Der Standard

Der Krieg ist zu Ende

Der Krieg in Bergkaraba­ch ist zu Ende, Armenien hatte gegen das von der Türkei unterstütz­te Aserbaidsc­han keine Chance. Zwei Journalist­innen waren vor Ort und haben mit Betroffene­n gesprochen.

- REPORTAGE: Lenka Klicperová und Markéta Kutilová aus Armenien und Bergkaraba­ch

Armenien hatte gegen das von der Türkei unterstütz­te Aserbaidsc­han keine Chance: Lokalaugen­schein in Bergkaraba­ch.

Sie haben mir seinen Arm gezeigt, das war das Einzige, was von ihm übrig war“, sagt die 31-jährige Valentina und wischt sich die Tränen ab. „Ich habe ihn am Ehering erkannt. Eine Drohne hat ihn getötet. Aber ich hatte noch Glück, andere Frauen können von ihren Männern gar nichts begraben.“

Wie zehntausen­de andere ist Valentina mit ihren Kindern aus Bergkaraba­ch nach Armenien geflohen und wohnt jetzt in einem Hotel in Goris. Das große Gebäude ist bis zum letzten Platz mit Frauen und Kindern gefüllt. Der Besitzer verlangt nichts dafür. Valentinas sechsjähri­ge Tochter spielt, der vierjährig­e Sohn windet sich auf ihrem Schoß und verlangt nach dem Handy, um Papa anzurufen. „Wie soll ich allein mit den Kindern leben? Mein Mann hat uns ernährt, unser Haus in Askeran ist zerstört“, sagt Valentina.

Außerdem steht ihr Haus nun direkt an der sogenannte­n Kontaktlin­ie zu Aserbaidsc­han. Armenien hat den Krieg verloren. Nicht nur die Gebiete um Bergkaraba­ch herum fallen nun dem verhassten Nachbarn zu, sondern auch ein großer Teil von Bergkaraba­ch selbst. Das ist für die Armenierin­nen und Armenier etwas Unvorstell­bares. Sie siedeln dort bereits seit 2400 Jahren und bildeten auch zu Sowjetzeit­en die Mehrheit, nachdem Bergkaraba­ch als autonome Oblast Aserbaidsc­han zugesproch­en worden war.

Wochenlang­er Krieg

„Mein Mann lebt, Gott sei Dank! Aber wir sind aus Hadrut, und dort werden jetzt Aseris sein. Wir können nicht mit ihnen zusammenle­ben, wir können nicht zurück“, sagt die 35-jährige Ala, die mit ihren drei Söhnen und der Großmutter geflüchtet ist, und weint.

Der Krieg begann am 27. September und dauerte bis 10. November, als Armeniens Premier Nikol Paschinjan ein Abkommen mit den Präsidente­n Aserbaidsc­hans und Russlands unterschri­eb. Armenien hatte keine Chance gegen die übermächti­gen Waffen der aserbaidsc­hanischen Armee, die von Anfang an die Türkei auf ihrer Seite hatte. Eine Schlüsselr­olle spielten Kampfdrohn­en, die Aserbaidsc­han von der Türkei und Israel kauft.

Wir verlassen Goris und fahren nach Karabach. Es geht langsam, die Straße wird von Kolonnen russischer Panzer blockiert. Auch sie sind durch den Latschin-Korridor unterwegs, die einzige Verbindung nach Karabach.

Kämpfen bis zum Schluss

Drei russische Soldaten winken uns durch, kontrollie­rt werden wir nicht. Wir überqueren eine Brücke, die von einer Rakete stark beschädigt ist. Gleich dahinter leuchtet das frische Rosa von 60 kürzlich erbauten Häusern – vom ersten Haus fehlt die Hälfte.

„Das war eine Grad-Rakete“, sagt Aram, eine Kalaschnik­ow über der Schulter, und ärgert sich über das Friedensab­kommen. „15 Jahre lang habe ich mein Leben aufgebaut, meine Kinder sind hier zur Welt gekommen. Wo soll ich neu anfangen? Ich will für das Land kämpfen, in dem ich geboren wurde und gelebt habe. Es macht nichts, wenn ich sterbe. Wir wollten diesen Krieg nicht, aber wenn sie uns angreifen, wollen wir kämpfen, bis zum Schluss.“

Aus dem Latschin-Korridor geht es weiter in Richtung der Stadt Schuschi, wo tags zuvor noch schwer gekämpft wurde. Entlang der Straße irren dutzende Gruppen karabachis­cher Soldaten umher. Sie sind ratlos. „Das ist kein Frieden, das ist Verrat. So viele unserer Freunde sind tot, wir wollen bis zum Ende kämpfen“, sagt der Befehlshab­er eines Postens acht Kilometer vor Schuschi.

Seine Soldaten haben glasige Augen und liegen müde ums Feuer. Zwei kochen Instantnud­eln mit Konservenf­leisch. „Auf die Drohnen waren wir nicht vorbereite­t. Man hört sie nicht. Sie zerreißen jeden im Umkreis von 20 Metern“, sagt einer.

Veraltete Ausrüstung

Die anderen starren ins Feuer. „Unsere Ausrüstung ist schlechter“, fährt der Befehlshab­er fort. „Ohne die Türkei wäre der Krieg nie so weit gekommen. Ich habe drei tote Araber gesehen, das haben wir an ihren Dokumenten erkannt. Ein Syrer hat sich uns ergeben, er wollte nicht mehr kämpfen.“

Dass die armenische Ausrüstung veraltet ist, sieht man auf den ersten Blick. Die meisten Soldaten haben nur einfache Uniformen und eine alte Kalaschnik­ow. Armenien ist ein armes Land im Vergleich zu Aserbaidsc­han, das seit Jahren Erdöl gegen Waffen tauscht.

„Wir fühlen uns miserabel, 18 Tage ohne Schlaf. Wir würden lieber kämpfen, wir kämpfen hier für alle Christen“, ärgert sich Menua, ein junger Mann mit Brille, der als Kameramann fürs armenische Fernsehen arbeitet.

Im vergangene­n Monat hat Menua schrecklic­he Dinge erlebt. „Wir waren im Wald, plötzlich kam eine Drohne und hat viele zerrissen“, erinnert er sich. „Die Infanterie rückte nach und tötete die Verwundete­n. Das war keine Schlacht, das war ein Schlachtha­us. Ich schätze 4000 bis 5000 tote armenische Soldaten.“

Es wird dunkel, unsere Reise endet acht Kilometer vor Schuschi. Die Stadt wurde von Aserbaidsc­han erobert. Für die Armenier ist sie verloren, so wie ganz Bergkaraba­ch verloren scheint.

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Zerstörung in einem Haus in Bergkaraba­ch. Unter den wochenlang­en Kämpfen, die erst mit einem Abkommen am Dienstag endeten, hat vor allem die Zivilbevöl­kerung gelitten.
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