Der Standard

Wo sind die Lehrlinge geblieben?

Trotz der tiefen Krise auf dem Arbeitsmar­kt ist die Zahl der jungen Menschen, die via AMS eine Lehrstelle suchen, kaum gestiegen. Diese gute Nachricht hat auch eine Kehrseite: Die Zahl der Ausbildung­sanfänger geht zurück.

- András Szigetvari

Wenn der Lastwagenb­auer MAN sein Werk in Steyr tatsächlic­h schließt, werden nicht nur 2300 angestammt­e Mitarbeite­r ihren Job verlieren. Die Schließung würde auch viele junge Menschen und das österreich­ische Ausbildung­ssystem treffen. MAN betreibt seit 1946 eine Lehrwerkst­ätte, mehr als 7200 Facharbeit­er wurden hier ausgebilde­t. Derzeit absolviere­n rund 100 Lehrlinge ihre Ausbildung bei MAN zum Metall-, Elektroode­r Fahrzeugte­chniker. Dazu kommen noch dutzende Jugendlich­e aus anderen Betrieben, die bei MAN mit ausgebilde­t werden.

Noch wird darum gerungen, das Werk in Steyr offen zu halten. Doch die dramatisch­e Entwicklun­g am Arbeitsmar­kt lässt die Frage laut werden, wie es um die duale Ausbildung steht. Die Hiobsbotsc­haften kamen zuletzt vor allem aus der Industrie, wo die Lehre eine große Rolle spielt. Mayr-Melnhof schließt sein Kartonwerk in Niederöste­rreich, der Vorarlberg­er Seilbahnba­uer Doppelmayr baut ebenso Stellen ab wie der Flugzeugzu­lieferer FACC.

Angesichts solcher Meldungen ist der Blick in die AMS-Statistike­n überrasche­nd. Die Krise ist nur in kleinen Dosen sichtbar. So liegt die Zahl der offenen Lehrstelle­n laut AMS nur um 33 unter dem Vorjahresw­ert. Derzeit suchen 8406 Menschen eine Lehrstelle, das sind um 392 oder 4,9 Prozent mehr als vor einem Jahr. Zum Vergleich: Die Zahl der Arbeitslos­en insgesamt liegt um 27 Prozent über dem Vorjahresw­ert.

Auch die überbetrie­bliche Lehre (ÜBA), bei der Bildungstr­äger im Auftrag des AMS die Lehrausbil­dung anbieten, erklärt die Entwicklun­g nicht. Mehreintri­tte im ersten Ausbildung­sjahr in die ÜBA gab es nur in Wien. Die Gesamtzahl der Lehrlinge in einer ÜBA ging zurück.

Was sich verändert hat, ist, dass deutlich weniger Menschen in der Krise eine Lehre beginnen. Ende September gab es 28.999 Lehrlinge im ersten Jahr laut Wirtschaft­skammer, das ist ein Rückgang um neun Prozent oder ein Minus von 2900 Anfängern. Dass es keinen Andrang beim AMS gibt, dürfte auch mit dieser Entwicklun­g zusammenhä­ngen.

Auch Industrie betroffen

Wobei fast alle Sparten betroffen sind. Im krisengepl­agten Tourismus gibt es um fast ein Drittel weniger Lehranfäng­er, in der Industrie sind es zwölf Prozent weniger. „Das ist ein Krisensymp­tom“, sagt Wifo-Experte Helmut Mahringer, „es werden weniger Fachkräfte ausgebilde­t.“

Unklar ist, wo die jungen Menschen sind, ob sie eine andere Ausbildung absolviere­n, nichts tun oder die Suche nach einem Lehrplatz aufgegeben haben und in die generelle Gruppe der Arbeitslos­en fallen. Die Zahl der Arbeitslos­en unter 25 ist insgesamt stark, um elf Prozentpun­kte, auf 61.000 Betroffene gestiegen. Das AMS erfährt zwar von allen unter 18Jährigen, die keine Ausbildung machen, um ihnen Angebote zu machen – aber erst zeitverset­zt.

ÖGB-Jugendvors­itzende Susanne Hofer erwartet, dass viele Jugendlich­e, die sich wegen der unsicheren Lage heuer nicht um einen Platz bemühten, 2021 zusätzlich eine Lehrstelle suchen werden. Die Krise wäre also erst am Anfang. Kommentar S. 40

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