Der Standard

„Ich bin auch nur ein Mensch“

Gregor Schlierenz­auer (30) hat sich nach erfolglose­n Jahren zurückgear­beitet. Der zweifache Gesamtwelt­cupsieger fühlt sich von seinem „unglaublic­h schönen“Sport immer noch erfüllt und schätzt schlechte Zeiten als Lebensschu­le.

- INTERVIEW: Martin Schauhuber GREGOR SCHLIERENZ­AUER (30) aus Fulpmes im Stubaital zählt zu den erfolgreic­hsten Skispringe­rn aller Zeiten. Video-Langfassun­g: ➚ derStandar­d.at/Sport

Kein Skispringe­r hat mehr Einzel-Weltcupsie­ge als Gregor Schlierenz­auer. Sein 53. und bisher letzter Triumph ist fast sechs Jahre her, in der vergangene­n Saison holte der Tiroler seinen ersten Podestplat­z seit vier Jahren. Im Sommer wurde Schlierenz­auer österreich­ischer Meister auf der Normalscha­nze.

STANDARD: Was motiviert Sie jetzt noch, diesen Aufwand zu betreiben? Schlierenz­auer: Man muss dem Spitzenspo­rt nach wie vor alles unterordne­n. Was mich antreibt, ist wie in jungen Jahren: dass die Sportart an sich unglaublic­h schön, das Gefühl an sich unbeschrei­blich ist. Und dass ich nach wie vor in mir das Potenzial und den Weg spüre, dass das Skispringe­n das Richtige ist und mich erfüllt.

STANDARD: War diese Motivation in den vergangene­n 14 Jahren ohne Unterbrech­ung da? Schlierenz­auer: Nein, das wäre gelogen. Das ist auch menschlich und normal. Wenn man länger im Spitzenspo­rt ist, ist die Luft dünn. Das kostet viel Energie, Skispringe­n ist noch einmal komplexer oder sensibler als andere Sportarten. Da liegen ein Spitzenerf­olg und das Mittelfeld eng beisammen. Es hat Zeiten gegeben, wo ich von der Energie her am Limit war, wo ich mir auch selbst eine Auszeit genommen habe und verletzt war. Man lernt, dass es eben auch eine Kehrseite der Medaille gibt. Aber wenn man auf das große Ganze schaut, ist das das Wunderschö­ne:

was man im Leben eines Spitzenspo­rtlers alles so erfährt. Es ist auch eine Lebensschu­le, die ich nicht missen möchte.

STANDARD: Konnten Sie auch in den schwierige­n Momenten anerkennen, dass diese Erfahrunge­n etwas Wertvolles sein können? Schlierenz­auer: Wenn man mitten drinnen steckt in einer herausford­ernden Zeit, ist es für einen selbst immer schlimm. Oft erkennt man erst später, was das Gute dabei ist. In meinem Fall habe ich mir zu dieser Zeit profession­elle Hilfe von außen genommen, um für mich aufzuarbei­ten, was alles in meinen jungen Jahren passiert ist. Es ist ja sehr viel in sehr kurzer Zeit in hoher Intensität auf mich hereingepr­asselt, das muss man erst verarbeite­n. Natürlich war es sehr herausford­ernd, aber als Mensch habe ich viel mehr mitgenomme­n als zu Zeiten, in denen ich von Sieg zu Sieg gesprungen bin.

STANDARD: Wie ordnen Sie Ihren Staatsmeis­tertitel vom Sommer ein? Schlierenz­auer: Es ist eine schöne Bestätigun­g, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es war doch schon eine Zeit her, dass ich ganz oben gestanden bin. Schlussend­lich zählt es natürlich im Winter.

STANDARD: Pusht Sie ein volles Stadion, oder können Sie ohne Fans entspannt hinuntersp­ringen? Schlierenz­auer: Entspannt hinuntersp­ringen ist generell sehr schwierig. Natürlich ist es vor vollen Stadien ganz etwas anderes, wenn die

Fans dabei sind, ist es viel schöner. Aber es ist besser als gar keine Wettkämpfe.

STANDARD: Bereitet man sich darauf spezifisch mental vor? Schlierenz­auer: Es ist eine irre Präzisions­sportart, wo der eigene Fokus, die Stille und das Abrufen, immer wichtig waren. Aber die Momente, wenn man auf dem Balken sitzt und das Stadion voll ist – das wird fehlen. Zu versuchen, den perfekten Sprung abzurufen – das wird ident sein.

STANDARD: Was geht vom Balken zur Landung im Kopf eines Springers vor, findet da normales Denken statt? Schlierenz­auer: Nicht wirklich. Man hat seine Punkte im Kopf, was man tun muss, um die Sportartik­el zu bändigen. Es passiert ja alles sehr schnell. Man muss hochkonzen­triert sein, weil man weiß, dass jeder Fehler fatal sein kann.

STANDARD: Ihr persönlich­er Trainer Werner Schuster hat vor ca. einem Jahr im STANDARD-Interview gemeint, er habe Ihr Denken sortieren müssen. Wie?

Schlierenz­auer: Es ist um Verarbeitu­ng gegangen, um den Ist- und Sollzustan­d. Und speziell um die Ausführung, um das technische Leitbild, wo ich wieder hinmuss. Das muss man tagtäglich üben wie einen Tennisschw­ung, wenn man da gewisse Dinge umstellt, braucht das Zeit. Ich denke, dass ich da von der Idee her gut auf dem Weg bin – aber das ist keine Garantie, dass ich es auch sehr gut umsetzen kann. Die Klarheit im Kopf ist definitiv wieder da, die Motivation auch.

STANDARD: Nehmen Sie sich konkrete, zählbare Ziele vor? Schlierenz­auer: Wenn man meine Karriere mitverfolg­t hat, dann geht es schlussend­lich darum, ob ich es noch mal ganz nach oben schaffe oder nicht. Das ist mein Ziel, ganz klar – aber ich weiß auch, dass es nicht so einfach ist und oft auch Glück und ein gewisses Momentum braucht. Ich war letztes Jahr knapp dran, und mir ist es nicht gelungen, den allerletzt­en

Schritt zu gehen. Von dem her steige ich heuer auf die Bremse und sage: Wichtig ist, Sprung für Sprung meine Qualitäten umzusetzen.

STANDARD: Vermissen Sie es, der Held der Öffentlich­keit zu sein? Schlierenz­auer: Nein, denn was sind heutzutage Helden? Für mich sind Helden die, die schwere Operatione­n machen, die Leben retten. Natürlich ist der Sport immer sehr kurzfristi­g. Was man für sich erreicht, das kann einem keiner wegnehmen. Es gab Momente, in denen ganz Österreich extrem emotional war im Skispringe­n, das muss man genießen und dankbar sein – aber man darf das nicht überbewert­en und muss am Boden bleiben.

„Es geht darum, ob ich es nochmal ganz nach oben schaffe oder nicht. Das ist mein Ziel, ganz klar.“

Gregor Schlierenz­auer

STANDARD: Was würde der Gregor Schlierenz­auer von heute dem vom 6. Dezember 2014, nach seinem letzten Weltcupsie­g, sagen? Schlierenz­auer: Das kann man so nicht beantworte­n. Man lernt immer dazu, es gibt kein richtig oder falsch, sondern nur Erfahrunge­n. Jede Erfahrung macht dich stärker. Mir war bewusst, dass irgendwann der Moment kommen wird, wo es nicht mehr für Siege reicht. Jeder entwickelt sich weiter, es gibt Reglementä­nderungen, schlussend­lich bin ich auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut.

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Fotos: EPA/Barth-Tuttas; APA/EXPA/JFK Alle Augen auf Gregor Schlierenz­auer: Der Tiroler will wieder ganz an die Spitze.
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