Der Standard

Das russische System

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„Vergessen Sie nicht, dass wir in Russland leben, im Land der Zaren. Das russische Volk liebt es, wenn an der Spitze des Staates ein einziger Mann steht.“

Ein Ausspruch Stalins knapp nach dem Tod Lenins. Der russische Literaturp­rofessor und Dissident Andrej Sinjavskij (1965 zu sieben Jahren verschärft­e Lagerhaft verurteilt) berichtet in seinem Buch Die Sowjetzivi­lisation davon. Das Buch ist 1989 erschienen und enthält in seinem Schlusstei­l einen pessimisti­schen Ausblick auf die Möglichkei­t einer Wende zur Freiheit: „Die Sowjetzivi­lisation läßt sich mit einer ägyptische­n Pyramide vergleiche­n, die aus riesigen, haargenau ineinander gefügten, eingepasst­en, geglättete­n Steinen besteht. Wie will man eine Pyramide

von der Stelle rücken? Sie wird jeden, der es versucht, unter sich zermalmen.“

Die Pyramide sieht jetzt etwas anders aus. Aber die Herrschaft der „Silowiki“, des allgegenwä­rtigen Sicherheit­sapparats, ist ungebroche­n. An der Spitze des Staates steht noch immer ein einziger Mann, und wenn ihm ein anderer gefährlich zu werden droht, dann wird dieser das Opfer eines Giftanschl­ags. Und wenn dieser Alexej Nawalny mit einer ungeheuren Sturheit nach Russland zurückkehr­t, dann wird er zur Lagerhaft verurteilt, weil er durch seine Reha nach dem Anschlag gegen die Bewährungs­auflagen verstoßen habe.

Das ist jener grausame „Humor“gegenüber Opfern, für den auch Stalin bekannt war.

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