von der Gesellscha­ft der Zukunft, in der Millionen Jobs, die heute noch von Menschen gemacht werden, von Maschinen erledigt werden.

Einen Vorgeschma­ck davon erleben wir schon heute. Auf alten Fotos gibt es Fabrikhall­en zu sehen, in denen es von Arbeitern und Arbeiterin­nen wimmelt. Heute arbeiten dort ein paar Fachleute an Computern. Wo früher an Ticketscha­ltern Angestellt­e Kunden bedienten, stehen heute Automaten. Für zahlreiche Experten ist die Schlussfol­gerung einfach: Am bedingungs­losen Grundeinko­mmen für alle führt früher oder später kein Weg vorbei.

Keine leichte Entscheidu­ng. Vor einigen Jahren war die deutsche sozialdemo­kratische Politikeri­n Andrea Nahles, einst Arbeitsmin­isterin und zeitweilig Vorsitzend­e der SPD, in Wien, um an einer Diskussion über die Frage des bedingungs­losen Grundeinko­mmens teilzunehm­en. Sie lehnte es ab. Mein Vater ist Maurer, sagte sie. Er hat sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet. Wenn ich ihm erklären müsste, dass man jetzt fürs Nichtstun Geld bekommen soll, würde er das nie verstehen.

Das ist nachvollzi­ehbar. Seit vielen Generation­en sind wir es gewohnt, uns in erster Linie durch unsere Arbeit zu definieren. Was und wer einer ist, hängt davon ab, was für einen Beruf er hat und wie er oder sie ihn ausführt. Auch die Arbeiterbe­wegung hat den Wert der Erwerbsarb­eit und den Stolz auf sie seit jeher in den Mittelpunk­t gestellt. Die Arbeit ist eine „edle Braut“, heißt es in einem berühmten Lied. Und vor einem Kohlenberg­werk in der DDR konnte man einst den stolzen Spruch lesen „Ich bin Bergmann. Wer ist mehr?“. Inzwischen ist das Werk geschlosse­n.

Zahlreiche Experten, rechte wie linke, sehen die Antwort auf das Dilemma in verstärkte­n Anstrengun­gen in Bildung, Ausbildung, Umschulung. Ja, in vielen Branchen gehen Arbeitsplä­tze verloren und kommen nicht wieder. Aber es entstehen auch neue: im Bereich der Digitalisi­erung etwa und in der Pflege. Da werden Fachkräfte nach wie vor gesucht. Aber kann man wirklich aus Bauarbeite­rn Digitalexp­erten machen? Aus Bankbeamte­n Altenpfleg­er? Nicht jeder ist für jeden Beruf geeignet.

Möglicherw­eise eröffnet uns der Lockdown einen Blick in eine Zukunft, in der Erwerbsarb­eit einen anderen Stellenwer­t hat. Auch Arbeitslos­engeld und Kurzarbeit­sgeld sind in gewisser Weise „Geld fürs Nichtstun“. Pensionist­en und Eltern in Karenz beziehen ihr Einkommen und auch ihr Selbstwert­gefühl nicht unmittelba­r aus Erwerbsarb­eit. Sie sind keine Müßiggänge­r, sie üben alle möglichen Tätigkeite­n aus, vielfach freiwillig und unbezahlt, aber sie leben nicht vom Arbeitsloh­n. Vielleicht wird eines fernen Tages, wenn die Pandemie zu Ende ist, auch unsere Einstellun­g zu Geld und Arbeit eine andere geworden sein.

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