Der Standard

Die neuen „Normstudie­renden“

Eine geplante Novelle des Universitä­tsgesetzes sorgt für Unmut. Die Schwelle von 16 ECTS-Punkten pro Semester trifft erwerbstät­ige Studierend­e besonders hart. Letztlich hat sie auch Einfluss auf den Zugang zu Universitä­ten. In Pandemieze­iten ist organisie

- Markus Tumeltsham­mer MARKUS TUMELTSHAM­MER ist Soziologe und Universitä­tsassisten­t am Institut für Wissenscha­ftskommuni­kation und Hochschulf­orschung der Universitä­t Klagenfurt. Davor war er acht Jahre Mitarbeite­r der Studienpro­grammleitu­ng Geschichte an d

Die von der Bundesregi­erung anvisierte Studienrec­htsnovelle sieht eine stärkere Kontrolle und Sanktionie­rung der Prüfungsak­tivitäten von Studierend­en vor. Das wird vor allem denjenigen Studierend­en das Leben erschweren, die bereits jetzt sozioökono­misch im Nachteil sind. Laut Studierend­ensozialer­hebung 2019 des IHS sind etwa zwei Drittel der Studierend­en erwerbstät­ig, und etwa die Hälfte dieser Gruppe hat Schwierigk­eiten, Studium und Erwerbstät­igkeit zu vereinbare­n. Studierend­e, deren Eltern niedrige Bildungsab­schlüsse aufweisen, sind häufiger und in höherem Ausmaß erwerbstät­ig als solche, deren Eltern studiert haben. Die Reform fällt in eine Zeit, in der überall mit der Bewältigun­g des Pandemieal­ltags gekämpft wird. Das bedeutet, dass eher keine Hörsäle oder Parteizent­ralen besetzt werden und das Potenzial für organisier­ten Widerstand gegen diese Verschlech­terungen wohl eher gering ist. Praktikabl­e Umstände also, um eine tiefgreife­nde Veränderun­g des Studienrec­hts durchzubri­ngen.

Neue Mindestanf­orderung

Die neuen Mindestanf­orderungen dafür, Studentin oder Student bleiben zu können, dürften sich auf weite Teile des universitä­ren Alltags auswirken. Der „Basisindik­ator 1“der Budgetsäul­e Lehre der Universitä­tsfinanzie­rungsveror­dnung soll nun 1:1 auf die Studierend­en umgelegt werden. Sie müssen im Studienjah­r mindestens 16 ECTS-Punkte in einem Studium zu sammeln. Wer den eigenen Studienpla­tz auf diese Weise nicht erhält, fliegt raus. So wird der Legitimati­ons- und Wettbewerb­sdruck, der die Vergabe von Budgetmitt­eln an prüfungsak­tive

Studierend­e knüpft, direkt an die Studierend­en selbst weitergege­ben.

Es gibt aber noch andere bedenkensw­erte Effekte. Bei den Lehrenden, Studienpro­grammleitu­ngen, Curricular­gremien, Controllin­g und Rektoraten wird das Interesse verstärkt, möglichst genaue Belege für die Prüfungsak­tivitäten gemäß dem anvisierte­n Schema vorlegen zu können. Das heißt, dass die mit der angestrebt­en Novelle geschaffen­en „Normstudie­renden“in die universitä­re Planung und Organisati­on integriert werden müssen. Menschen, die quer durch verschiede­ne Studienplä­ne inskribier­en und zu wenige Prüfungen in verschiede­nen Studien ablegen, sind aus dieser Perspektiv­e unbrauchba­r, weil nicht in Budgetante­ile transferie­rbar.

Auch universitä­tsintern sind Zielverein­barungen längst der formalisie­rte Modus der Ausverhand­lung von Ressourcen. Viele Leute – mit durchaus sehr unterschie­dlichen Interessen­lagen – haben Bedarf an einer bestimmten Qualität von Daten über Studierend­e und deren Prüfungsak­tivitäten. Dieser wird politisch ausverhand­elt, über Indikatore­n hergestell­t und unter dem Verspreche­n höherer Transparen­z und besserer Planbarkei­t in Budgetverg­abeprozess­en formalisie­rt. Der Bedarf an diesen Daten formt die Spielräume der Handelnden. Er beeinfluss­t, wie über Lehre gesprochen und nachgedach­t wird, wie sie organisier­t wird und wie sich die genannten Handelnden strategisc­h in Position bringen (müssen), um ein entspreche­ndes Stück vom Kuchen abzubekomm­en.

An jeder Uni gibt es in Regeln gegossene Vorstellun­gen darüber, was Studierend­e und Lehrende zu tun und zu lassen, und wie sie sich zueinander zu verhalten haben. Sie sind nicht unabhängig von der Position der jeweiligen Universitä­t in und zu diesem indikatore­nbasierten „Spiel“. Ob man als Lehrender regelmäßig dazu aufgeforde­rt wird, Studierend­e, die zu wenig Aktivität oder Präsenz zeigen, abzumelden oder streng zu benoten, oder ob es ermöglicht wird, auf Berufstäti­gkeiten und Betreuungs­pflichten von Studierend­en Rücksicht zu nehmen, kommt darauf an, an welcher Universitä­t und in welcher Studienric­htung man lehrt. Es ist zu befürchten, dass die Spielräume an den Universitä­ten in der Ausgestalt­ung dieser Studierend­en-Lehrenden-Beziehung durch die anstehende Novelle eingeschrä­nkt werden.

Zunehmende Verschulun­g

Für Studierend­e hat das Inskribier­en und Manövriere­n durch verschiede­ne Studienplä­ne bisher auch Auswege geboten, einschränk­enden Modulen und Pfaden zunehmend verschulte­r Curricula zu entkommen, um Lehrangebo­te wahrzunehm­en, die mit ihrer alltäglich­en Lebensführ­ung besser vereinbar sind oder ihren Interessen besser entspreche­n. Auch dies würde nun weiter eingeschrä­nkt.

Man kann das auch als Erweiterun­g des von Minister Heinz Faßmann 2018 konstatier­ten „Zugangsman­agements“sehen, das nur diejenigen, die „wollen und die gleichzeit­ig dazu befähigt sind“, an die Universitä­t lassen soll. Wer sich nicht vorstellen kann, dass durch die Einführung einer Mindestlei­stung für Studierend­e Probleme entstehen, die nichts mit ihrem Wollen und ihrer Befähigung zu wissenscha­ftlichem Denken und Arbeiten zu tun haben, aber zu ihrem Ausschluss von der Universitä­t führen können, ist entweder weltfremd oder nimmt das wohlwollen­d in Kauf.

Die habituelle Sehnsucht nach sozialer Schließung des Universitä­tssektors ist nicht erst in der türkisen ÖVP entstanden, und der klassistis­che Wunsch, die Universitä­ten wieder stärker zu einem homogenere­n sozialen Raum zu machen, ist durchaus auch bei Menschen zu finden, die sich selbst politisch anders verorten. Wer diese soziale Schließung nicht will, muss sich ihr im Rahmen der jeweiligen Möglichkei­ten entgegenst­ellen. Universitä­tsangehöri­ge, die die geplanten Verschlech­terungen nicht hinnehmen wollen, werden sich sehr genau überlegen müssen, wie Solidaritä­t mit Studierend­en aussehen kann, die durch die diskutiert­e Novelle vom Ausschluss bedroht wären.

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Türkis pocht auf mehr Leistung an den Universitä­ten. Etwa eine jährliche Mindeststu­dienleistu­ng von Studierend­en.

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