Andy Jassy, der neue Amazon-Prime
Amazon-Chef Jeff Bezos hat überraschend seinen Rücktritt bekanntgegeben. Der Konzern dürfte es verschmerzen, auch wenn der politische Gegenwind zunimmt. Von den Techgiganten bleibt nur noch Facebook in Gründerhänden.
Die Nachricht kam überraschend, und sie schlug sofort große Wellen. Am Dienstag gab Amazon-Gründer Jeff Bezos bekannt, dass er nach 27 Jahren den Platz an der Sonne räumt. Die Nachfolge tritt Andy Jassy an, ein Amazon-Veteran und der bisherige Leiter der Cloud-Sparte Amazon Web Services. Unter Bezos’ Leitung wurde Amazon vom Bücherversandhändler zu einem der mächtigsten und höchstbewerteten Konzerne der Wirtschaftsgeschichte.
1,3 Millionen Menschen sind bei dem Konzern beschäftigt, rund 400.000 davon wurden 2020 eingestellt. Für den 57-Jährigen selbst rentiert sich das Geschäft freilich auch. Mit einem momentanen Vermögen von rund 188 Milliarden Dollar ist Bezos der zweitreichste Mann der Welt, Elon Musk überholte ihn kürzlich. Ganz los lässt er nicht, vom Vorstandsvorsitz zieht er sich auf den Verwaltungsratsvorsitz zurück.
Sie werden gern als die „Big Five“bezeichnet, gemeint sind Microsoft, Google, Amazon, Facebook und Apple. Bezos’ Rückzug bedeutet, dass nur noch einer der Konzerne von ihrem Gründer geführt wird, und zwar Facebook von Mark Zuckerberg – sein Rücktritt ist jedoch momentan mehr als unwahrscheinlich. Wie die Geschichte zeigt, ist es den anderen auch ohne Gründer gut ergangen. Und auch Investoren haben gelernt, damit umzugehen, wenn Konzerngründer die Zügel abgeben.
Es geht auch ohne
Das könnte daran liegen, dass die Gründer mit Ideen, Durchhaltevermögen und Geschäftspraktiken die Firmen so weit gebracht haben, dass es keine Rolle mehr spielt, wer die Zügel hält. Oder daran, dass diese Konzerne eine Dimension erreicht haben, die von einer Person ohnehin nicht kontrolliert werden kann. Vermutlich ist es eine Mischung.
Konzerne wie Amazon haben sich zu unternehmerischen Selbstläufern entwickelt, der Erfolg hängt also nicht mehr von einer schillernden Gründerfigur ab. Es bietet sich also an, das Tagesgeschäft anderen zu überlassen und sich neuen Visionen zu widmen.
Die Gründe, warum sich Konzerngründer zurückziehen, sind vielseitig, große Aufmerksamkeit erregen sie allesamt. Steve Jobs trat krankheitsbedingt von Apple zurück und übergab die Leitung an Tim Cook. Ein paar Monate später starb Jobs.
Bill Gates zog sich im Jahr 2000 als Microsoft-CEO zurück, überließ das Ruder Steve Ballmer und blieb Aufsichtsratsvorsitzender und Chefentwickler. Ab 2008 widmete er sich vermehrt seiner Stiftung und blieb bis 2014 Aufsichtsratsvorsitzender. Zuletzt verabschiedeten sich 2019 Google-Gründerväter Larry Page und Sergey Brin. Übrig ist also nur noch der 36-jährige Zuckerberg.
Bezos wandte sich in einem Brief an seine Belegschaft. Darin schrieb er, er wolle sich nicht zur Ruhe setzen, er habe „nie mehr Energie gehabt“. Die Aufgabe als Geschäftsführer von Amazon bringe „große Verantwortung, und die ist aufreibend“.
Weltraum und Spenden
In seiner künftigen Rolle als Verwaltungsratschef wolle er seine Energie auf neue Produkte und Initiativen ausrichten. Außerdem gewinne er mehr Zeit für andere Projekte wie seine Stiftungen, seine Raumfahrtfirma, den Space-X-Konkurrenten Blue Origin, oder die Zeitung Washington Post, die in seinem Privatbesitz ist.
Bezos könnte es handhaben wie Bill Gates. Der gab vor mehr als 20 Jahren die Leitung ab und machte sich als globaler Wohltäter mit seiner Stiftung einen Namen.
Jeff Bezos überlässt Andy Jassy den Chefsessel in einer Zeit, in der der Gegenwind für Techkonzerne zunimmt. Ein Ausschuss im US-Repräsentantenhaus urteilte vergangenes Jahr, dass Amazon seine Vormachtstellung missbrauche. Der Bericht brachte eine Zerschlagung dominierender Plattformen ins Spiel.
Der mächtigste Feind von Bezos saß bis vor kurzem im Weißen Haus: Ex-US-Präsident Donald Trump und Bezos verband eine erbitterte Dauerfehde. Als Hauptgrund galt indes weniger das Geschäftliche, sondern vor allem Trumps Abneigung gegenüber der Washington Post, die häufig kritisch über ihn berichtet.
In Europa untersucht die EUKommission seit langem Amazons Doppelrolle als Händler und Marktplatzanbieter und droht mit kartellrechtlichen Schritten. Überdies kommt es auf der ganzen Welt regelmäßig zu großen Protesten wegen der Arbeitsbedingungen bei Amazon.
Viele Leute können wohl nicht behaupten, ihrem Chef mit einem Kajakpaddel schon einmal eins über den Kopf gezogen zu haben. Andy
Jassy hat in seinen Anfangstagen bei Amazon genau das dem Firmengründer Jeff Bezos angetan.
Es war 1997. Amazon war eine junge Firma. Eine Besprechung endete mit einer Partie „Broomball“. Das ist ein hockeyähnliches Spiel, bei dem man einen Ball mit einer
Art Besen führt – oder behelfsmäßig mit einem Kajakpaddel. Der frisch eingestellte Jassy zog im Eifer des Gefechts seinem Chef eins über den Kopf.
Das sollte seiner Karriere aber nicht schaden. 24 Jahre später wird er Bezos’ Nachfolger als Amazon-CEO. Bisher leitete Jassy Amazon Web Services (AWS). Diese Cloud-Abteilung und nicht – wie man meinen möchte – der Onlinehandel ist der wahre Profittreiber von Amazon. Die Plattform brachte zuletzt zwei Drittel des operativen Konzerngewinns ein.
Der heute 53-jährige Jassy gründete AWS im Jahr 2006; der damalige Verwaltungsrat fürchtete ein Millionengrab, man sah das Potenzial nicht. Zudem war Jassy kein Techniker, sondern Absolvent der Harvard Business School. Seine Vision, Speicher und Rechenleistung kostengünstig übers Netz bereitzustellen, ging allerdings auf. AWS stellt heute ein Drittel der globalen Datenspeicherkapazität zur Verfügung.
Als Amazon-Veteran erlebte er aber auch andere Zeiten. Eine seiner ersten großen Aufgaben war es, das Sortiment der ursprünglichen Verkaufsplattform für Bücher um Musik-CDs auszuweiten.
Eine große Überraschung ist diese Personalentscheidung nicht. Nachdem sich der Leiter des Konsumgeschäfts, Jeff Wilke, im Sommer in den Ruhestand verabschiedet hatte, wurde Jassy als wahrscheinlichster Bezos-Nachfolger gehandelt. Aber einen so frühen Wechsel erwartete niemand.
Jassy hält sich im tief gespaltenen Amerika mit seinen politischen Ansichten nicht zurück. Er macht sich für die Gleichstellung sexueller Minderheiten stark und fordert Konsequenzen für den Tod der schwarzen Amerikanerin Breonna Taylor bei einem Polizeieinsatz. Kritisiert wurde Jassy dafür, dass Amazon den Behörden die Gesichtserkennungssoftware Rekognition liefert – was er verteidigt.
Jassy wuchs in einer Kleinstadt im Bundesstaat New York auf, er ist verheiratet und zweifacher Vater. Seine Liebe zum Sport äußert sich auch darin, dass er am Eishockeyteam Seattle Kraken beteiligt ist. Andreas Danzer