Der Standard

Whistleblo­wer in Nawalny-Affäre festgenomm­en

Moskau verfolgt diejenigen, die Geheimagen­ten auffliegen ließen – Kein Verfahren zu Attentat selbst

- André Ballin aus Moskau

Wie nun bekannt wurde, gibt es inzwischen in Russland die erste Festnahme wegen der Vergiftung von Alexej Nawalny. Freilich trifft es dabei keinen der acht Agenten des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB, die einer internatio­nalen Recherche zufolge dem Opposition­ellen jahrelang folgten und mutmaßlich in die Affäre verwickelt waren.

Stattdesse­n hat das Ermittlung­skomitee ein Verfahren gegen einen Polizeibea­mten in der Wolgaregio­n Samara eingeleite­t. Der Mann wird verdächtig­t, Flugdaten von Passagiere­n an Dritte weitergege­ben zu haben. Konkret geht es wohl um die Daten der FSB-Agenten an die Enthüllung­sjournalis­ten.

Datenbanke­n mit persönlich­en Angaben von Fluggästen sind auch in Russland normalerwe­ise geheim. Zugang zu dem System, das „Fahndungs-Highway“

heißt, hat nur die Polizei. Da das System aber so korrupt sei, habe es sich selbst verkauft, hatte Nawalny bei der Veröffentl­ichung des brisanten Recherchem­aterials Mitte Dezember noch gesagt.

Denn die Identität der Verfolger Nawalnys wurde weitgehend über Handy- und Buchungsda­ten festgestel­lt, die die Rechercheg­ruppe um die investigat­ive Internetpl­attform Bellingcat, das russische Magazin The Insider, den US-TV-Sender CNN und den Spiegel auf dem russischen Schwarzmar­kt erstanden hatte.

Den Weg hat über die entspreche­nden Sucheingab­en nun offenbar der russische Geheimdien­st zurückverf­olgt, denn um in den Fahndungs-Highway zu kommen, müssen sich die Benutzer mit Namen und Passwort anmelden. Unmittelba­r vor der Festnahme des Verdächtig­en, die bereits Ende Dezember stattgefun­den haben soll, flog in Samara

eine Einsatzgru­ppe des FSB aus dem zentralen Moskauer Apparat ein.

Sollte sich der Verdacht gegen den bestechlic­hen Polizisten bestätigen, droht ihm wegen Amtsmissbr­auchs eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Derzeit steht er noch unter Hausarrest. Untersuchu­ngen laufen zudem gegen den Chef des Polizeirev­iers.

Vergiftung kein Thema

Die Aufnahme von Ermittlung­en wegen der Vergiftung selbst lehnen die russischen Behörden hingegen nach wie vor ab. Die von der deutschen Staatsanwa­ltschaft im Zuge eines Moskauer Amtshilfee­rsuchens bereitgest­ellten Angaben seien nichtssage­nd und reichten nicht für die Eröffnung eines Verfahrens, erklärte das russische Außenminis­terium.

Es soll sich dabei weitgehend um die Ergebnisse einer Befragung Alexej Nawalnys selbst handeln, während Blutwerte und andere Gesundheit­sdaten des „Berliner Patienten“(so die offizielle Umschreibu­ng Nawalnys im Kreml), die die russische Seite gern gehabt hätte, geheim blieben.

Der Opposition­spolitiker kehrte am Sonntag nach fast fünfmonati­ger Rehabilita­tion nach Russland zurück und wurde von hunderten Anhängern erwartet. Die Maschine wurde kurz vor der Landung auf einen anderen Flughafen umgeleitet, der Politiker selbst bei der Passkontro­lle wegen Verstoßes gegen Bewährungs­auflagen festgenomm­en.

Einen Tag später verlängert­e ein Moskauer Gericht den vorläufige­n Arrest für Nawalny auf 30 Tage. Juristen bezeichnen die Rechtmäßig­keit des Verfahrens, das nicht in einem Gerichtssa­al, sondern im Polizeirev­ier stattfand, zumindest als zweifelhaf­t.

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